Österreich beim Songcontest: Der Trent geht hin zur Wurschtigkeit

8 Minuten Lesedauer

Österreich beim Songcontest: 2014 bis Heute


2014 gewann uns eine Kunstfigur aus Österreich mit dem Nachnamen Wurst den Songcontest. Vielen war das Lied also offenbar nicht Wurst bzw. wurscht gewesen. Tatsächlich sorgte diese von Tom Neuwirth gekonnt in Szene gesetzte Figur für perfekte Fernseh-Momente. Ein überdurchschnittliches und höchst dramatisches Lied mit flirrenden James-Bond-Streichern wurde mit ganz viel  Pyro-Effekten und einer entfesselt singenden Conchita zur besten Performance des Abends gemacht.
Weiters war das Lied ein gelungener und relevanter Kommentar zu dem sich damals schon anschickenden Zeitgeist der Einengung und der aufkeimenden Intoleranz. Mit Fräulein Wurst auf dem Spitzenplatz fühlten wir uns alle schon ein bisserl toleranter und weltoffener. Geholfen hat es zwar insgesamt für die Einstellung unserer Mitmenschen nichts. Aber für einen Abend und ein paar Tage danach war es plötzlich möglich, dass sich eine breitere Masse mit Themen wie Geschlechtsidentität, Genderfragen & Co. beschäftigte.
Neben der relativen Qualität des Liedes, der gelungenen Performance und der Dringlichkeit der Aussage dahinter war das Lied vor allem keine rein subjektive Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten der Interpretin/des Interpreten. Die Summe war quasi größer als die einzelnen Teile. So wie Conchita ging es vielen anderen, die ihre Rolle in der Gesellschaft erst einfordern oder zuerst noch finden mussten. Damit konnten sich auch Menschen identifizieren, die als Männer nur ungern Frauenkleider trugen und sich als Frauen nur ungern einen Damenbart stehen ließen. Kurzum: Das alles war nicht wurscht, sondern mit einer gewissen kulturellen Relevanz aufgeladen.
Seither hat Österreich sehr viel daran gesetzt diese kulturelle Relevanz zu konterkarieren. Im Jahr 2015 wurde mit „The Makemakes“ bereits eindrucksvoll gezeigt, dass nicht Relevanz, sondern Wurschtigkeit, Gleichgültigkeit und die unerträgliche Erträglichkeit eines Liedes ab sofort wieder wichtiger sein sollten. Dass sich das Liedchen „I Am Yours“ gegen Plagiatsvorwürfe wehren musste verwundert nicht, glaubte man das Lied doch bereits unzählige Male gehört zu haben.
Das Lied war nett, oberflächlich, eingängig und nur mit Dauer-Rotation auf diversen Radiosendern im Ohr zu halten. Mit null Punkten landeten „The Makemakes“ beim Songcontest nicht gerade auf einer Spitzenposition. Nach wenigen Wochen war der Spuk vorbei und niemand kann sich heute mehr an den Refrain erinnern, ganz im Gegenteil zu „Rise Like A Phoenix“.


