Kleingeist und Größenwahn
Kleingeist und Größenwahn

Was Alois Schöpf mag und was überhaupt nicht

5 Minuten Lesedauer

Man tut gut daran das Buch „Tirol für Fortgeschrittene“ von hinten nach vorne zu lesen. Oder ganz anders. Das darf man. Der Autor selbst gibt dem Leser diesen Freibrief. Es handle sich ja schließlich um eine Enzyklopädie. Die Ordnung sei also willkürlich. Auf eine letztgültige Erklärung der Phänomene will der Autor außerdem verzichten. Einen neuen Mythos vom heiligen Land Tirol will er schon gar nicht forcieren.
Das führt dazu, dass man vor allem viel vom Autor selbst und seinem Bezug zu Tirol erfährt. Bei „Z“ findet sich der Begriff „Zuneigung“. In diesem Rahmen spricht er von seiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter der „Innsbrucker Promenadenkonzerte“. Diese liegen ihm, ganz offensichtlich, besonders am Herzen. Kein Wunder, denn diese sind wohl die Verwirklichung seiner Utopie. Bei dieser Konzertreihe wird sichtbar, wie sich der streitbare Schreiberling das Kulturschaffen in diesem geographisch beschränkten Raum insgesamt vorstellt.
Davon ausgehend gelangt man im Laufe der Lektüre zu einer Sammlung dessen, was Alois Schöpf mag und was überhaupt nicht. Überhaupt nicht mag er beispielsweise unlogisches, unpräzises und vom Katholizismus vernebeltes Denken. Viele seiner Bücher sieht er in einer aufklärerischen Funktion. Vor allem seinen Essay „Kultiviert sterben“ betrachtet er selbst in diesem Kontext. Dass es in Tirol so gut wie nicht rezipiert und rezensiert wurde wiederum bestätigt ihm, dass aufklärerische Diskurse in Tirol, unter anderem wegen dem klerikal-verblendeten Denken, schlicht und einfach ignoriert werden.
Doch nicht nur die von ihm in die Welt gesetzten Diskurse haben es schwer. Auch Alois Schöpf als Person, stets stark in den Text eingeschrieben, hat es schwer. Er lebt am Land und wird bei Festen immer wieder ignoriert und links liegen gelassen. Seine Expertise, etwa in Sachen Blasmusik oder in sonstigen intellektuellen Fragestellungen, ist im Dorf wenig  bis gar nicht gefragt.
Verständlich somit, dass Schöpf von einer anderen Heimat zu träumen beginnt. Diese begegnet ihm oft unvermittelt mitten im Winter vor dem Fernseher. Dort sieht er in einer Bergsteiger-Sendung die ganze Schönheit der Natur. Diese rührt ihn gar zu Tränen. Ähnlich geht es ihm manchmal mit dem Brauchtum.
Tirol könnte so schön sein. Wenn es nur nicht von so viel Kleingeistigkeit und Dilettantismus durchzogen wäre. Letzteren entdeckt Schöpf fast überall. Selbst bei den hochgelobten Festspielen in Erl sieht er bei einer Opern-Inszenierung eine banale Regie und lediglich zwei von fünf Sängerinnen und Sängern die überzeugen. Nur das Orchester selbst unter Kuhn findet seine Gnade.
Damit ist man dem Menschen Alois Schöpf und seinem Verhältnis zu Tirol schon sehr nahe gekommen. Einige seiner Betrachtungen in „Tirol für Fortgeschrittene“ sind trotz ihrer Bissigkeit liebevoll. Schöpf mag Tirol und hat es in Wien damals nicht ausgehalten. Bei aller Zuneigung zu Tirol bleibt er aber ein der Wahrheit verpflichteter Aufklärer. Das führt natürlich zu Konflikten mit seinen Landsleuten.
Bei den „Innsbrucker Promenadenkonzerten“ ist das nicht viel anders. Dort etabliert Schöpf Kunst, wie er sie sich auch an anderen Orten in Tirol wünschen würde. Im Innenhof der kaiserlichen Hofburg sehnt sich so mancher Besucher nach mehr Walzer und weniger zeitgenössischen Werken. Doch sein aufklärerischer Ansatz findet dort immerhin Gehör. Klassische Musik und schwierige Werke werden garniert mit zugänglicheren Kompositionen unters Volk gebracht.
Damit ist, aus seiner Sicht, ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Menschen aller Alters- und Bildungsschichten hören dort Musik so, wie sie laut Alois Schöpf gemeint war. Auf hohem musikalischen Niveau, nicht folkloristisch verklärt oder verkitscht. Dass er den Orchesterleitern und ausgewählten Musikern der Ensembles sein Buch „Tirol für Fortgeschrittene“ als Präsent überreicht, ist da nur logisch.
Die Hoffnung lebt nämlich. Darauf, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer, befeuert von echter und unverfälschter Musik, ihren Weg heraus aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit finden. Die Orchesterleiter, selbst ja schon überwiegend aufgeklärte Menschen, geben bestenfalls außerdem das Buch von Alois Schöpf an noch vernebelt oder klerikal Denkende weiter. Mit dessen Hilfe finden auch diese dann ans Licht der Aufklärung und lernen Rationalität und scharfes Denken kennen. Eine andere Heimat ist möglich!

Titelbild: (c) Innsbrucker Promenadenkonzerte

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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