Zur Aktualität des Wiener Aktionismus

16. April 2015
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Die Ausstellung zeigt unter anderem Performances der Wiener Aktionisten Günter Brus, Otto Muehl, Rudolf Schwarzkogler, Hermann Nitsch, Joseph Beuys und der Aktionistin VALIE EXPORT, als auch internationaler PerformancekünstlerInnen wie Marina Abramović, Carolee Schneemann, Yoko Ono, Ion Grigorescu. Auch die Wiener Gruppe rund um Oswald Wiener stellte den Versuch an, das konservative Verständnis von Literatur und Musik zu überdenken und sich experimenteller Darstellungs- und Ausdrucksformen zu bedienen. Beispielsweise machte sich Joseph Beuys ein von Nam June Paik ausgestelltes Klavier zur Klangerzeugung zu nutzen, indem er es zerschlug. Interessant ist hierbei die Parallele zu Pete Townshend, der nach einem gespielten Konzert dasselbe mit seiner Gitarre zu tun pflegte. Eventuell war auch diese Aktion Ausdruck einer Erweiterung des Musikbegriffs.
Der Wiener Aktionismus der 60er Jahre verstand sich als Mittel des gesellschaftspolitischen Protests, vor allem in Hinblick auf den zu dieser Zeit stattfindenden Vietnamkrieg, der in all seiner Härte auch medial wirksam wurde (man denke nur an einige berühmte Fotografien, die währenddessen entstanden sind). Es sollten tradierte Formen der künstlerischen Darstellungsweise in Frage gestellt und überschritten werden. Dem Körper kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, der die gewohnte Bildebene überschreitet und selbst zum Bild bzw. zum Träger von Malerei wird. Angestrebt wird eine Sichtbarmachung des Verdrängten und Triebhaften, des vermeintlich Irrationalen, das in die herrschende Vorstellung von Rationalität so gar nicht passt. Die sich aufdrängende Frage: Wofür das Ganze? stellt sich lediglich in Hinblick auf eben diese herrschende ratio, der Vernunft, auf das vermeintlich metaphysisch-Vernünftige. Und dass sie sich immer noch stellt, zeigt, wie brisant die Themen des Wiener Aktionismus auch heute noch sind.

Grenzüberschreitung

In diesem Kontext können verschiedene Formen der Grenzüberschreitung thematisiert werden. Einerseits galt es herauszufinden, wie die Grenzen des körperlich Erträglichen erreicht werden können. Auf die wofür-eigentlich-Frage zurückzukommen, soll ein Beispiel herangezogen werden. Wenn Marina Abramovic ihre Haare mit einer Wucht bis ans Unerträglich kämmt, kann dies zwar als persönliche Challenge seitens der Künstlerin interpretiert werden – diese Interpretation kommt hingegen zu kurz. Der Titel dieser Performance lautet „Art Must Be Beautiful, Artist Must Be Beautiful“ (1975) und wie dieser suggeriert, geht es um Schönheit in Hinblick auf Kunst und Künstler/in. Der physische Schmerz stellt hierbei nur e i n e n Aspekt innerhalb der Performance dar. Vielmehr geht es um Schönheitsideale, die sich nicht nur im Alltäglichen, sondern sich auch in der Kunst einnisten. Diese aufzubrechen, kann als ein Ziel der Künstlerin betrachtet werden. Der so euphemistisch klingende Spruch „Schönheit muss leiden“ wird hiermit ins Extreme getrieben. Erst durch das Treiben an die Grenze macht die Künstlerin seine ursprüngliche Bedeutung deutlich und übt somit vor allem feministische Kritik an den herrschenden Idealen, die – tendenziell – Frauen bis an die Grenze des Ertragbaren treiben. Und das geschieht alltäglich und nicht während einer inszenierten Performance.

Photo Credits Mein Körper ist das Ereignis. Wiener Aktionismus und internationale Performance
Photo Credits Mein Körper ist das Ereignis. Wiener Aktionismus und internationale Performance

Günter Brus wagt eine etwas andere Grenzüberschreitung. Während seiner Performance „Wiener Spaziergang“ (1965), der von Rudolf Schwarzkogler gefilmt wurde, beabsichtigte er, komplett weiß und lediglich einem schwarzen Strich, der sich vom Kopf bis zu den Füßen durchzog, bemalt, vom Heldenplatz zum Stephansplatz zu spazieren. Er musste jedoch abbrechen, da ihn Polizisten wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ daran hinderten. Diese wurden unfreiwilliger Teil der Performance. Es lässt sich herauslesen, dass der Künstler eine Form der Ich-Spaltung oder Gespaltenheit im Allgemeinen dabei thematisiert, indem er dieser Metaphorik seinen Körper als Projektionsfläche zur Verfügung stellt.

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