Lohnt sich das? Vorurteile

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(c) pedro alves, taken in S.Domingos de Rana, flickr.com


Ich bin ein 29 Jahre alter Autor und Inhaber einer Kommunikationsagentur. Vor dem Einstieg in die Berufswelt durfte ich maturieren und studieren. Meine Eltern haben mich weltoffen erzogen und mir beigebracht möglichst vorurteilsfrei durch die Welt zu laufen. Mein einziger Fauxpas: Bei uns in der Straße lebte während meiner Kindheit ein Mann afrikanischer Herkunft. Er studierte in Innsbruck Medizin und soll aus Ghana gekommen sein. Sein (Spitz-?)Name war Bobo. Mein vierjähriges Ich dachte lange, dass alle Schwarzen Bobo heißen. Das wars dann aber auch schon wieder. Mehr „Fehltritte“ habe ich mir bisher nicht erlaubt. Den einen oder anderen anrüchigen Witz, den man mit leichter Schamröte im Gesicht seinem engsten Freundeskreis erzählt, mal ausgeklammert. Aber auch hier waren es höchstens eine Handvoll und nur zur Spitze des pubertären Ungehorsams.
Nun liegt meine Pubertät schon einige Jahre zurück und auch Bobo ist längst weggezogen. Ich sitze an meinem Schreibtisch und arbeite an einer neuen Kolumne für die „Lohnt sich das“-Serie. Die Themenliste ist lang. Aber ein Wort springt mir immer und immer wieder in die Augen: Vorurteile. Sind wir wirklich so vorurteilsfrei und weltoffen, wie wir es gerne wären? Haben wir, sprich meine Generation, die in einem Europa der offenen Grenzen und in einer globalisierten Welt aufgewachsen ist, wirklich keine Vorurteile mehr? Und warum gibt es Vorurteile überhaupt? Aus Angst vor dem Fremden? Aus Unwissenheit? Oder aus Selbstschutz? Sind Vorurteile gar nicht so böse oder sind sie noch böser, als ich es mir vorstelle? Vorurteile, lohnt sich das? Und wenn ja für wen?
Bevor ich mir weiter Gedanken mache, möchte ich einen Selbstversuch wagen und ich lade alle ein, es mir gleich zu tun. Ich werde nun gleich 20 Nationalitäten beziehungsweise Länder auflisten und die ersten Eigenschaften, Attribute, Vorurteile, Assoziationen und Wörter aufschreiben, die mir dazu einfallen. Mal schauen wie weltoffen und vorurteilsfrei mein 29-jähriges Ich wirklich ist.
Deutschland: zielstrebig, genau, verlässlich, verbissen, langweilig, prüde, Philipp Lahm
USA: fett, Burger, ignorant, Waffen, konservativ, hinterwäldlerisch, Football
Spanien: Siesta, Fiesta, Stierkampf, faul, Jugendarbeitslosigkeit, Sonne, Lebensfreude
Italien: Mafia, korrupt, pleite, Pasta, Essen, Tomaten, Kultur, faul
Kroatien: arm, aufkommender Tourismus, aggressive Fußballer, stolz, Meer, Krawatte
Serbien: aggressive Fußballer, heißblütig, Nationalstolz, Stolz, Revolution
Kamerun: Löwen, Eto’o, lebensfroh, bunt, stolz, laut
Mexiko: Mafia, faul, träge, dick, korrupt, überfüllt, Millionenstadt
Nigeria: grün-weiß, Fußball, Adler, Lehmhütten, Lagos ist nicht die Hauptstadt
Thailand: Sextourismus, gibt schöne und weniger schöne Hälfte, Elefanten, Urlaubsland, Strand, immer lächelnd, falsch
Indien: überfüllt, immer lächelnd, Kasten, Tote im Fluss, Curry, unangenehmer Geruch, fremde Welt, faszinierend
Australien: giftige Tiere, eigenbrötlerisch, intolerant, ausgrenzend, naturverbunden
Israel: Militär, unecht, schwierige Lage, religiös, stolz, unnachgiebig, Terror gehört zum Alltag
Island: Eigenbrötler, naturverbunden, extreme Kälte, lustig, lebensfroh, herzerwärmend, nett, freundlich
Irland: Alkohol, Pub, schlagkräftig, lustig, singen gerne, feiern gerne, grün
Kanada: weltoffen, die bessere USA, tolerant, naturverbunden
Südafrika: Rassismus, gefährlich für Touristen, schöne Natur, schwierig
Frankreich: Essen, intolerant, lernen keine Fremden sprachen, Froschschenkel und Schnecken, Kolonialmacht
England: unglaublich eigensinnig, royal, stolz, richten es sich, wie sie es brauchen, Inselvolk, Arbeiter, Fußball, Party, Alkoholexzesse
China: viele, grob, fleißig, verbissen, gedrillt, keine individuelle Freiheit, spucken rum, andere Sitten, sehr fremd
Fazit: Beim Schreiben war es nicht so schlimm. Beim Lesen deutlich schlimmer. Ganz so vorurteilsfrei und positiv, wie ich mir das gedacht habe, ist mein Verstand wohl doch nicht. Aber immerhin habe ich es nun Schwarz auf Weiß. Viel deutlicher und bewusster konnte ich mir es selbst nicht machen. Mal schauen wie die Liste in einem halben Jahr aussieht. Vorurteile – lohnt sich das? Nein! Vorurteile regelmäßig aufschreiben – lohnt sich das? Definitiv. Es ist die beste Medizin.

Glaubt an das Gute im Menschen. Eigentlich Betriebswirt. Hat das ALPENFEUILLETON ursprünglich ins Leben gerufen und alle vier Neustarts selbst miterlebt. Auch in Phase vier aktiv mit dabei und fleißig am Schreiben.

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