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Über Quoten und Reißverschlüsse

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Warum ist die Frauenquote eigentlich so ein Problem? In Deutschland ringt die CDU seit Jahren um die Umsetzung der Drittel(!)quote für Frauen in ihren Rängen, bei uns haben nur die Grünen das Reißverschluss-System in der Verteilung von Funktionen eingeführt und auch durchgehalten, was dann dazu führte, dass zum Beispiel ein Herr Pilz, weil er den erwarteten Listenplatz nicht schaffte, mit dem übernächsten hätte Vorlieb nehmen müssen. Wie das ausging, wissen wir ja. In Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft sieht es nicht besser aus. Was ist denn da los?

Ältere Semester wie ich erinnern sich noch an Zeiten, wo Reißverschlüsse bei Damen nur zum Öffnen gedacht waren und von einer Frau in höherer Position automatisch angenommen wurde, dass sie sich „hinaufgeschlafen“ hatte (sofern sie hübsch war), oder einen Vater in einflussreicher Position hatte (sofern nicht auffallend hübsch). Am besten, man erfüllte beide Kriterien, dann konnte frau was werden, nahm aber dafür öffentliche Verachtung in Kauf. Man wusste ja Bescheid! Das haben Dinosaurier wie Herr Weinstein über die Jahrzehnte so verinnerlicht, dass sie dieses Schema etwas zu lange für naturgegeben hielten. Und mächtige Frauen wie Benazir Bhutto oder Indira Ghandi kamen an die Macht, weil in ihren Familienclans grad kein passender Mann verfügbar war oder sich ermorden lassen wollte.

Es kamen ab und zu auch Frauen zum Zug, wenn sich die Männer in einer schier unbewältigbaren Krise nicht die Finger verbrennen wollten. Margaret Thatcher oder Angela Merkel, zum Beispiel. Wenn die Kirchenaustritte so weitergehen, wird es irgendwann deshalb (und nur deshalb) katholische Priesterinnen und Bischöfinnen geben, da bin ich mir sicher. Auch für die EU ist es, so gesehen, kein wirklich gutes Zeichen, wenn da eine Frau den Weg bis ganz oben schafft. Ich hätte tatsächlich ein besseres Gefühl, wenn Ursula von der Leyen als Quotenfrau Kommissionspräsidentin geworden wäre.

Und warum bloß ist es so unendlich schwer für 50 Prozent der Weltbevölkerung mit denselben Begabungen und Ausbildungschancen auch die gleichen Ränge zu erklimmen? Sind es bloß die besseren männlichen Netzwerke? Ist es das bei Säugetieren ausgeprägtere Konkurrenzverhalten der Männchen? Aber warum wählen dann in unserer vernunftbegabten Spezies nicht einmal Frauen ihresgleichen, wenn diese zur Wahl stehen, obwohl die Wissenschaft bewiesen hat, dass Frauen als CEOs* bzw. gemischte Teams von Männern und Frauen in der Wirtschaft, und nicht nur dort, die besten Leistungen erzielen?

Ein Zeit-Artikel über Rassismus hat mir die Augen geöffnet.** Hier wird beschrieben, dass es sogar schwarzen Deutschen und US-Bürgern, nachgewiesen durch einen Harvard-Test, leichter fällt, schwarzhäutige Menschen mit negativen Merkmalen und Weiße mit positiven zu assoziieren, sogar die Testersteller selbst oder Anti-Rassismus-Aktivisten reagierten nach diesem Schema. Das wird schlüssig durch unsere Gehirnstruktur erklärt: Bei schnellen, intuitiven Entscheidungen bestimmt das Vorurteil das Urteil, und das Vorurteil bildet sich im Laufe eines Lebens aus positiven und negativen  Begegnungen, also in unserem Fall damit, wie oft wir von klein auf Frauen in anspruchsvollen Positionen wahrnehmen, was mit dem Begriff Frau landläufig in Verbindung gebracht wird, wie sie uns im Alltag, in der Sprache, in der Werbung, in den Medien in tausendfacher Wiederholung serviert wird. Deshalb auch die (vorläufige) Notwendigkeit der Verwendung weiblicher Bezeichnungen mit In/Innen o.ä., obwohl es sprachlich schmerzt.

