Es geht(´s) mir am Oasch!

Der Mensch ist krisenfest. Dauern Krisen länger, schaut die Welt anders aus.

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Der Mensch ist krisenfest. Wenn es wirklich um etwas geht, ums Überleben zum Beispiel, dann haben wir alle notwendigen Werkzeuge einprogrammiert, die uns dieses Überleben ermöglichen. Bei einer echten Krise schießt Adrenalin in unsere Blutbahnen, wir sind hellwach, spüren keinen Schmerz und sind für jede Eventualität gewappnet. Das funktioniert im akuten Fall hervorragend. Dauern Krisen länger, schaut die Welt anders aus.

Im März sagte ein schlauer Freund zu mir: „I bin gspannt wie sich die Selbstmordrate in den nächsten Wochen entwickelt. De Krise und des alloan dahoam sein, des macht die Leid hinig. I bin echt neigierig ob mehr an Corona oder an die Folgen der psychischen Auswirkungen sterbn.“

Die These, dass eine dauerhafte Krise an die Substanz geht und die Volkspsychie ruiniert, ist keine gewagte, sondern purer Hausverstand. Den Beweis haben unlängst Experten der Med-Uni Innsbruck geliefert. Erste Auswertungen einer Studie dieser Experten legen, laut eigenen Aussagen, den Schluss nahe, dass „sich rund 20 Prozent der Allgemeinbevölkerung aggressiver fühlen (Anm. seit Beginn der Krise).“

Welch Wunder?!

Ein Mensch, der sich ob der aktuellen Geschehnisse nicht aggressiver fühlt, bedankt sich beim McDonals-Verkäufer, wenn die Pommes mal wieder eiskalt sind. Ein solcher Mensch ist kein Mensch, sondern eine gefühlslose Maschine. Ein Roboter, der weder sich selbst, noch die Zimmertemperatur im Homeoffice, noch andere spürt. Dieser Corona-Irrsinn ist zum aggressiv werden. Da führt kein Weg daran vorbei.

Oder was soll ich sagen, wenn ich mir die Hundertschar an saudummen Kommentaren durchlese, die aktuell unter jedem halbwegs realitätsbezogenen Newsbeitrag zu lesen sind?

Anfangs war das noch unterhaltsam. Als diese Kommentare vereinzelt auftauchten, hatte man etwas zum Schmunzeln, während man sich mit der flachen Hand auf die Stirn schlug. Aber heute. Heute muss ich sagen …

Es geht mir am Oasch, wenn ich euren verschwörungstheorieschwangeren Unsinn lesen muss.

Es geht mir am Oasch, wenn ihr mir erzählen wollt, dass diese Pandemie die Erfindung der Politiker und Superreichen sei.
Es geht mir am Oasch, wenn Leute so tun, als wäre das keine Gesundheitskrise und unsere Ressourcen in den Krankenhäusern unendlich.

Es geht mir am Oasch, wenn Menschen die Frechheit besitzen und die aktuelle Situation mit der NS-Zeit vergleichen. Das tut man nicht! Damit macht ihr euch über all jene lustig, die an dem Drecks-Virus verstorben sind, über deren Verwandte und Freude, über das Krankenhauspersonal, die alles dafür tun, damit niemand sterben muss, über die Opfer des Nationalsozialismus und überhaupt am gesunden Menschenverstand. Geht’s noch?

Es geht mir am Oasch, wenn ich Esoteriker, Rechtsrechte und selbsternannte Freiheitskämpfer sehe, wie sie sich gemeinsam gegen „die da oben“ verbünden und für was weiß ich was demonstrieren.

Es geht mir am Oasch, wenn ich Egoisten zuhören muss, die mir erklären, dass sie bewusst keine Maske tragen und andere Menschen treffen, weil in „unserem Alter“ eh kaum jemand einen schweren Krankheitsverlauf hat.

Es geht mir am Oasch, wenn ich unseren Politikern zuhören muss. Ihr habt aus dieser Gesundheitskrise eine Kommunikations- und Vertrauenskrise gemacht. Das zahlen wir weit länger zurück, als das Geld, das jetzt für die Erhaltung unseres System und Wohlstandes eingesetzt wurde.

