Wie man bei der Sichtbarmachung der Globalisierung schon mal zur Tomate wird

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Dabei werden unterschiedlichste Themen oder Probleme angesprochen: Umweltkatastrophen, Krieg und kulturelle Einheitsbewegungen. Entwirft alles zusammen ein ziemlich negatives Bild. Die persönlichen Folgen und die Versuche einer positiven Übereinkunft mit der aktuellen Situation muss sich der Besucher dabei wohl selbst zusammenzimmern.
Einen Zugang zu diesem schwierigen Thema hat die Künstlerin Gabriele Sturm für sich entdeckt, mit dem sie den Betrachter der Ausstellung auch gleich im Foyer konfrontiert. Empfangen wird dieser von handelsüblichen Tomatenkisten, die die Künstlerin im wahrsten Sinne zusammengetragen hat, aufstapelt und uns den Weg versperrt. Es wird unwillkürlich vor Augen geführt, woher des Österreichers liebstes Gemüse überall herkommen kann – nämlich aus der ganzen Welt. Innerhalb der Installation zeigt sie auch ein Video, das auf ein Projekt der Künstlerin zurückgeht, welches sie bereits einige Jahre zuvor realisiert hat und in dem sie selbst zum Produkt Tomate wurde. Sie legte dabei höchstpersönlich den Transportweg von 20 Tonnen Tomaten zurück, die von Antalya bis nach Wien per LKW transportiert wurden. Durchaus spannend an dieser Aktion, die Künstlerin informierte von der Fahrerkabine aus live per SMS über die parallele Welt des Konsums. Ganz konkret stellt sie die Frage: Wie weit ist weit? Der Maßstab des eigenen Erlebens, 2006/2007 in unserer persönlichen Einschätzung. Wichtig an der Sichtbarmachung der Globalisierung ist ihr das Lokale als Lösungsversuch der globalisierten Welt; so mischen sich in die Stapel aus Gemüseschachteln auch Tomatenkisten aus der unmittelbaren Umgebung, die die Künstlerin für lokale, Tiroler Produzenten entwirft, um ihnen sozusagen ein Gesicht im Supermarkt zu geben, den sie normalerweise ohne gebrandetes Image beliefern.
Damit stellt sie das Aufzeigen der gegenwärtigen Situation und die Hoffnung einer Veränderung der Konsumwelt in den Mittelpunkt, der dann in der Ausstellung neben Fotoikonen á la Andreas Gursky (Kuwait Stock Exchange I, 2007), die den Konsum geradezu verherrlichen, etwas untergeht.

Ist die reine Sichtbarmachung der Problematik denn genug?

Gerade an diesem Aspekt scheint die Ausstellung etwas einseitig konzipiert, so gibt es das Aufklären und das Sichtbarmachen einer globalisierten Gesellschaft, jedoch kaum andere Ansichten oder Tendenzen. Ist die reine Sichtbarmachung der Problematik denn genug oder sollte es gerade im künstlerischen Kontext auch Spielräume für Utopien geben?
Oliver Ressler, ein weiterer Teilnehmer der Ausstellung ist Filmemacher und Aktivist und wird im unteren Bereich der Ausstellungsräume mit zwei Filmen vorgestellt, die ganz klar die wirtschaftliche Hintergründe der Globalisierung nachzeichnen und einerseits mit überblendeten Szenen aus anonymen Filmmaterial die ökologischen Folgen der Globalisierung thematisieren und andererseits ökonomische Zusammenhänge einer Schattenwirtschaft am Beispiel der Schweiz aufdecken. Auftrag des Filmemachers ist klar das Anprangern und das Aufrütteln, das stellt er auch beim direkten Gespräch vor Publikum in den Vordergrund.

