Stefano Bollani in Innsbruck: Die Schönheit des federleichten Strauchelns

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Heimlich, still und leise, beinahe unbemerkt hat einer der wichtigsten europäischen Jazz-Pianisten gestern ein Konzert in Innsbruck gespielt. Zumindest teilweise, denn mit einem klassischen Solo-Konzert von Stefano Bollani hatte der gestrige Abend im Rahmen der „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ nur bedingt etwas zu tun. Gerade deswegen konnte Bollani aber seine enorme Musikalität voll ausspielen und vor dem begeisterten Publikum unter Beweis stellen. Mit einem Gestus der Lockerheit und Lässigkeit, der eigentlich aber überhaupt keine Lust darauf hat auch nur irgendetwas unter Beweis zu stellen.
Stefano Bollani hat mich schon vor einiger Zeit beeindruckt. Die Aufnahme „Joy in spite of everything“ gehört zum absolut Besten, was ich in den letzten Jahren auf ECM hören durfte. Der italienische Pianist, der sich zuvor schon mit Größen wie Chick Corea an den Tasten messen wollte und sich auch messen konnte, fand hier endgültig die Mitmusiker, die zu ihm passten: Mark Turner am Tenor-Saxophon, Bill Frisell an der Gitarre, Jesper Bodilsen am Kontrabass und Morton Lund am Schlagzeug. Vor allem Mark Turner und Bill Frisell bringen die Kompositionen von Bollani auf diesen Aufnahmen zum Strahlen, erhellen diese, kontrastieren sie, stellen sie an manchen Stellen auch bewusst in Frage und lassen sie federleicht straucheln.

Der italienische Pianist Stefano Bollani: Mit Humor und Witz musikalisch zwischen allen Stühlen! (Bild: Valentina Cenni)
Der italienische Pianist Stefano Bollani: Mit Humor und Witz musikalisch zwischen allen Stühlen! (Bild: Valentina Cenni)

Stefano Bollani bezeichnete dabei im Rahmen eines Interviews zu dieser Aufnahme Bill Frisell als einen „kompletten Musiker“, der weder Jazz noch sonst irgendetwas mache, sondern eben vor allem eines: Musik. Darum geht es wohl auch Bollani – um Musik an sich.
Das mag alles konsequent klingen, vor allem verlangt eine solche Einstellung aber enormes Wissen, makellose technische Fähigkeiten und vor allem berstende Musikalität. „Joy in spite of everything“ ist deshalb so gut, weil alle Bandmitglieder über diese Eigenschaften verfügen, sich aber selbst nicht zu wichtig nehmen und ihre Virtuosität niemals ungustiös ausstellen und vorführen. Möglicherweise kann man das dann „kammermusikalisch“ nennen, als dem Sound und der Atmosphäre verpflichtet bezeichnen. Aber das greift hier zu kurz. Grandios ist vor allem der Humor der diese Aufnahmen und diese Tracks durchzieht. Der tänzelnde Witz, der alles leicht erscheinen lässt. Der Titel ist hier Programm: Freude, trotz allem.

Stefani Bollani bei der „Dido Session“ im Tiroler Landestheater

Bis sich dann aber endgültig Stefano Bollani an den Tasten seines Flügels niederließ musste ich mich durch den ersten Teil des Programmes hören, der ausschließlich von „Piccolo Concerto Wien“ und der Sängerin Nina Bernsteiner bestritten wurde. Bis zur Pause ließ sich darüber lediglich sagen, dass es das Publikum hier mit solide vorgetragener „Alter Musik“ aus der Feder des Komponisten Henry Purcell zu tun bekam. Die Verbindungen zum Jazz wurden dabei nur angedeutet.

