Die Ringelblumenbotin # 5: Das grüne Mittelalter

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(c) Oliver HallmannMittelalterCreative Commons CC-BY Oliver Hallmann, flickr.com

Die hiesigen Reformhausbesucher können sich der Flut an hellgrün etikettierten Kräutertinkturen, Pastillen und Tees ja kaum erwehren. Die schwarz gewandete Benediktinerin im Logo scheint in vielen Menschen ein ähnlich naives Vertrauen auszulösen wie das Ja! Natürlich-Schweinderl oder die Stimme von Peter Rapp.
Die Nonne aus dem 12. Jahrhundert, die so gerne dem Goldwein zusprach, hat sich als regelrechte Goldgrube erwiesen. Vieles von dem, wo „Hildegard“ draufsteht oder was ihr zugeschrieben wird, ist nicht original und manchmal sogar schlichter Etikettenschwindel. Besonders amüsant ist etwa das „Hildgard-Kartoffel-Kochbuch“ oder die „Hildegard-Zahnpasta“.
Dabei wäre das gar nicht dringend nötig, weil tausende Seiten an heilkundlichen und religiösen Schriften aus der Feder dieser beliebten Volksheiligen überliefert sind. Und die sind voller hanebüchener oder wirksamer Rezepte, esoterischer Ratschläge und wissenschaftlicher Beobachtungen, Binsenweisheiten und mystischer Einsichten. In unseren von der Aufklärung verdorbenen Augen ist Hildegards Ansatz vor allem eines: widersprüchlich. Das macht es umso spannender, sich darauf einzulassen und zu sehen, was für die Gegenwart noch oder wieder aktuell ist; was der modernen Medizin vielleicht fremd ist; was uns abgeht, ohne, dass wir je darüber nachgedacht haben.

Kniffe aus dem 12. Jahrhundert

Hildegards Heilkunde ist vor allem naturbezogen, geht von Kräften im Menschen und Kräften in Pflanzen aus, die in richtiger Kombination ein gutes Leben produzieren. Heilkräuter sind zum Beispiel von einer geheimnisvollen „Grünkraft“ erfüllt, die belebt und heilt.
Zu ihren Lieblingskräutern zählt zum Beispiel der wilde Feldthymian, auch „Quendel“ genannt. Der wirkt antibakteriell und entzündungshemmend, vor allem bei Husten und Hautkrankheiten.
Berühmt sind auch Hildegards Weintinkturen, der stärkende Herzwein mit Petersilie und Honig, den jeder begeisterte Selbstversorger in der Küche brauen kann; oder der stärkende Goldwein, in dem man ungeliebte Schmuckstücke upcyclen kann. Der reinigende „Maitrunk“ mit Wermut ist eine beliebte Frühjahrskur, die sich über mehrere Monate zieht.
Überhaupt ist eine Eigenheit der sogenannten „Hildegardmedizin“, dass sie nicht auf schneller, sondern auf langsamer, aber nachhaltiger Wirkung beruht.
Deshalb ist bei Hildegard auch die Nahrung, die wir zu uns nehmen, schon Medizin oder Gift. Vor allem die innere Wärme, die für Gesundheit und Energie sorgt, zieht der Mensch aus Nahrungsmitteln. Ihre Favoriten: Dinkel, Kürbis, Kastanien, Äpfel und Quitten. Genau das Richtige für die zunehmende Kälte. Am besten nach den überlieferten Rezepten aus dem 12. Jahrhundert.
 

Hildegard- statt Schulmedizin?

Es wäre sentimental, ausschließlich einer „Hildegard-Medizin“ folgen zu wollen. Hildegards Ansatz ist viel eher intuitiv als systematisch. Das hat seine Tücken, aber es ist auch bewundernswert – und verlangte auch im Mittelalter, das ja in Wirklichkeit viel rationaler war, als wir gerne glauben, viel Selbstbewusstsein.
So hatte die Äbtissin, die Kaisern ungebetene innenpolitische Ratschläge erteilte und sich noch als 80-Jährige mit den Oberen der Kirche anlegte, so einiges zur Rolle der Frau zu sagen. Und die lag jedenfalls nicht im unterwürfigen Schweigen hinter dicken Klostermauern, sondern in der Politik, der Philosophie, dem Schreiben, Komponieren – und eben in der Heilkunde.
Heilung ist aber nicht nur eine Frage der richtigen Prapärate. Sie hat mindestens gleich viel mit dem zu tun, was wir heute abwertend „Placebo“ nennen: Der Wunsch, gesund zu werden. Wer den nicht hat – und Hildegard selbst gehörte zu jenen, die häufig und heftig aus Überforderung krank wurden -, bleibt malad. Ganz einfach.
Was es dazu braucht? Heilung ist neben vielem anderen eine Frage der Beziehung: Des Inneren zum Äußeren. Des Menschen zu seiner Umwelt. Des einen zu den anderen. Des Arztes zu seinen Patienten. „Wie könnt ihr Heilmittel geben, ohne eure Tugend dazutun?“ Die ist ganz sicher kein Allheilmittel. Aber sie geht uns doch ein wenig ab, in diesen entzauberten Zeiten.

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