Plattenzeit #61: Lorde – Melodrama

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Anspruch


David Bowie, stets der Mann mit den ganz besonderen Antennen für popkulturelle Trends und Zukunftsvisionen, nannte Lorde einst sinngemäß die „Zukunft der Musik“.  Folgerichtig zollte Lorde, eigentlich ja Ella Marija Lani Yelich-O’Connor, dem Pop-Genie bei den Brit-Awards posthum Tribut. Ihr Auftritt sorgte für Furore in den sozialen Netzwerken und darüber hinaus.
Vor wenigen Tagen ist jetzt ihr zweites Album erschienen, das schlicht aber treffend „Melodrama“ heißt. Nunmehr gerade einmal Anfang 20 hat sie sich fast vier Jahre Zeit gelassen um diesen Zweitling auf den Markt zu bringen. Eine enorm lange Zeit, vor allem auch in der glitzernden und schnelllebigen Pop-Welt.
Das liegt womöglich auch an ihrem eigenen Anspruch an ihr Songwriting. Folgt man ihren eigenen Aussagen in den zahlreichen Interviews und Kommentaren zu ihrem Album, dann will sie kein weiteres Pop-Sternchen der Marke Katy Perry sein. So merkt sie auch an, dass sie irgendwann Songs wie Leonard Cohen, Joni Mitchell oder Bowie selbst schreiben möchte. Weiters macht sie keinen Hehl daraus, dass sie Kate Bush verehrt.
Vor allem aus der Kate-Bush-Fangemeinde kommt einiges an Liebe zurück. Tatsächlich erinnert auch einiges an die Adoleszenz der jungen Bush, die auf ihren ersten Alben dokumentiert ist. Nur die Zeiten habe sich geändert. Für verträumtes Elfen-Getue ist in der Gegenwart keine Zeit mehr. Lorde war in New York, hat dort gefeiert, sich von ihrem Freund getrennt. So etwas überfordert und tut weh. Eine optimale Situation um Songs zu schreiben.
Das Leben von Lorde scheint generell eine einzige große Party zu sein. Nur dass sie sich bei diesen immer nach kurzer Zeit zurückzieht und lieber liest. Manchmal wird danach oder davor auch in Taxis geweint. Ganz generell wird viel gewartet und viel darüber gesungen, dass man neunzehn und „on fire“ sei. Dennoch ist das grüne Licht um vollkommen Gas zu geben noch nicht gegeben worden.
Die Songs oszillieren zwischen brillanten Party-Krachern und subtilen Balladen. Auch ihre Rolle als Songwriterin wird verhandelt. Nicht zuletzt kommt sie zur Erkenntnis, dass sie wohl „zu viel“ für viele sei und sie liegen gelassen wird, sobald ihre „Tricks“ nicht mehr funktionieren. Die gute Frau fühlt sich oftmals wie ein Spielzeug, das zur Seite gelegt wird. Manchmal wacht sie auch in fremden Schlafzimmern auf und fragt sich, ob es überhaupt perfekte Orte gibt.
Mit diesen Themen könnte man sich ganz schön verzetteln und ein recht uninteressantes Pop-Album raus bringen, das bald wieder vergessen ist. Lorde schafft es aber in der Tat ausschließlich exquisites Material anzubieten, das sich mehr und mehr in die Gehörgänge einnistet. Kein Song ohne funktionierende Hookline, kein Song aber auch ohne dezente und kluge Verstöße gegen die allzu konventionelle Welt der reinen Popmusik. Lorde möchte nicht nur Pop machen, sondern auch die Kunst nicht ganz zu kurz kommen lassen.
Es gelingt ihr unter dem Ballast ihrer eigenen Ansprüche und ihrer überlebensgroßen Songwriter-Vorbilder nicht zu zerbersten. Zu diesem Album kann man tanzen, weinen, sich wieder jung fühlen und sich zugleich auch tatsächlich fragen, ob man sich dieses ganze Gefühlswirrwarr des Erwachsenwerdens wirklich noch einmal geben möchte.
Doch „Melodrama“ ist kein impulsives, überschwängliches, distanzloses Album, auf dem eine junge Frau ihre Gefühlswelt nach außen kehrt und ihre Gefühle ungefiltert nach außen kotzt. Ihre Stimme ist zwar rau und direkt, aber über ihre Gefühle verfügt Lorde vollständig. Sie findet Kühle und Struktur, wenn es textlich mal allzu heiß hergeht und weiß die Balance zwischen künstlerischem Ausdruck und musikalischem Anspruch zu halten.


Fazit


„Melodrama“ überrascht. Gut möglich, dass man es hier mit einem zukünftigen Klassiker zu tun hat. Es ist aber noch zu früh um das einschätzen zu können. Einstweilen darf man sich über eine enorm talentierte Songwriterin freuen, die erst am Beginn ihre Karriere steht und bereit ist, künstlerische Risiken einzugehen und diese mit den ureigenen Mitteln der Popmusik mit einer großen Hörer-Schar zu teilen.


Zum Reinhören


 Titelbild: (c) Dan Garcia, Flickr.com, Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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