Um also ein gesundes Verhältnis zu Frauen in Führungspositionen zu bekommen, müssten uns jeden Tag gleich viele Bilder und Sprachendungen in sämtlichen gesellschaftlichen Positionen begegnen wie Männerbilder. Und jetzt wird klar: Das ist nicht der Fall. Schauen Sie sich nur einmal die Pressefotos internationaler Meetings, von „Adler“- und „Löwenrunden“ an. Deshalb brauchen wir Quote und Reißverschluss, auch wenn wir uns auf der bewussten Ebene alle einig sind, dass Frauen ebenso gut führen können wie Männer. Wenn Sie das nicht einsehen, machen Sie einfach den Selbsttest im Internet. Und wenn Sie das alles noch besser und ausführlicher erklärt haben möchten, lesen Sie den Artikel in der Zeit oder testen Sie Ihre eigenen unbewussten Vorurteile zu Rasse, Geschlecht u.a. im Impliziten Assoziationstest auf https://implicit.harvard.edu/implicit/   oder auf: https://implicit.harvard.edu/implicit/austria/background/thescientists.html

Sie werden staunen, was rauskommt, selbst wenn Sie eine emanzipierte Frau oder ein vehementer Verfechter von Frauenrechten sind.  Und ich wette, danach werden Sie „Quotenfrau“ nie mehr als Schimpfwort verwenden und beim Reißverschluss weniger an Kleidung, sondern vielmehr an eine bessere Zukunft denken!

  • * https://www.vienna.at/wu-studie-uebermaessig-selbstbewusste-chefs-reagieren-weniger-rational/6683249
  • ** „Hier fehlen Frauen“, von Matthias Geis und Tina Hildebrandt, in: Die Zeit vom 16. Juli, 2020

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

1 Comment

  1. Liebe Lina!

    Als ich Deinen spannenden Text „Über Quoten und Reißverschlüsse“ gelesen habe, habe ich mich kurz danach gesehnt, auch eine Frau zu sein. Dadurch befände ich mich auch auf der richtigen Seite, der Seite der Opfer, Unterdrückten und Ausgebeuteten und ich müsste als Mann nicht immer die „böse Täterrolle“ bekleiden. Auch könnte ich mich, wenn ich als Frau bereits selbstbestimmt und unabhängig leben würde, mich für die Rechte der überwiegenden Mehrheit der benachteiligten Frauen einsetzen (wenn das ein Mann tut, schwingt ja immer ein vordergründiges in den Hintern-kriechen mit) und könnte endlos Beispiele aufzählen, bei denen Frauen gegenüber Männern die „Blöden“ (pardon) sind, etc…

    (Du erwähnst auch die Kunst. Da hast Du völlig recht. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es inzwischen jedoch in einem Randbereich des Kulturbetriebes. Da können wir auch in Tirol auf eine Vorreiterrolle stolz sein, auf unser Literaturhaus am Inn, wo die Frauenquote mehr als übererfüllt ist – ich weiß natürlich, Einzelfälle.)

    Was das Gendern betrifft, habe ich mich jahrelang – berufsbedingt als Öffentlichkeitsarbeiter*in im halböffentlichen Bereich – damit abgeplagt, teilweise fast unleserliche Texte zu verfassen/verfassen zu müssen, um den Maskulin/Femin Vorgaben einigermaßen zu entsprechen.

    Inzwischen gibt es amtlicherseits ja ein weiteres Geschlecht. Das wird sicher eine neue Herausforderung, wobei mir die Bezeichnung „divers“ als Geschlechtsbezeichnung sehr gut gefällt. „Divers“ das trifft ja auf alle Erdenbürger zu und vielleicht gelingt es unseren Dichtern und Schriftstellern eine „diverse“ Sprache zu entwickeln, wo dann niemand mehr beleidigt, unterdrückt etc wird, sondern jeder gleichberechtigt behandelt wird.
    Den Test, den Du in Deinem Beitrag anbietest, werde ich natürlich machen. Es wird sicher das von Dir prophezeite Ergebnis herauskommen.

    In alter Freundschaft
    Elias

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