Theater beziehungsweise Therapie

7. Juli 2017
1 Minute Lesezeit

Das wagt voller Enthusiasmus und schwarzem Humor mit ihrer aktuellen Eigenproduktion „Beziehungsweise“ die Theatergruppe „Ohne Vorhang“. Den gibt es im Bogentheater ohnehin nicht und das reduzierte Ambiente passt sowohl zum Kostümbild in schwarzweiß als auch zum dekonstruktivistischen Anspruch. Zum aus dem schnöden und absurden Alltag gegriffenen Drehbuch ohnehin.

Shakespeare on Tinder

Dass dazwischen minutenlang Shakespeare zitiert wird, ist nicht nur dem Scharfsinn des hochverehrten Barden geschuldet („Die Welt ist eine Bühne“, und die am besten beleuchtete Bühne der Gegenwart heißt Tinder), sondern wird auch dem Gender-Aspekt gerecht. Schließlich ist die Geschlechterverwirrung in der Neuzeit nirgendwo so krass auf die Spitze getrieben wie in seinen Komödien – und so schaukelt sich auch „Beziehungsweise“ zu einem schwülen Sommernachtstraum auf.
Aber einem von eher Freudianischem Ausmaß, in dem Elektra sowohl auf Electronica als auch auf Frauen steht und Isolde sich nicht zwischen zwei langbeinigen Schönheiten entscheiden kann. Den beeindruckendsten Hipster-Bart der Produktion trägt eindeutig Claudia – wobei die Gesichtsbehaarung ihrem gut gewachsenen Yogalehrer Günther deutlichen Gefallen bereitet.
Nur gut, dass ihr Göttergatte Wolfgang in Claudias wellness-bedingten Abwesenheit seine Hell’s-Angels-Allüren mit deren bester Freundin auslebt.
Die grandiosesten Klischees sind schon ausgeweidet und -geblutet, bevor die erste Trennung über die Bühne geht. „Tinder“ macht die „offene Beziehung“ möglich, die aber im Lebenslauf immer noch schlechter kommt als die „gleichgeschlechtliche“.
Da sind alle heilfroh, wenn „Rolling Robster“ seinen Erfahrungsschatz auf youtube kanalisiert und im „Schnecken-Check“ durch die labyrinthische Bildwelt führt. Selfies muss man lesen können, und woher soll man denn auch auf den ersten Blick wissen, ob das Mädel mit der kalten Schulter bei einem One-Night-Stand auftaut.
Robster kommt so ganz gut durchs Leben. Josefine dagegen kann man als Heimchen am Herd nur bedauern. Klar, dass der Tennislehrer am Ende dran glauben muss, wenn er ihr den Lebensabschnittspartner ausspannt.

Promiskuität in allen Lebenslagen

Schön ist, dass nicht nur die blasse und ausgehungerte Gender-Kategorie dekonstruiert wird, sondern auch die deutlich besser genährte Generationen-Segregation. Bei den promiskuitiven Lesbenpärchen ist nämlich auch der Altersunterschied beachtlich. Ist aber natürlich naheliegend, Stichwort „Generationentheater“.
Auf der Bühne ist das mit dem „beziehungsweise“ relativ einfach – also mit dem Perspektivenwechsel. Kann man so sehen und auch anders. Im eigenen Leben ist man mit allem rundherum überfordert und dann auch noch neurosebedingt auf dem eigenen Blickwinkel festgenagelt.
„Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen“, meinte Werner Schawb zu diesem Thema. Aber spielen können wir. Wahrscheinlich ist das Spielen selbst kathartischer als das Zuschauen. Lustig ist beides. Bis sich am Ende eines Theaterabends alles in Wohlgefallen und ein Kristallmandala auflöst. Dann gehen wir auf die Straße, und der ganze Mist geht von vorne los. Die besten Geschichten schreibt sowieso das Leben. Zum Brüllen komisch.

Titelbild: (c) Theater ohne Vorhang

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