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Warum das Geschlecht beim Schreiben zählt

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Talent vor Geschlecht. Es ist schließlich egal, ob eine Frau oder ein Mann schreibt, solange die Qualität passt. Doch das stimmt so nicht. Denn es hängt viel am Sex – sowohl als Akt als auch als biologische Geschlechtlichkeit verstanden.

Zahllose Kulturtheoretiker haben sich jedenfalls bereits daran abgearbeitet, das „weibliche“ Schreiben zu erklären oder überhaupt erst zu definieren. Dieses sei tendenziell kreisender, weniger zielgerichtet und dadurch letzten Endes auch poetischer.

Männer hingen planen mehr und kennen das „Ziel“ schon bevor sie überhaupt den ersten Satz geschrieben haben. Frauen lassen sich also mehr treiben und von Worten förmlich überreden, Umwege zu nehmen, während Männer nach vorne preschen und die Worte im Griff haben wollen.

Es ist damit nahe liegend, dass bei all diesen Überlegungen auch die Körperlichkeit und die Sexualität eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen. Frauen begehren anders als Männer, bewegen sich anders in der Welt und erleben Sex anders. Dazu lohnt es sich Sex als den Geschlechtsakt anzusehen.

In einer heterosexuellen Beziehung zwischen Frau und Mann ist die Penetration ein wichtiger Bestandteil des Sexlebens. Obwohl es, je nach Stellung, möglich ist, dass die Frau mehr oder weniger Kontrolle über den Akt hat, ist es letzten Endes der Mann, der gibt, während die Frau empfängt. Der Mann überschreitet die körperlichen Grenzen und die Frau lässt es im Akt bereitwillig geschehen.

Selbst der einfühlsamste Mann, der auf den Orgasmus seiner Freundin oder Frau achtet, erlebt Sex als Klimax, als eine stetige Hin-Bewegung zum eigenen Höhepunkt. Das oftmals angestrebte Ziel gemeinsam zu kommen ändert nichts an der Tatsache, dass sich der „Weg“ bis zu diesem Ereignis bei Mann und Frau im Erleben gravierend unterscheidet. Beim Mann ist die Bewegung teleologisch und der Höhepunkt nur logische Konsequenz, bei der Frau das „Ergebnis“ von kreisender und an- und abebbender Lust.

Auch das Erleben des Höhenpunktes unterscheidet sich: Die Frau überkommt es wellenartig, sie ist überwältigt, während sich beim Mann das sich anstauende Lustempfinden metaphorisch und tatsächlich entlädt.

Es wäre vermessen, den gesamten Akt des Schreibens als rein körperlich-sinnlichen Akt zu beschreiben, der ähnlich wie Sex vonstatten geht. Schreiben ist auch Denkleistung, kühnes Hirngespinst und Struktur-Versuch. Schreiben ist aber auch nicht vollständig trennbar vom eigenen Dasein als sexuelles Wesen. Der in der Welt seiende Körper mischt sich immer wieder in den Diskurs und in den Prozess des Schreibens ein.

Schließlich ist schreiben, ähnlich wie Sex, auch ein Zustand, in dem wir ganz bei uns sind und so manche Maske fallen lassen. Wir schreiben, was wir nicht auszusprechen wagen würden und begeben uns in Abgründe, vor denen es uns eigentlich schaudert.

Das ist der Tatsache geschuldet, dass es uns beim Schreiben oftmals überkommt, fein säuberlich gehegte Pläne dadurch über Bord geworfen werden müssen und wir ins insgesamt in den Möglichkeiten der Wörter und Sätze verlieren. Eines führt zum anderen und alles entlädt sich, wenn alle Parameter passen, in einem Wortgewitter.

Das Geschlecht und das geschlechtliche Erleben in der Welt zählen also. Es macht einen Unterschied, ob ich mich als Frau oder als Mann abseits der eigenen vier Wände bewege. Es ist ein Unterschied, ob ich als Frau in der Öffentlichkeit ständig nach meinem Körper und meiner Kleidung beurteilt werden oder ob das nur Beiwerk zu meiner Persönlichkeit ist.

Es ist für das Schreiben allein schon deshalb relevant, weil sich Frauen dadurch tendenziell ihre Rolle in der Welt „erschreiben“ und erarbeiten müssen. Die Möglichkeit, sich selbstbewusst und selbstbestimmt sexy zu kleiden und sich zugleich selbstbewusst dagegen zu wehren ein Sexobjekt zu sein, ist zentral.

Letzten Endes ist schreiben aber so mächtig, dass biologische Tatsachen und Körperlichkeit für Zeiträume ausgehebelt werden können. Auch wenn ein Mann nie empfinden kann, was eine Frau beim Sex empfindet, kann er sich beim Schreiben dennoch weiblich fühlen. Er kann die wellenartige Lust der Wortschwaden zulassen, er kann sich lustvoll im Kreis bewegen und das Ziel ganz aus den Augen verlieren. Frauen können auch zielgerichtet und sachlich-kühl agieren.

So ist schreiben geschlechtlich und nicht-geschlechtlich gleichzeitig. Geschlechtlich, weil einen die Erfahrungen und Erlebnisse als Frau oder als Mann anfänglich leiten. Dadurch definieren sich sowohl Thema als auch Stil. Im Prozess des Schreibens kann ich das aber zeitweise auch abschütteln, mich einfühlen, transformieren. Es ist ein schöner, fast erotischer Akt. Und dadurch wiederum dem Sex nahe, bei dem trotz geschlechtlicher Tatsachen Rollen durch Kontrolle und Kontrollverlust ebenfalls verhandelt werden können.

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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