Es geht mir am Oasch, wenn Panikmacher durch die Gegend rennen und erklären, dass die Welt in den kommenden Wochen untergehen wird.

Es geht mir am Oasch, dass Corona-Erkrankte sich wie Aussätzige fühlen und ein schlechtes Gewissen haben müssen.

Es geht mir am Oasch, dass ich meine Familie nur noch alle hundert Tage zu Gesicht bekomme und mit meinen Freunden nicht einfach auf ein Bier gehen kann.

Es geht mir am Oasch, dass meine Arbeit nur noch aus virtuellen Besprechungen statt echten Gesprächen besteht.

Es geht mir am Oasch, dass Fußballspiele im Freien ohne Zuschauer stattfinden müssen.

Es geht mir am Oasch, dass es nur noch zwei Gruppen gibt, die Corona-Leugner und die Hyper-Panischen.

Es geht mir am Oasch, dass es gerade ist, wie es ist.

Also bitte. Hören wir auf damit. Schnaufen wir kollektiv durch und machen das beste aus der Situation.

Ja, beim ersten Lockdown war es noch einfacher, spannender, weil neu. Und mittlerweile ist es einfach nur noch zum Kotzen. Wir haben uns das nicht ausgesucht. Niemand. Ich nicht. Meine Frau nicht. Meine Familie nicht. Meine Arbeitskollegen und Mitarbeiter nicht. Wahrscheinlich nicht einmal Bill Gates, Sebastian Kurz, Angela Merkel oder Xi Jinping.

„Die da oben“, gibt es. Und sie schwimmen in Geld und Macht. Aber „die da oben“ gab es schon immer. Die ultra-faire Welt, in der alle die gleichen Chancen haben, alle gleich schlau, kreativ, empathisch und erfolgreich sind, die gibt es nicht.

Vor „denen da oben“ habe ich aber keine Angst. Angst bekomme ich, wenn ich sehe, wie sich Menschen in zwei Gruppen aufspalten und die Gräben zwischen ihnen immer größer werden. Zuerst sind es Kommentare. Dann der Verzicht auf Masken oder das Verurteilen von Menschen, die trotz Verschärfungen versuchen ein halbwegs normales Leben zu führen (Anm. dabei Abstand halten und Hände wachen!). Später sind es möglicherweise bewusste Provokationen oder schlimmere Taten.

Davor habe ich Angst. Denn aus einer Gesundheitskrise, die zu einer Kommunikations-, Vertrauens- und Systemkrise geworden ist, kommen wir nur gemeinsam heraus. Um das zu erreichen, sollten wir im Kopf jedoch halbwegs vernünftig bleiben und die 20 Prozent mehr Aggression in sinnvolle Projekte stecken. Mach es zu deinem Projekt!

Machen wir es zu unserem Projekt. Wenn ein Teil von uns „denen da oben“ schon nicht mehr glaubt, weil sie euren letzten Funken Vertrauen verspielt haben, dann seid wenigstens so „gscheit“ und schaut aufeinander. So sind wir schneller wieder aus dem Schlamassel draußen, als ich „es geht mir am Oasch“ sagen kann.

Glaubt an das Gute im Menschen. Eigentlich Betriebswirt. Hat das ALPENFEUILLETON ursprünglich ins Leben gerufen und alle vier Neustarts selbst miterlebt. Auch in Phase vier aktiv mit dabei und fleißig am Schreiben.