Follow Him © Wang Qingsong
Follow Him © Wang Qingsong

Eine Flut von 10.000 gestohlenen Privatfotos macht klar, dass jeder Einzelne am globalen Spiel teilnimmt

Der Besucher vermisst in der Schau oft vielleicht auch die künstlerische Seite der Globalisierung, die Theorien zur kulturellen Globalisierung, die bei Künstlern wie Mladen Stilinovic (dessen Werk An artist who cannot speak english is no artist übrigens schon mal im Taxispalais gezeigt wurde) oder in der diesjährigen Biennale von Venedig so symbolträchtig diskutiert werden. Die Ausstellung versucht sich an einigen Punkten, die auch hochaktuell sind, z.B. im Beitrag von Eva und Franco Mattes, der aus einer Projektion von anonymem Bildmaterial aus dem Internet besteht. Man steht vor insgesamt 10.000 privaten, von PCs gestohlenen Fotos von Leuten auf der ganzen Welt, die sich alle sehr ähnlich sehen und von denen die meisten in Moment der Aufnahme wohl nicht an die Folgen nachgedacht haben. Bin lange vor der Arbeit gestanden – war selbst nicht unter den gezeigten Fotos. Hoffentlich! Es wird einem jedoch bewusst, dass jeder ein Teil der globalisierten Welt ist und sich gerade in der Flut all dieser privaten Fotoansammlungen doch auch etwas verloren darin fühlt.

Wann wird es an der Zeit sein, Lösungen zu finden?

Insgesamt wird viel über die negativen ökologischen und ökonomischen Folgen der globalen Bewegung diskutiert, wenig über die Veränderung der Kunstwelt durch Globalisierung. Bei allem Aufklären tritt auch unweigerlich die Frage in den Mittelpunkt: Ist der Kritik nicht genug geäußert und an der Zeit Lösungen zu finden? Doch gerade in einer derartigen Schau, wo die Internationalität der Künstler geradezu danach schreit, tritt die kulturelle Vielfalt und die heutigen Möglichkeiten der vernetzen Welt eher in den Hintergrund.
Es ist keine Schau, die einen künstlerischen Zugang auf die globalisierte Welt zulässt, sondern vielmehr beim Schritt der Sichtbarmachung des Themas stehenbleibt. Dabei gibt es positive Funken, die etwa in der Arbeit der chinesischen Künstlerin Yin Xiuzhen aufleuchten, die in Reisekoffer skulpturale Arbeiten in Form von Städten und Architekturikonen aus gebrauchter Kleidung einnäht und damit auch den Aspekt der globalen Möglichkeiten und die Vielfalt der Kulturen, die uns heute zugänglich sind, durchscheinen lässt. Die von ihr bereisten und durch individuelle Eindrücke gezeichneten Städte werden wortwörtlich zu Portable Cities. So scheint auch in dieser grundlegend durchaus negativ gezeichneten Bestandsaufnahme ein positiver Grundgedanke leise durchzudringen.

Portable City: Moscow © Yin Xiuzhen
Portable City: Moscow © Yin Xiuzhen

Die Missstände lassen sich dadurch nicht von der Hand weisen, denn erst unsere kurzsichtige Lebenseinstellung, die mit einem Individualisierungsprozess des Einzelnen einhergeht, ist sicherlich überhaupt der Anlass der Sichtbarmachung, des Aufzeigens von den dadurch entstandenen Problemen – auch bei bereits oftmals besprochenen Themen wie Globalisierung. Die aktuelle Schau in der Galerie im Taxispalais gibt jedem, nicht nur rein kunstinteressiertem Publikum die Möglichkeit dazu. Das Sinnieren über das Negative und das Positive stellt sich beim Besucher anhand der zahlreichen, aus aller Welt kommenden Beiträge ein. Und ist es dabei nicht auch Verdienst eines globalen Denkens, dass wir uns überhaupt mit derart vielfältigen Meinungen auseinanderzusetzen können?
 

#Die Ausstellung ist noch bis 2. August in der Galerie im Taxispalais in Innsbruck zu besichtigen; am 2.Juli lädt die Institution zum 2. Künstlergespräch (mit Christian von Borries) und dem Vortrag Globale Systemverschiebung von Katja Siepmann, Kulturwissenschaftlerin ein.
Titelbild: The Hell of Copper © Nyaba Léon Ouedraogo

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