(c) Helmuth Schönauer

Geheimes Plauscherl

3 Minuten Lesedauer

In Österreich ist der Geheimdienst so geheim aufgestellt, dass die Bevölkerung gar nicht mitkriegt, dass es vielleicht eine solche Einrichtung gibt.
Erst als im Zuge eines Terroranschlags in der pittoresken Wiener Innenstadt des Gerücht aufkeimt, der Geheimdienst habe Erkenntnisse über den späteren Attentäter nicht ernst genommen, fangen einige zu googeln an, werden aber naturgemäß nicht fündig. 

Es bedarf der Klage von Hinterbliebenen der Terroropfer, dass man überhaupt vage etwas über Nachrichtendienste zu ahnen beginnt.
Und die Klage gegen die Republik dürfte auf gut österreichisch „für den Kren“ sein, weil sich niemand mehr erinnern kann, jemals etwas Geheimes gemacht zu haben. In Österreich ist nämlich alles ein Gerücht, was man nicht auf Anhieb jemandem zuordnen kann. 

Während in Österreich also alles nicht wahr ist, was nicht als James Bond von der Leinwand glotzt, reißt man sich im Ausland geradezu um Agenteneinsätze in diesem magischen Land, worin ununterbrochen Melange und Strudel fließen. 

In allen Ländern mit echtem Geheimdienst gibt es Wartelisten für den Einsatz in Austria. Selbst die größte Agentennuss kann zu hohem Ansehen gelangen, wenn sie nach einem Wien-Einsatz in ihr Heimatland zurückkommt.
In der ehemaligen Habsburger-Hochburg musst du als Agent ein Jahr lang mit schlauen Füchsen zusammensitzen, dann wirst du aus Sicherheitsgründen wieder abgezogen. Nach einem Jahr Einsatz in der Plauscherl-Metropole sind die meisten mit Fettleber und Fettgsicht ausgestattet, manche werden zuhause sogar mit einem Strudel verwechselt und müssen in Quarantäne, damit man sie nicht auf offenem Gehsteig als Süßigkeit verspeist. 

Freilich hat die Gastro-Sperre der letzten Monate den Agentenfluss etwas gebremst. Wenn es keinen Strudel mehr gibt, gibt es auch keine Nachrichten. Und wie willst du als Agent mit einem Österreicher Informationen austauschen, wenn dieser nicht einmal weiß, dass es ihn gibt? 

In Satirezeitungen wird immer wieder der Scherz abgedruckt, dass Österreich eine noch dichtere Stasi-Fallzahl hat als die ehemalige DDR. Jeder Zweite im Café ist üblicherweise ein FMR (freier Mitarbeiter der Regierung).
Wenn alle auf Kurs (Kurz) sind, braucht es im Agentenfinale schließlich niemanden mehr, der Abweichler beobachtet. 

So wird dieses selige Land wohl dereinst als Ganzes selig gesprochen werden, weil es einen so menschlichen Geheimdienst installiert hat. Ab und zu wird es noch Terror geben, aber es ist alles halb so schlimm, wenn du dich anschließend bei einer Melange darüber echauffieren kannst. 

„Ich hatte ein Plauscherl mit dem Geheimdiensterl“, sagen oft Kaffeehaus-Sitzer, wenn sie zu Hause von ihren Abenteuern in Österreich berichten. 

STICHPUNKT 21|17, geschrieben am 02/03/21

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.