Liebes Kino, ich liebe dich nicht mehr!

7 Minuten Lesedauer

Wer über das Kino spricht muss zuerst einmal über Film sprechen. Wer über Film spricht muss sich die Frage stellen, was Film eigentlich kann und welche Funktion er hat. Film kann Geschichten erzählen, Film kann etwas zeigen, das ich ansonsten nicht zu Gesicht bekommen hätte. Der Film kann „Fremdes“ und „Exotisches“ für Minuten oder Stunden zu etwas absolut Naheliegendem machen. Er hat es aber auch in der Hand, mich zu irritieren und Aspekte zu zeigen, die sich nicht in mein Leben und in meine Wahrnehmung integrieren lassen.
Was kann aber nun Kino unterstützend zum Film beitragen? Ich denke es ist eigentlich recht simpel: Das Kino hat die Möglichkeit, die Rezeptionweise des Films zu fokussieren und zu lenken. Ich bin frei von Ablenkungen, mein Smartphone ist weit weg oder zumindest auf lautlos geschaltet, der Laptop liegt nicht mehr auf meinem Schoß während ich halbherzig irgendeinen Film ansehe dessen Handlung ich gar nicht wirklich mitverfolge.
Wenn ich ins Kino gehe dann habe ich mich entschieden. Für einen ganz konkreten Film, dem ich mich für eine ganz bestimmte Zeit aussetze. Ich lasse mir etwas erzählen, lasse mir etwas zeigen. Ich gebe mein „Ego“ und mein kulturelles „Ich“ auf und lasse mich möglicherweise gar bewusst irritieren. Ich nähere mich dem Medium Film sehr selten als semiotischer Seher. Ich analysiere nicht, ich gehe dem Film bewusst auf den Leim. Ich lasse mich begeistern, mitreißen, irritieren, berühren.

Ist die Musik von Huun-Hur-Tu und der klangliche und ästhetische Dimension nicht viel stärker, als es ein Film jemals sein könnte?
Ist die Musik von Huun-Hur-Tu und der klangliche und ästhetische Dimension nicht viel stärker, als es ein Film jemals sein könnte?

Als ich vor kurzem Marian Wilhelm vom IFFI Innsbruck traf hat er mir den Film „The Magic Voice Of Grassland“ in die Hand gedrückt. Um mongolischen Kehlkopfgesang ginge es da. Das sei etwas für mich. Um Obertongesänge. Darum, wie die kulturelle Identität dieser Region durch diese Tradition bestimmt würde. Damit fällt der Film eindeutig in die Kategorie Filme, die mir etwas zeigen möchten. Dieser Film will mir zeigen, dass es da noch eine andere Welt gibt, die (für den Seher) fremd und exotisch ist.
Diese Gesänge, die sich ursprünglich auf die Geräusche der Natur beziehen, haben aber in Wahrheit längst Einzug in unsere westlichen Hörgewohnheiten gefunden. Huun-Huur-Tu ist da nur ein Beispiel dafür, dass diese Art des Gesangs und des Umgangs mit Obertönen längst in die westliche Rezeption von „Weltmusik“ angekommen ist. Obwohl der Film durchaus gelungen von den vielen Schattierungen und Differenzierungen dieser Gesangstechnik erzählt, erzählt er mir nichts Neues.
Ich ertappe mich dabei, dass ich möchte, dass er mir weniger erzählt, sondern mehr zeigt. Er soll mir verstärkt zeigen, wie diese Musik klingt, er soll weniger die mittlerweile stattfindende Einbettung des Kehlkopfgesangs in einen akademischen Kontext darstelllen. Im allerbesten Fall sollte er mir weder zeigen, noch erzählen. Er sollte einfach nur „Sein“. Zu Gesang und Gesangstechnik selbst werden. Selbstlos, grundlos.
Möglicherweise ist das der Grund, warum ich den Film und das Kino nicht mehr lieben kann. Dem Film ist es nur möglich zu erzählen und zu zeigen. Er ist notwendigerweise immer ein Ausschnitt der Realität. Der Film trifft bewusste Entscheidungen, was er in seiner Erzählung ein- und ausschließt. Der Film ist das, was für ihn der Fall ist.  Er kann sich nicht selbst genügen. Er ist niemals nur er selbst, zwecklos und ohne Funktion.
Ist Musik nicht "zweckloser" als es das Medium Film jemals sein könnte?
Ist Musik nicht „zweckloser“ als es das Medium Film jemals sein könnte?

