Man höre auch die andere Saite

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Manche würden die klassische Gitarre vielleicht als „vorbelastet“ bezeichnen. Im Laufe der Zeiten wurde sie vereinnahmt von Fado, Flamenco und Folk – sprich, von Tradition und Pathos. So ist das oft bei Klassikern. Die E-Gitarre hat jede Reform überflüssig gemacht. Und da sind wir jetzt.

Von Sole und Solarplexus

Aber nicht alle wollen hier bleiben. Antonio Forcione spielt auch mit Pathos, er spielt auch (mit) Flamenco und Tango. Beizeiten erfüllt er gerne Klischees und spielt gleich als zweite Nummer „Sunstep“ – „Passo del sole“. Aber er lässt sich auch von Percussion und Bass begleiten, und dann geht der Sound weniger ins Herz als  vielmehr in den Solarplexus. Er berührt nicht nur, er fährt ein.
Sein kleines Trio wird von Anselmo Netto und Matheus Nova aus dem brasilianischen Bahia ergänzt. Bei manchen Nummern muss man sich den Drummer aber auch dazudenken, witzelt Forcione, weil er ihn sich nicht leisten kann – das ist zB bei Henry Mancinis „Cool Cat“ der Fall.
Forcione und sein unsicht- und hörbarer Drummer harmonieren jedenfalls hervorragend, so viel kann man sagen. Zudem kann er, der ursprünglich Schlagzeuger war, aber den benachbarten Schuster damit nach eigenem Zeugnis fast in den Selbstmord trieb, auch auf der Gitarre ganz schön drummen.

Die Einleibung des Instruments

Außerdem hat der Jazz auf der klassischen Gitarre einen ziemlich coolen Effekt: In Zeiten, wo Jazz Establishment ist, hat man allerorts vergessen, dass er einmal Rebellion und Antithese war. Wenn Forcione Jazz spielt, hört man das Antithetische wieder.
Die Musik ist bekanntlich – vielleicht neben der Küche – der eine Ort, wo offenkundige Widersprüche erstmal kein bisschen wehtun. Der Widerspruch entsteht im Fall von Antonio Forcione nicht nur zwischen Coolness und triolischem Pathos, sondern auch zwischen verschiedenen puren World Music-Strömungen.
Das wunderbare „Alhambra“ ist gleichermaßen von der maurischen Burg wie von Forciones Roma-Bekanntschaften inspiriert – und es ist erstaunlich, wie gut sich die Gitarre für Vierteltöne eignet.
Da ist es aber auch hilfreich, dass Antonio Forcione seine Yamaha ohne jegliche Zurückhaltung handhabt. Tatsächlich kann man bei ihm deutlich beobachten, was, wie manche behaupten, den guten Musiker ausmacht: Das Verhältnis Mann-Gitarre ist eine „Einleibung“, das Instrument ist wie eine Verlängerung des Körpers, zum unmittelbaren Ausdruck.
Unmittelbarkeit kann Antonio Forcione, aber auch Ironie – wie beim imaginierten Drummer –, und auch Reflexion. Seine letzte Platte, „Sketches of Africa“ ist kein naives Weltmusik-Medley, sondern eine intensive (auch politische) Auseinandersetzung. Entstanden ist das Album in weiten Teilen im äußerst problematischen Simbabwe; der erste Titel, „Madiba’s Jive“, ist natürlich Nelson Mandela gewidmet. Das bietet ganz schön viel Reibungsfläche mit dem etablierten BTV-Publikum.

Ein vielversprechendes Format

Die toninton-Festival ist für gewöhnlich sehr gut besucht, Karten sind begehrt und nicht ganz leicht zu bekommen. Als Format ist es auch wirklich sehr außergewöhnlich: Keiner anderen in Tirol ansässigen Bank ist die Kultur so wichtig, keine andere betreibt diese Leidenschaft mit so viel Qualitätsbewusstsein. Vermutlich sucht sie in ganz Österreich ihresgleichen.
In den letzten Jahren hat es sich ganz schön etabliert, aber es ist – wie Antonio Forciones Jazz-Einschläge – weit mehr als nur Establishment. Das toninton kann man also im Auge behalten.  Das andere kann man Forcione widmen, der seit seinem ersten Auftritt im Treibhaus vor 20 Jahren in letzter Zeit jedenfalls sporadisch nach Innsbruck kommt. Zumindest wenn er in die BTV eingeladen wird. Wer weiß, vielleicht kommt er wieder.
Das toninton-Festival läuft noch übers Wochenende. Heute, Freitag (24.03.) spielen BartolomeyBittmann  eine wilde Groove-Rock-Jazz-Fusion auf Cello und Geige – das  verspricht, sehr spannend zu werden. Richtige Klassik ist dann am Samstag (25.03.) von der blutjungen Pianistin Sophie Pacini zu hören.


Zum Reinhören


 Titelbild: (c) Forcione

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