Nathan Trent mit „Running on Air“


Im Jahr 2017 versucht der sympathische und durchaus gut aussende Innsbrucker Nathan Trent sein Glück. Das wundert erst einmal nicht. Österreich ist schließlich weltweit nicht gerade als Land bekannt, das aus seinen Fehlern und seiner Vergangenheit gelernt hat. Abermals schickt man ein Lied ins Rennen, das ähnlich dem von 2015 funktioniert. Immerhin ist es dieses Mal kein Liebeslied, sondern ein Lied, in dem eine persönliche Krise besungen und verarbeitet wird. Nach dem Studium fühlte sich Trent ein wenig planlos. Und dafür schrieb er später dieses Lied.
Es tut gut, ein bisschen Optimismus in düsteren Zeiten zu hören, in denen eine akademische Ausbildung, zumal auch im künstlerischen Bereich, schon lange kein Job-Garant mehr ist. Das Lächeln von Nathan Trent im Video verrät, dass er diese Krise längt überwunden hat und, hey immerhin, 2017 Österreich beim Songcontest vertreten darf. Das schafft nicht jeder. Andere singen für kleines Geld in schäbigen Bars und machen gute Miene zum bösen Spiel.
Kein Wunder also, dass sich Nathan Trent in seinem selbstgeschriebenen Lied durch die Strophen schnippt und seine gute Laune nicht verbergen kann. Begleitet werden Stimme und Finger-Schnippen von zarten und leicht funkig-gezupften Gitarren-Akkorden. Ab 0:40 gesellt sich auch noch ein songdienlich agierendes Percussion-Instrument dazu, das Nathan die Hauptrolle als Sänger und Mittelpunkt des Liedes erst gar nicht streitig machen möchte. Etwaige Bassläufe sind über das ganze Lied hinweg weit nach hinten gemischt.
Ab 01:06 setzen weitere Beats ein, das Lied beginnt angelehnt an die ohnehin schon dezent groovige Gitarre leicht zu tänzeln. Ab 1:28 mischen Streicher-Sounds mit, die mehr nach Plastik denn nach Symphonieorchester klingen. Mit 2:01 steuert das Lied schon auf seinen Höhepunkt zu. Die ansonsten meist gezupften Akkorde müssen nun aufgeregten aber nicht unbedingt aufregend klingenden Gitarren-Klängen weichen.
Die Zeit um 2:23 wird wenig später als Gelegenheit genutzt, das Lied kurz vor dem Ende noch einmal mit Piano-Tupfern in melancholischer Gefilde zu manövrieren. Doch keine Sorge. Bereits ab 2:33 ist alles wieder gut. Mit „Yeahs“ und „Oh-Oohs“ bekräftigt Trent, dass er seine persönliche Krise überwunden hat. Mit der Textstelle „Cause I´m Running On Air“ endet der Song bereits bei 2:55. Das Video hingegen nimmt sich noch ein wenig Zeit und streift über die winterliche Kulisse des Achensees, wo das Video gedreht wurde.


Fazit


Welcher Eindruck ergibt sich nach mehrmaligem Hören des Liedes? Vor allem einer: Das Lied ist deutlich besser als das Lied der „Makemakes“ aus dem Jahr 2015. In der Kürze liegt hier tatsächlich eine gewisse Würze. Sowohl Strophe als auch Refrain bleiben hängen. Man ertappt sich gar dabei mit den Fingern schnippend und verhältnismäßig gut gelaunt den Refrain laut vor sich hin zu summen.
Eine Frage aber bleibt: Wird das Lied wirklich genug Leuten nicht wurscht sein? Man darf es bezweifeln. Das Lied ist klar überdurchschnittlich, wenn auch letzten Endes zu nett und im Endeffekt belanglos und Radiofutter für Mainstream-Sender. Das Lied hat nicht die Dringlichkeit des Liedes von Fräulein Wurst und ist nicht dazu in der Lage den Zeitgeist zu kommentieren. Es erzählt letzten Endes von nichts, außer von den Befindlichkeiten von Nathan Trent.
Natürlich kann man es schätzen, dass sich junger und hörbar talentierter Mann hinstellt und sein eigenes Lied zum Besten gibt. Man könnte aber auch sagen: Na und? Das hätte er auch auf einer deutlich kleineren Bühne in Innsbruck tun können. Und außerdem: Ö3-Tauglichkeit darf nicht mit Weltklasse verwechselt werden. Was bleibt ist ein nettes Lied, das wenig reißen und bald wieder vergessen sein wird. Bis dahin kann man es aber zumindest noch ein paar Mal beim Abwachsen oder Geschirrspüler einräumen mitsummen.


Zum Reinhören


Titelbild: (c) Martin Hauser

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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