Das Kino und die Kinoleinwand werden in dieser Sache nur zu „Erfüllungsgehilfen“ dieser Funktion. Sie unterstützen den Film in seinem Vorhaben etwas zu erzählen oder zu zeigen. Der Film steht dabei immer im Dienste des Diskurses. Der Film steht immer in einem Zusammenhang des „Sprechens-Über“. Der Film ist niemals nur Film, er kann nicht rein ästhetisch funktionieren. Er kann lediglich Kunstgriffe und ästhetische Strategien verfolgen, um etwas zu zeigen oder zu erzählen.
Unter Umständen tue ich dem Medium Film Unrecht. Und es mag sein, dass ich mich mehr auf das IFFI freuen sollte. Ich nehme das Stattfinden lediglich zur Kenntnis, erwarte mir aber persönliche keine ästhetischen Sensationen oder Überraschungen. Der Film kann nicht aus seiner Haut und das Kino kann schlicht und einfach nicht anders, als in eben der beschriebenen Funktion zu stehen.
Ich lasse mir jedenfalls nur noch ungern etwas erzählen, auch wenn es wie beim IFFI zum Teil auf so unkonventionelle Weise gemacht wird. Ich misstraue dem Zeigen von noch so fremden Welten. Ich präferiere den direkt Kontakt, den unverstellten Zugang.
Vielleicht verkläre ich da die Musik. Aber Platten wie das von mir bereits beschriebene „Only Sky“ von David Torn  können „sein“ ohne zu zeigen und ohne zu erzählen. Solche Musik ist selbstlos und zwecklos, allein die klangliche Dimension entzieht sich einer klaren Zuordnung auf eine Funktion und auf ein Ziel hin. Mögliche Erzählungen ergeben sich aus diesem „Nur-Sein“, sind sind aber nicht die Basis.
Ich würde das Kino und den Film gerne wieder lieben. Ich zweifle aber daran, dass das IFFI diese Liebe entfachen kann. Ich lasse mich aber auch gerne eines Besseren belehren. Und, liebe Film-Kenner: Ich bitte um eure Meinung! Verkenne ich das Medium Film?

Titelbild: http://all-inn.at

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

2 Comments

  1. Überschätzt du da nicht die Musik ein bisschen, Markus? Ist sie wirklich so zwecklos?
    Vielleicht hast du als *Konsument* von Filmen und Musik ja recht.
    Ich denke aber doch, dass sich hinter praktisch jeder Musik ein Zweck verbirgt: Ich beginne vielleicht mit den offensichtlichsten:
    – Monetäre Interessen (der Musiker spielt einen „Job“)
    – Erfreuen und/oder Unterhalten des Publikums
    – Freude des Musikers an positiven Rückmeldungen des Publikums
    – Für die eigene Freude des Musikers
    – Zur Selbstverwirklichung des Musikers
    – Für die eigene Psychohygiene des Musikers.
    Warum sollte jemand Musik machen, wenn er oder sie keinen Grund dafür sieht, und sei es unbewusst? Könnte es sein, dass der Unterschied vielleicht darin besteht, dass Musik (abgesehen von finanziellen Gründen) oftmals aus „egoistischeren“ Motiven betrieben wird als ein (Kunst-)Film – und dir als Rezipient möglicherweise deshalb zweckbefreiter erscheint?

  2. Moin moin aus dem Norden, Markus,
    das ist ein spannender Gedanke. Film – erzählen wollen/müssen versus Musik – einfach sein.
    Ich persönlich finde Geschichten toll. Sie bereichern mich.
    Natürlich gibt es auch Zeiten, in denen ich mich darauf nicht einlassen möchte. Aber dann gehe ich halt nicht ins Kino.
    In meinem Leben gibt es Platz für beides und ich kann wählen. Je nach Stimmung. Ich sehe keinen Grund, da ein „besser oder schlechter“ draus zu machen. Jedes hat seine Zeit.
    Übrigens gibt es auch genügend Lieder, die Geschichten erzählen.
    Mich interessiert, was Dich antreibt zu bloggen. Damit „zeigst“ Du ja auch und „bist“ nicht nur einfach.
    Stellst Du dein eigenes „eine Botschaft überbringen wollen“ ebenso in Frage wie beim Film?

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.