Wir brauchen nicht noch mehr Scheiterkultur

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Seit einiger Zeit wird jetzt auch in Österreich öffentlich und publikumswirksam das Scheitern in Szene gesetzt. Die „FuckUp Nights“ sind nicht Ursache, sondern Symptom einer neu heraufziehenden „Scheiterkultur“. In den USA sei man da schon sehr viel weiter. In Österreich sei man als Unternehmer immer noch stigmatisiert, wenn man etwas in den Sand setzt.
Scheitern ist in und wird gerne glorifiziert. Wer nicht scheitert, der hat auch nichts zu erzählen. Wer nichts zu erzählen hat, dem wird auch nicht gebannt zugehört werden. Wem nicht gebannt zugehört wird, der ist am scheitern gescheitert. Das zeigt, worum es eigentlich geht. Dem Scheitern soll nachträglich mit möglichst massentauglichen Narrativen Sinn gegeben werden.
Dabei steht das Scheitern in direkter Verbindung mit einer Kultur des Unvollständigen und des Fragmentarischen. Wenn eine Idee, ein Konzept oder ein Geschäftsmodell scheitert, dann bleibt es beim Fragment. Alles liegt in Trümmern, bevor es zur Blüte gelangt. Bevor es wirklich funktioniert, bricht alles in sich zusammen. Es bleibt bei der Idee, die in der Welt keinen Platz gefunden hat.
Das ist nicht weiter problematisch. Konzepte, Ideen und Modelle scheitern. Problematischer sind die Annahmen, die dahinter stehen. Gefeiert wird nicht das Vollständige, das Erblühte und das Funktionierende, sonder das Zersplitterte und das Dysfunktionale.
Damit wird auch eine Kultur des Flüchtigen forciert. Nichts ist für die Ewigkeit, alles transitorisch. Das passt bestens dazu, wie wir „Realität“ und Kultur rezipieren. Wir lesen und betrachten oberflächlich und flüchtig. Wir denken und führen Dinge nicht mehr zu Ende. Wir lassen sie lieber scheitern als dass wir Unstimmigkeiten und Hindernisse zur Seite räumen. Wir binden uns nicht mehr. Weder an Ideen, noch an Geschäftsmodelle noch an den Partner fürs Leben.
Mit der neuen „Scheiterkultur“, deren Inszenierung auch noch Kulturräume füllt und für den einen oder anderen Lacher sorgt, setzen wir letzten Endes nur unseren eigenen, zeitgeistbedingten Unzulänglichkeiten und Einschränkungen ein Denkmal. Wir zelebrieren unsere erworbenen Scheuklappen. Endlich lassen wir das liegen, was nicht mehr funktioniert. Damit verstehen wir uns sogar noch blendend mit der ebenfalls fröhliche Urständ feierenden Wegwerfkultur.

Titelbild: (c) David Herzig

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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