Doch mehr Sängerin von "Alter Musik" als Scat-Sängerin: Nina Bernsteiner (Bild: www.ninabernsteiner.com)
Doch mehr Sängerin von „Alter Musik“ als Scat-Sängerin: Nina Bernsteiner (Bild: www.ninabernsteiner.com)

Zum Glück wurde aber die Form der Lieder von Henry Purcell hervorragend herausgearbeitet. Denn ja, es waren Lieder. Songs, die sich auch im heutigen Kontext noch problemlos vortragen ließen. Songs, zu denen auch heutige Jugendliche noch herrlich leiden und schmachten könnten. Lieder, über die sich mit ein wenig Mut gar scatten und vielleicht sogar noch rappen ließe. Ob dadurch der filigrane Charakter dieser Kompositionen verloren ginge, stände dabei natürlich auf einem anderen Blatt. Erstaunlich aber, wie modern diese Kompositionen anmuteten, beeindruckend welche Anschlussmöglichkeiten sie im heute zulassen würden.
Exakt an dieser Schnittstelle der Möglichkeiten klinkte sich Stefano Bollani im zweiten Teil des Konzertes ein. Die Raffinesse seines Spiels und die Brillanz seiner Musikalität zeigten sich vor allem an der Tatsache, dass er sich nicht leichtfertig und voreilig darauf einließ, sich mit der Klangästhetik der „Alten Musik“ zu messen, mit dieser gar konkurrieren zu wollen und in die heraufbeschworene „Session“ einzusteigen. Bollani ist ein aufmerksamer Zuhörer, der sowohl das Material von Henry Purcell über das er improvisierte bestens kannte und es auch verstand, dem Ensemble zuzuhören.
Bollani betritt die Bühne. Ordnet seine Noten. Und improvisiert auf Teufel komm raus über und mit den Liedern von Henry Purcell!
Bollani betritt die Bühne. Ordnet seine Noten. Und improvisiert auf Teufel komm raus über und mit den Liedern von Henry Purcell!

Wozu führte aber diese an manchen Stellen merkwürdige Distanz? Vor allem dazu, dass das angekündigte „Crossover-Konzert“ von „Alter Musik“ und Jazz erst gar nicht stattfand. Möglicherweise zum Glück, denn von mancher Seite wurde mir im Vorfeld schon eingeflüstert, dass bisher keines dieser „Crossover-Projekte“ bei den „Festwochen der Alten Musik“ wirklich aufging. Ein wenig bedauern möchte ich diese unter Umständen nicht gerechtfertigte Distanz dann aber doch.
Ist eine solche Symbiose wirklich undenkbar? Die Parallelen von Barockmusik und Jazz liegen auf der Hand. Damals war die improvisatorische Freiheit vor allem der Sänger ähnlich groß wie im modernen Jazz. Ist es möglich eine Musik zu erschaffen, die eine Symbiose von „Alter Musik“ und „modernem“ Jazz anbietet? Musik, die „Alte Musik“ mit den Mitteln des Jazz beleuchtet und möglicherweise auch ein wenig entstaubt? Oder ist es auch denkbar, dass es eine grenzen- und zeitlose Musik gibt, die in einem Moment Motive und Akkorde aus der „Alten Musik“ benutzt um dann in wilden zeitgenössische Improvisation überzugehen, fast bruchlos?
Beide Fragen wurden gestern nicht beantwortet. Dafür bekam man eine streckenweise hervorragende Nina Bernsteiner geboten, die sich aber dann doch eher als Sängerin von „Alter Musik“ empfahl als für Scat-Gesang. Vor allem aber bekam man einen brillante Stefano Bollani zu hören, der zuhörte, sich zurücknahm und sich in den richtigen Momenten zeigte und in seiner Brillanz hörbar wurde. Tatsächlich war auch das Motto seiner letzten Aufnahme für ECM an diesem Abend hörbar. Wie er auch noch dem traurigsten Lied von Henry Purcell spielerischen Einfallsreichtum und vor allem Witz abtrotzte war singulär.
Was ließ sich an diesem Abend lernen? Was ließ sich mitnehmen? Möglicherweise, dass es eine Tugend ist, einander zuzuhören anstatt sich in vorschnelle Klang-Experimente zu stürzen, die dann nur halbgare Ergebnisse zu Tage fördern. Von Bollani lässt sich aber wohl auch lernen, dass es so etwas wie „Crossover“ eigentlich gar nicht gibt. Es gibt immer nur das eigene musikalische System, das verschiedenste Einflüsse mit den eigenen Verfahren verarbeitet. Ich denke dieses Bewusstsein allein verhindert schon, dass sich die Musiker in sinnlose und fruchtlose Crossover-Experimente verlieren. Insofern war dieser Abend ein gelungener Abend. Auch wenn vielleicht mehr möglich gewesen wäre.

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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