Ja, ich wähle Van der Bellen: Warum Künstler und Intellektuelle sich nicht bekennen sollten

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Manchem galt die Politik als die Kunst des Möglichen. Im Heute sind viele realistischer und fordern das Unmögliche. Das trifft sich bestens, hat doch gute Kunst immer auch das Potential Utopien zu entwerfen.
Kunst regt zum Nachdenken darüber an, ob eine andere Welt und eine andere Gesellschaft nicht doch möglich wären. Kunst kann vorwegnehmen und vorab erträumen, was noch nicht ist aber vielleicht bald sein könnte. Wenn nur möglichst viele diesen Traum träumen, dann ist eine tatsächliche Veränderung die logische Folge.
Im Heute ist diese Funktion der Kunst dringender und notwendiger denn je zuvor. Denken, von Kunst angestoßen, lässt sich nicht leicht regieren. Eine Haltung, die an künstlerischen Positionen geschult ist, lässt sich nur schwer vereinnahmen.
In einem konkreten Wahlkampf, so sollte man meinen, tun sich die Kunst, Künstler und Kunstsinnige schwer. Man dürfte vermuten, dass sich aus der Beschäftigung mit der Vielschichtigkeit und Uneindeutigkeit von Kunst vor allem die Position herausschält, nicht (so) regiert werden zu wollen. Wer sich regieren lässt, der lässt sich auch festlegen. Wer eine klare Haltung einnimmt, der wird der Doppelbödigkeit der Kunst untreu. Wer sich klar auf eine Seite schlägt, der verschreibt sich der Evidenz und der Eindeutigkeit.
Die österreichischen Künstler, Kunstschaffenden, Kunstsinnigen und sogenannten Intellektuellen tun sich im Moment überraschend leicht damit, ästhetische Positionen kurzerhand aufzugeben und sich zu bekennen. Eindeutig und ohne Zweifel für Van der Bellen. Weil alles andere eine Zumutung wäre. Seien wir realistisch, verhindern wir mit all den uns zur Verfügung stehenden Mitteln einen Bundespräsidenten, der Nobert Hofer heißt. Bekennen wir uns. Sagen wir klar und deutlich, auf welcher Seite wir stehen.
Dadurch scheint es unmöglich geworden zu sein, Kritik am zweifellos richtigen Kandidaten zu üben. Am Professor. Dem Intellektuellen. Der Lichtgestalt, die uns in eine Zukunft führen wird, in der Milch und Honig fließen. Vor allem für die Kunst, für Künstler und für Intellektuelle. Wenn wir uns jetzt nicht bekennen, wird es dann später zu spät sein.
Meiner Meinung nach haben Künstler, Intellektuelle und die Kunst an sich aber eine andere Rolle: Sie muss unermüdlich kritisieren und darf sich nicht eindeutig bekennen. Sie hätte gerade jetzt die Aufgabe zu kritisieren, zu analysieren, Meinungsvielfalt zu forcieren.
Sie müsste unter anderem darauf hinweisen, dass Van der Bellen zwar strategisch angesichts des Gegenkandidaten die bessere Wahl ist, aber dass wir darüber hinaus alle auch drauf und dran sind, auf die am Politikmarkt mittlerweile bestens etablierte Marke des „Professors“ hereinzufallen, der sich in intellektueller und künstlerischer Hinsicht bisher weniger verdient gemacht hat, als wir es wahrhaben wollen. Möglicherweise haben wir es auch mit einem leicht farblosen, ehemaligen Grünen-Politiker zu tun, welcher der kleinste, da wenig gefährliche und etwas konturlose, Nenner einer in sich zerstrittenen und uneinigen Grün-Partei ist.
Provokant müsste dann klar gefragt werden, ob „grüne Positionen“ auch die Positionen der Kulturschaffenden und der Kunst sind, oder ob das mit manchen grünen Positionen in Verbindung stehenden Klima der Denkverbote nicht per so kunstfeindlich ist. Ist Van der  Bellen tatsächlich der Kandidat der Kunstschaffenden und Intellektuellen, nur weil er als Intellektueller und „Professor“ gekonnt inszeniert und vermarktet wird?
Diese Fragen müssen wir uns stellen. Wir müssen sie stellen, weil damit ein Klima des offenen, freien Denkens und Sprechens einhergeht. In der aufgeheizten Stimmung des herauf beschworenen Lager-Wahlkampfes scheint es nur mehr ein Entweder-Oder zu geben. Der Kunst und dem Künstler sollten aber ein Sowohl-Als-Auch näherliegen. Oder zumindest sollte ihnen ein „Aber“ auf der Zunge liegen, wenn sie sich möglicherweise strategisch und temporär zu einer bestimmten Position bekennen. Dieses „Aber“ nehme ich Moment zu wenig wahr.
Vielmehr scheint es so, dass sich Kunst und Kunstschaffende derzeit bewusst in die Funktion von Wahlhelfern stellen. Das bereitet mir Unbehagen. Weil sich Kunst als System damit vereinnahmen und festlegen lässt.
Sie legt sich fest und wird damit ihrer ureigensten Funktion beraubt: Das Feststehende zu lockern und in Bewegung zu bringen. Die Kunst ist die Utopie des Möglichen und des Denkbaren, das unterdrückt wird. Wenn sie sich festlegt, stellt sie sich in den Dienst der Denkverbote und der Eindeutigkeit. Sie unterdrückt dann das, was auch noch sagbare wäre, worüber man auch noch nachdenken sollte. Sie legt still, anstatt zu bewegen.
Es ist also fraglich, ob der Preis nicht allzu hoch ist, den derzeit Kunstschaffende, Intellektuelle, Künstler und die Kunst selbst bezahlen. Wir werden danach zwar möglicherweise (was zu hoffen ist) einen Bundespräsidenten haben, der Van der Bellen heißt. Künstler, Intellektuelle und Kunstschaffende in Österreich werden aber vielleicht für längere Zeit, wenn nicht für immer, ihre Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit verloren haben. Die utopische und anarchische Kraft der Kunst wird damit zumindest geschwächt.

Titelbild: Marco Riebler

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

1 Comment

  1. Die Kunst ist frei. Der Wahlbürger ist frei. Diese Freiheiten ganz oder teilweise dem Anspruch der selbsternannten Intellektualität einer vergleichsweisen Minderheit zu opfern ist gefährlich. Weil dann der Begriff Meinungsmanipulation nicht mehr weit ist. Kunstverwandte mit rötlich-grünlich-alternativistischer Einfärbung mögen den schillernden Kandidaten favorisieren. Der möglicherweise weniger Intellektualität strahlende Kandidat mit dem eindeutigen Blauton wird den Wählern aber die Eigenschaften signalisieren, die sie von einem verlässlichen Ersten Bürger des Staates erwarten wollen. Intellektualität und Pragmatismus sollten sich in einer glaubwürdigen Persönlichkeit ergänzen.

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