Kleingeist und Größenwahn
Kleingeist und Größenwahn

Wie es ist als einzige Person Sebastian Kurz zu wählen

5 Minuten Lesedauer

26 Fragen haben mich ins Verderben gestürzt. Seither halte ich mich selbst endgültig für einen schlechten, unsozialen Menschen. Andere haben es hingegen richtig gemacht. Die KPÖ erwies sich bei ihnen als die Partei, mit der sie am meisten inhaltliche Übereinstimmungen hatten. An letzter Stelle landete, eh klar, die „Liste Kurz“. Noch hinter der FPÖ. Kein Wunder, denn Sebastian Kurz ist ein liberaler Anti-Kommunist der übelsten Sorte.
Ich brachte es damals einfach nicht übers Herz, mein Ergebnis öffentlich zu teilen. Weil es das falsche Ergebnis war. Weil es mich enttarnt hätte. Die ÖVP/Liste Kurz/Die Neue Volkspartei (oder wie auch immer die korrekte Bezeichnung im Moment sein mag) landete bei mir an erster Stelle. Knapp gefolgt von der SPÖ und den NEOS. Ganz weit abgeschlagen, als Schlusslicht im Minusbereich, schien erst die segenbringende KPÖ auf. Grüne Positionen spielten ebenfalls offenbar keine Rolle bei meinen politischen Vorstellungen.
Die Flut an Postings und Online-Bekenntnissen in meinen sozialen Netzwerken wiesen mich als absoluten Außenseiter aus. Ich war der einzige, der mit der „Liste Kurz“ liebäugelte. Die Online-Meute hätte sich auf mich gestürzt, wenn ich das laut ausgesprochen hätte. Denn dieser Ersatz-Strache, Anti-Humanist und neoliberale Unheilsbringer Kurz war schon seit einigen Wochen zum Hass-Objekt Nummer 1 auserkoren worden.
Selbst an sich vernunftbegabte Uni-Dozentinnen griffen rhetorisch hart an. Man sollte doch bitte schön Strache wählen, denn da wüsste man immerhin, dass er ein Rechtsradikaler sei. Sich mit Strache sehen zu lassen und zu seinen Ansichten zu stehen sei weitestgehend verpönt, Kurz und seine Thesen hingegen salonfähig. Und eben da liege das Problem.
Was war nur passiert, dass ich das nicht so sah? Dass ich nicht bemerkte, dass Kurz nur FPÖ-Slogans kopierte und der Strache im Kurz-Pelz war? Wie nur war ich mittlerweile drauf, dass ich nicht Abhandlungen darüber schrieb, dass mich das mit Kurz und der neuen Volkspartei doch stark an des Kaisers neue Kleider erinnerte? Warum nur wiederholte ich nicht wie ein Mantra, dass der gestrige Auftritt von Kurz wieder grauenvoll war und er nicht viel mehr als heiße Luft und eloquentes Nichts produziert hatte? Es lag doch auf der Hand. Warum erkannte ich die Wahrheit nicht?
Dabei stand ich der ÖVP eigentlich nie sonderlich nahe. Lange Zeit hatte ich „brav“ und korrekterweise Grün oder SPÖ gewählt. Mittlerweile ist mir die selbstgefällige Art der Grünen ein Gräuel. Begonnen hatte es mit dem Wahlkampf um Van der Bellen. Damals hätte ich beinahe, wenn der Protest nicht so billig gewesen wäre, ein Kreuz bei Norbert Hofer gemacht. Einfach um zu zeigen, dass es so nicht weitergeht und dass die Dichotomie zwischen „Gebildete Richtigwähler“ und „Ungebildete Falschwähler“ so nicht mehr zu halten war.
Genau das kehrt jetzt gerade wieder. Wer bei der „Wahlkabine“ nicht KPÖ oder zumindest die Grünen an erster Stelle hatte, war vom korrekten Weg der politischen Vernunft abgekommen. Nun wäre es natürlich ebenfalls platt und wenig originell, aus Widerstand gegen dieses Denken Sebastian Kurz zu wählen.
Es gibt aber andere Gründe. Ich fand bisher ausnahmslos jeden seiner Fernsehauftritte souverän. Ich finde seine Positionen absolut legitim und folgerichtig. Ich mag die Klarheit seiner Sprache und die Fähigkeit mit sachlicher Strenge jenseits von Gefühlsduselei und politischen Dogmen Misstände zu thematisieren.
Ob ich das besser nicht hätte schreiben sollen? Kann sein. Aber ich glaube nicht mehr an die Utopien von Parteien der Marke KPÖ oder Die Grünen. Lieber als Utopisten und Gefühlspolitiker habe ich tatsächlich einen Pragmatiker und Klartext-Reder an der Spitze. Aber womöglich liege ich ganz falsch und sehe die Realität nicht. Das liegt wohl daran, dass ich vor wenigen Monaten endgültig vom Pfad der Erleuchtung und der korrekten politischen Sichtweise abgekommen bin und seither nur mehr halluziniere. Es kann aber auch gut sein, dass ich seither klar wie selten zuvor sehe, ganz ohne Scheuklappen.

Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

1 Comment

  1. Die fpö wegen „Einfach um zu zeigen, dass es so nicht weitergeht…“ ist mal vollig hirnrissig. Als ob die irgendwas ändern, und wenn ja dann ziemlich sicher nich zum besseren (zumindest für meine moral- und wertevorstellung).
    Ähnlich sehe ich das auch bei kurz. „Ich mag die Klarheit seiner Sprache…“. Ja aber was sagt er denn mit seiner klaren sprache? Nichts. Schlicht und ergreifend. Man muss ja fast schon dankbar sein, dass sie ihr programm VOR der wahl der bevölkerung präsentieren! Nicht falsch verstehen, ich habe persönlich (inzwischen) auch ein problem mit fast allen parteien (außer mit den rechten – da hab ich das problem immer schon), aber kurz für sein vorgehen zu loben (oder zu wählen) ist wie den metzger für seine tierliebende und schonende schlachtmethode zu loben. Und nur damit es kein missverständniss gibt: Wir (die bevölkerung) sind das schwein auf der schlachtbank

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