Plattenzeit #62: Emperor – Anthems to the Welkin at Dusk

4 Minuten Lesedauer

Komplexe Hassmusik


Emperor waren schon immer anders. Während andere Black-Metal-Bands innerhalb weniger Minuten ihre Alben über kaputte Mikrofone einrotzten, kümmerte sie sich lieber um ihre Kompositionen und ihre Musikalität. Selbstverständlich waren aber auch die Jungs in der Band jung. Und ja, auch sie machten den einen oder anderen Blödsinn im dunklen Norwegen. Kein Wunder bei dem Wetter dort, das einen nur auf trübe und misanthropische Gedanken bringen kann.
Dennoch unterscheidet sich die Platte von anderen Einspielung aus dieser Zeit. Die menschenfeindliche Stimmung wird hier nicht mit möglichst viel Primitivismus erzeugt, sondern mit überzeugenden und überraschend musikalischen Einfällen. Spielerisches Können ist bei dieser Art von satanischer Musik nicht der Herrgott in Person, sondern Mittel zum Zweck. Emperor haben die Platte nicht mit musikalischer Limitierung eingerumpelt, sondern benutzen ihre Fertigkeiten um auch noch kleinste Facette des Hasses und der Menschenverachtung darzustellen.
„Anthems to the Welkin at Dusk“ ist zweifellos ihr Meisterwerk. Vor allem deshalb, weil es nicht von der ersten Minute an auf Überforderung und Überflutung des Zuhörers abzielt. Das „ozeanische“ Gefühl des  Black-Metals, das Gefühl von Hass und sägenden Gitarren gleichsam eingelullt und weggeblasen zu werden, wird hier langsam aufgebaut. Zuerst mal ein bisschen Atmosphäre, eine Dosis gespenstischer Gesang. Dann geht es los. Und wie.
Gitarren rasen, Stimmen keifen, Riffs flirren und klingen dabei so kalt wie norwegische Winter. Dazu ein Schlagzeug in atemloser Geschwindigkeit. Sofort fällt dem geübten Metal-Ohr auf, dass Emperor etwas schaffen, woran die meisten Bands in diesem Genre scheitern. Ihre Riffs strotzen nicht vor Klischees und klingen nicht wie schon tausendfach gehört. Auch im Heute klingt alles noch frisch, originell, individuell.
Schnell wird klar: Hass und Weltekel sind viel zu wichtige Gefühle, um sie Dilettanten zu überlassen. Bei Emperor sind diese Gefühle hingegen bestens aufgehoben. Sie machen nicht den Fehler ihrer Ablehnung der Welt so wie wir sie kennen mit möglichst großer Simplizität zu begegnen. Wer wirklich und wahrhaftig hasst, der muss sich schon noch die Zeit nehmen diesen gut und detailliert auszuformulieren. Dem ersten Impuls nachzugeben und nachzugehen ist zu wenig. Es gilt eine plausible Gegenwelt aufzubauen, aus der Gott und diese gottverdammten Christen endgültig vertrieben wurden.
Das konnte diese norwegische Wahnsinns-Band damals wie keine sonst: Überbordende Harmonien, auch mal der Mut zum Pathos und zur großen Geste, in den entscheidenden Augenblicke aber unfassbar präzise und auf den Punkt gebracht.


Fazit


Diese Platte muss man wieder auspacken und abermals mit staunenden Ohren anhören. So wie damals, als wir das Jahr 1997 schrieben. Zimmer abdunkeln, Kopfhörer auf und sofort streift man imaginär durch die Wälder in Norwegen, ist schwarz gekleidet und trägt ein Kreuz um den Hals, auf dem Jesus mit dem Kopf nach unten hängt. Aber eigentlich darf man diesen ganzen Satan-Kram auch beiseite schieben und einfach ein verdammtes geiles Album mit komplexer Hassmusik hören.


Zum Reinhören


Titelbild: (c) metalinjection.com, Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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