Plattenzeit #60: Voivod – Dimension Hatröss

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 Laut


Wer sein zweites Album in bester onomatopoetischer Tradition „Rrröööaaarrr“ nennt kann kein schlechter Mensch sein – und schon gar keine schlechte Band. Die kanadischen Schräg-Metaller Voivod sind sogar eine herausragende Band. Zu Unrecht stehen sie im Schatten von Slayer, Megadeth oder Metallica. Das liegt nicht an ihrer Klasse, sondern an ihrer Experimentierfreudigkeit und ihrem Hang zu allzu schrägen Akkorden.
Während besagtes Album mit dem klingenden Titel noch von der wunderbaren Idee beseelt war, Bands wie Slayer in Sachen Schnelligkeit und Härte das Wasser abzugraben änderte sich der Anspruch alsbald. Bereits mit „Killing Technology“ wurde der perfekt und notwendigerweise infernalisch gespielte Thrash-Metal mit sogenannten progressiven Elementen unterfüttert und aufgefettet. Vorbild waren dabei Bands wie Pink Floyd oder King Crimson. Diese gesellten sich zu alten Helden wie Judas Priest oder Motörhead, die bis dahin Pate standen.
Das heißt aber bei Gott nicht, dass jetzt plötzlich lange, sich ziehende Klangflächen Einzug gehalten hätten. Voivod interpretierten den Geist dieser Prog-Bands aus der Wut des Punk heraus. In das Gerase und Gewüte hinein fanden zunehmend angeschrägte Passagen Eingang, die man sonst im Thrash-Metal beim besten Willen nicht findet. Wer mag darf sich die keifende Stimme des Frontmannes wegdenken, das angepisste Getrommle ausblenden und sich nur auf die Gitarren-Passagen konzentrieren. Dann wird man bereits bei „Killing Technology“ wahre Hörwunder erleben.
Dieser wunderliche Hang zum Hörwunder im Kontext eines Genres, das ansonsten eher arm an Wundern und dafür reich an hingerotzter Attitüde ist, wurde bei „Dimension Hatröss“ noch deutlich intensiviert. In recht kurzer Zeit, denkt man daran dass Metallica damals bereits Monate im Studio verbrachten, nahm man dieses Album zum Jahreswechsel von 1987 auf 1988 auf. Irgendwas muss damals in Berlin in der Luft gelegen sein. Das Album ist intensiv, abgefahren und doch experimentierfreudig hoch zehn. Für eine Band dieser Spielart recht untypisch entdeckte man gar die Möglichkeiten der elektronischen Musik und fand sogar Gefallen daran.
Dennoch: Das Album ist nicht das typische Prog-Metal-Album, das man fortan nur allzu oft serviert bekommen würde. Der Einfluss von Voivod auf diese Spielart und auf diverse Bands mit ungewöhnlichen Rhythmen und lustigen Tempowechseln ist aber unüberhörbar. Doch Voivod spielte in einer eigenen Liga. Nicht zwingend weil sie musikalisch und technisch überlegen waren, sondern weil sie sich etwas bewahrten, das andere im Eifer des Prog-Gefechts des öfteren verloren und verlieren: Aggression und Punk. Punk natürlich nicht als Musikrichtung, sondern als unbedingte Haltung sich zu viel zu trauen und auf Erwartungshaltungen gekonnt zu scheißen.
Dilettanten waren Voivod aber nie. Womöglich hat ihnen das der Punk von nebenan nie verziehen. Denkbar auch, dass sie dem durchschnittlichen Prog-Metaller immer zu betont lässig-wütend-metallig waren. Genau das ist aber der große Gewinn der kanadischen Band: In Schubladen kann man sie auch heute noch nicht stecken. Höchsten kann man sich wundern, wie zeitgemäß und interessant „Dimension Hatröss“ auch 2017 noch klingt – und wie es ihnen gelungen ist, feinste Thrash-Riffs und Soli mit „genrefremden“ Elementen zu verknüpfen – und die Sache auch noch so klingen zu lassen, als habe das schon immer so gehört.


Fazit


„Dimension Hatröss“ ist ein waschechter Metal-Klassiker, der aber eigentlich kein „reiner“ Metal sein mag. Stile und Einflüsse wirbeln durcheinander, Disparates wird zum Einheitlichen, technisches Können trifft auf Punk-Rotz. So geht das mit der Musik. So geht das mit der musikalischen Grenzenlosigkeit. So geht das mit einer Platte, die auch dann noch Spaß macht, wenn der damalige Zeitgeist bereits fremd geworden ist.


Zum Reinhören


Titelbild: (c) Voivod, YouTube

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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