Frei-Willi-ge Bemerkungen

Die folgenden Bemerkungen müssen sich nicht mit der Meinung des Autors oder gar des Alpenfeuilletons decken.

6 Minuten Lesedauer
Vorbei (c) Helmuth Schönauer
Vorbei (c) Helmuth Schönauer

Die angeführten Sätze stammen aus einer Fußballrunde, die trotz moralischer Bedenken ungeniert Fußballübertragungen schaut.

Wahrscheinlich sind auch die Sätze, die neben dem Fußballschauen fallen, deshalb peripher unmoralisch, weil sie ja heimlich ausgeatmet werden gegen den großen Konsens, dass die heurige WM nicht gerade ein großer Beitrag zur Unterstützung der Menschenrechte ist.

Wenn man heimlich Fußball schaut, überträgt sich diese klandestine Stimmung auch auf das Spiel. Fast bei jedem Match tut sich eine Phase auf, in der man es bereut, „heimlich Katar zu schauen“.

In solchen Phasen greift die Runde wie verrückt in die Schüsseln voller ungesundem Zeug und beginnt über den Innsbrucker Bürgermeister zu reden, der offensichtlich die erste Assoziation ist, wenn man zu ungesundem Zeug greift.

Die Kurzstatements sollte man als Bemerkungen zur Mediation lesen, es ist nämlich inzwischen eine Mediation zwischen dem Habitus des Bürgermeisters und der Verzweiflung seiner ehemaligen Wähler notwendig.

1.

Der Bürgermeister ist wahrscheinlich der größte Personalentwickler, den die Stadt hervorgebracht hat. Er versteht es nämlich wie kein anderer, seine eigene Personalkarriere zu entwickeln.

Stichwort: Ich geh dann man kurz nach Wien, um etwas Parlamentsluft zu schnuppern, ich geh dann mal in den Landtag, um den Tiroler Adler von hinten zu sehen, ich geh dann einmal in die Stadtregierung, um meine großen Träume in der kleinen Welt des Magistrats zu verwirklichen.

2.

Wenn du etwas bewirken willst, gehst du zu einer Partei, wenn du dich selbst verwirklichen willst, gehst du zu den Grünen.

3.

Wie viele Grüne glaubt auch der Bürgermeister von den Innsbrucker Grünen, dass man bloß lange genug zuhören muss, dann regeln sich die Sachen von alleine.

Nun gibt es tatsächlich viele Dinge, die in Österreich einfach ausgesessen werden, weil es österreichischer Politstil ist, nirgendwo anzustreifen oder sich gar mit einer schlechten Nachricht herumzuschlagen.

Aber es gibt Sachen, die müssen zu Lebzeiten geregelt werden, die Karrierewünsche von Verbündeten zum Beispiel, die werden ungeduldig und setzen dich ab, wenn du sie nicht in irgendeiner Form auf den Posten bringst, den du ihnen versprochen hast.

4.

Wenn du wie ein Oberlehrer jemanden herausklaubst, um ihn stellvertretend für einen diffusen Sachverhalt zu bestrafen, wirst du in dieser Klasse nichts mehr zu unterrichten haben.

Das Patscherkofel-Desaster des Vorgänger-Stadtsenats zu korrigieren, indem man einfach die Koalition kürzt und symbolisch die Posten neu mischt, ist nicht die kluge Art der Mediation. Wenn du jemanden aus der Hüfte heraus kränkst, wird sich das nicht mehr einrenken lassen.

5.

Apropos Mediation.

Viele Wählende erwarten sich vom Bürgermeister nicht eine Couchsitzung, der sie ihre Sorgen anvertrauen, um dann gestreichelt und ruhig gestellt zu werden, die meisten erwarten sich eine Notärztin, die ausgeschlafen und tough die ersten Maßnahmen setzt, auch wenn die Patientenschaft womöglich das Pech hat, dass ihre Körper irreparabel eingeliefert worden sind.

6.

Der sogenannte „Willismus“ ist von vorne herein als Wellness-Politik mit internationalem Design aufgebaut worden, ohne die tatsächlich Wählenden anzusprechen.

Bei Tageslicht sitzen alle Nationen am Campus und lassen von der Böschungsmauer die Beine in den immergrünen Inn taumeln, der sich harmonisch zu einem grünen Logo krümmt.

Alle sind mit dem Fahrrad unterwegs und grüßen sich, während man Fußgehende grußlos zusammenfährt.

Wenn es Krawall gibt, verweist man auf die Jugend und das Schicksal, das diese noch vor sich hat, wenn die Welt klimatisch kollabiert.

7.

Bei diesem Wahlprogramm hätte man auch ein pures Fahrrad nehmen können, es ist im Willismus nämlich egal, wer drauf sitzt, Hauptsache es hat einen Lenker und macht kein Geräusch.

8.

Für jeden Bürgermeister ist 63 ein blödes Alter. Du brauchst noch zwei Jahre, und niemand will dich mehr haben. Um wirklich etwas zu bewegen, dafür hast du keine Freunde mehr, und allein die Chose auszusitzen, dafür stehst du zu sehr im Schaufenster.

9.

Es muss nicht immer ein Pferd sein, von dem man absteigen muss, wenn es tot ist. Es gibt auch tote Fahrräder.

10.

Weniger geschickt / sehr geschickt

Als Musterbeispiel einer verunglückten Erklärung gilt inzwischen der Sager: „Das war bei meinen Vorgängern auch so!“ Damit lässt sich eigenes Versagen nur schwach wegwischen.

Dass „der Willi“ auch lernfähig ist, um sein großes Herz durchschimmern zu lassen, zeigt die Argumentation, mit der er jüngst das Containerdorf für Migrationsgäste der Bevölkerung erklärt hat: 

Wir sind international, offen, haben viele engagierte Einwohnende und sind imstande, uns selbst und den Gästen ein optimistisches Bild einer gemeinsamen Zukunft zu erzählen.

Helmuth Schönauer 30/11/22

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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