2 Comments

  1. Ich gehe mit dir d’accord! Allerdings vermisse ich in der nun schon fast ein Jahr andauernden Gesundheits- und Sozialkrise die Frage nach den Ursachen der Pandemie. Denn, wenn wir – wie die von Dir so verurteilten Coronaleugner, wozu ich nicht gehöre! – nicht davon ausgehen, dass die Pandemie eine reine Hysterie ist, dann müssen wir nach den Ursachen dieser Pandemie fragen. Und die lagen nun mal in China. Konkret im Wildtiermarkt in Wuhan, vielleicht auch wo anders dort. Aber das Virus kommt nun mal aus China! Die Frage ist daher die: Wie verhindern wir solche Katastrophen in Zukunft? Viele werden sagen, nun ist der Schaden schon angerichtet. Und das Virus wird uns erhalten bleiben, aber es wird nicht das letzte gewesen sein, dass von einem sorglosen Umgang, oder besser: einem völlig verantwortungslosen Umgang mit der Natur stammt. Das heißt, wir müssen die Ursachen bekämpfen. Wir müssen Fragen stellen: Warum hat China diese Wildtiermärkte nicht schon für immer geschlossen, als vor einigen Jahren die Sarsepidemie dort ausgebrochen ist, die nur bei uns nicht so wahrgenommen wurde? Oder die Vogelgrippe vor noch längerer Zeit. Warum hat die Weltgemeinschaft nicht China dazu gedrängt, dieses zu tun? Was war die Rolle der WHO darin? Warum wurde China nicht sofort isoliert, als dort die Epidemie ausbrach? Wie viel Korruption stand da vielleicht im Spiel, damit nicht die Einrichtungen, die dafür verantwortlich werden, so etwas zu tun, nicht handelten? Weil China ein zu mächtiger Player ist in der Weltwirtschaft? Ich rede nicht von Verschwörungstheorien, nicht von politischen Machenschaften, Geheimlabors in China oder wo anders. Ich halte mich nur an dem, was bekannt ist und was wir wissen. Wäre es möglich, ja eigentlich so verpflichtetend, China vor einen internationalen Gerichtshof zu stellen, wo es verurteilt wird für gröbste Fahrlässigkeit, für den Tod von mittlerweile wahrscheinlich hunderttausenden Menschen, vielleicht schon Millionen, wenn man die medizinischen Kollateralschäden, sozialen und wirtschaftlichen Folgen dazuzählt? Wenn man da alles zusammenrechnen würde, würde wohl ein hübsches Sümmchen herausschauen, das wohl das gesamte Budget eines Staates niemals tragen könnte. Aber es geht mir um die Verantwortung. Das Virus ist da und es wird nicht mehr verschwinden, es wird unser Leben nachhaltig verändern – nachhaltig jetzt mal nicht im positiven Sinne!- aber es gilt in Zukunft vielleicht noch in seinen Auswirkungen schlimmere Viren zu verhindern! Wir leben nicht mehr im frühen 20. Jarhundert, wo Viren noch nicht bekannt waren, wir leben im Jahr 2020! Und wir wissen über die Folgen solcher Katastrophen. Wir haben die Verantwortung. Und Viren fallen nicht vom Himmel!

  2. Servus Helmut,
    erstmal danke für deinen umfangreichen Kommentar.
    Ja, da gebe ich dir recht. Wenn wir an die Zukunft denken, an „die Zeit danach“, zumindest nach dem akuten Ausnahmezustand, dann sind wir gut beraten die aktuellen Fehler und Schwächen genau zu analysieren. Es geht in einer Krise ja auch immer darum persönlich und kollektiv zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen, im Idealfall die Krise gar nicht entstehen zu lassen. Das ist aus meiner Sicht einen eigenen Text wert und würde den obigen sprengen.
    Generell bin ich der Meinung, dass die Analyse weiter greifen und breiter angelegt sein muss. Nur auf ein Land zu schauen und zu sagen „hey, da läuft etwas falsch“, ist mir persönlich zu wenig.
    Ich finde es wichtig auch bei uns zu schauen, was hat geklappt und was nicht. Wie kommt so ein Virus um die Welt? Wie funktionieren die Informationsketten? Werde Infos weitergegeben? Reden Länder und arbeiten zusammen? Wie funktioniert bei uns im Land die Kommunikation zwischen Behörden und Bevölkerung, die geschützt werden soll? Gibt es Vertrauen in die Systeme? Wie hoch ist die Akzeptanz der Maßnahmen? etc.
    Greife deinen Input gerne auf und mache mir dazu Gedanken bzw. recherchiere. Der Diskurs darüber/dazu kann nicht früh genug beginnen.

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