Plattenzeit #31: Teodor Currentzis – Don Giovanni

7 Minuten Lesedauer

Der Dandy und sein Spielzeug


Teodor Currentzis stammt ursprünglich aus Griechenland. Es hat ihn aber schon vor Jahren nach Russland verschlagen. Genauer gesagt nach Perm, das die östlichste Millionenstadt Europas ist. Die Stadt liegt 1150 km Luftlinie von Moskau entfernt. Das macht es leicht von Peripherie zu sprechen. Von einer Stadt, die sich weit abseits befindet. Dass gerade von hier revolutionäre Interpretationen und Auslegungen von kanonisierten Klassik-Werken stammen sollen ist schwer vorstellbar.
Doch genau das geschieht derzeit. Ein diabolisch dreinblickender Dandy deutet zusammen mit seinem Orchester „MusicAeterna“ Mozart gerade auf unerhörte Weise. Von Freiheiten in der Interpretation zu sprechen wäre eine Untertreibung. Das Wort „Anmaßung“ zu verwenden wäre hingegen durchaus legitim. In Perm arbeitet Teodor Currentzis seit Jahren nämlich an nichts weniger als an der Frage, wie Mozart seine Oper „Don Giovanni“ spielen und darlegen würde, wenn er sich im Heute an genau diesem Ort mit diesem Orchester herumschlagen müsste.
Die altbekannte Oper „Don Giovanni“ wird nicht entstaubt. Das hätte sie auch gar nicht nötig. Aber sie wird neu aufgeladen. Mit schwarzer Magie. Mit Leidenschaft. Mit Modernität. Currentzis selbst imaginiert sich die Oper als dunklen Traum, den er bis in seine letzte Konsequenz auslotet. Das Orchester donnert, die Sänger verausgaben sich, in Sachen Tempo wird oftmals kräftig angezogen.
Teodor Currentzis verwehrt sich interessanterweise dagegen, sich als professionellen Musiker zu bezeichnen. Er stellt die provokante Frage, ob man denn Mozart als professionellen Musiker bezeichnet hätte. Wohl kaum, so meint er in einem Interview. Musik ist Leidenschaft, Notwendigkeit, Hingabe. Hingabe verlangt er auch von seinen Musikern, die sich monatelang mit ihm in der nicht gerade warmen und gastlichen Stadt Perm verkriechen und seinen Ideen bedingungslos folgen.
Der sich als Dandy gerierende Currentzis folgt womöglich modisch Vorbildern. Er stellt allerdings nicht Stil über Substanz. Er arbeitet sich an der Substanz der Werke ab. Reibt sich ihnen. Verzweifelt an ihnen. „Don Giovanni“ wurde bereits im Jahr 2014 aufgenommen. Currentzis, unzufrieden mit dem Endergebnis, verwarf die in in monatelanger filigraner Arbeit entstandenen Aufnahmen aber wieder. Seine Plattenfirma und seine Musiker murrten, ließen ihn aber gewähren. Im Jahr 2015 folgte der zweite Anlauf. Diese Aufnahmen sind jetzt vor wenigen Tagen erschienen.
Seine Musiker merken an, dass das Orchester zwar an sich eine Demokratie sei. Jeder dürfe  sich äußern. Die letzten Entscheidungen trifft aber dann doch Teodor Currentzis. In Bezug auf seine künstlerische Vision dudelt er keine Einsprüche und Widersprüche. Man merkt, dass er auch gerne dazu bereit ist, sich mit den Individuen in seinem Orchester zu messen. Aber zu guter Letzt ist er der Leitwolf und das Alpha-Tier.
Das klingt erst einmal nach Ego. Danach, dass sich ein maßlos eingebildeter Genie-Dirigent selbst überschätzt und sich als Kunst-Diktator aufspielt. Das trifft allerdings nicht zu. Zumal Currentzis nicht sein Ego ausstellt, sondern sich so tief in die Musik eingräbt, wie es derzeit kaum ein anderer vermag. Die Proben dauern oftmals bis in späten Nachtstunden. Ein Orchestermusiker erwähnte in dieser Hinsicht, dass er eine solche Detailversessenheit aus Deutschland schlicht nicht kenne.


Mozart und Currentzis


Was genau ist auf seiner aktuelle Aufnahme aber zu hören? Wie geht er mit Mozart um? Respektlos möchte man erst einmal fast sagen. Aber das stimmt nicht. Er geht nicht respektlos mit Mozart und seiner Oper um, sondern mit den Klassik-Konventionen.
Er selbst wähnt das Genie Mozart und seine Werke unter einem Wust an mittelmäßigen Auslegungen und Interpretationen. Er möchte somit gewissermaßen Mozart wieder frei legen und mit der Energie eines Besessenen in seinen Kopf eindringen. Was mochte sich Mozart damals gedacht haben, als er diese Oper komponierte? Was haben die Jahrhunderte von zum Teil durchschnittlichen Auslegungen mit diesem Werk gemacht? Wie kann man es wieder aufladen und mit Gegenwart und Unerhörtem bis zum Rande auffüllen?
Das Hören von seinem „Don Giovanni“ fordert. Überfordert streckenweise auch. Der Zugang um Umgang ist rauschhaft und abenteuerlich. Currentzis wird zu Mozart. Er geht ganz im Werk auf, verschwindet fast. Seine Energie verwendet er nicht, um sein Ego zu befriedigen, sondern mit Hilfe seines Wissens einen neuartigen, dunkleren und radikaleren Mozart auszugraben, der herzlich wenig mit Mozartkugeln zu tun hat. In den überspitzt lieblich gespielten Passagen brodelt es zwischen Zeilen und Tönen. In den donnernden, dunklen Passagen bleibt man erschöpft zurück.
Currentzis und sein Orchester oszillieren zwischen fast schon ungeheurer Klang- und Detailfreude und einem alles niederreißenden Tempo, das man so bisher nicht von dieser Oper kannte.


Fazit


Dieser „Don Giovanni“ könnte, und nichts weniger ist der Anspruch von Currentzis selbst, eine Referenz-Einspielung werden.  Von Langweile, Mittelmaß und Verstaubtheit findet sich hier keine Spur. Dieser „Don Giovanni“ ist radikal, mitreißend, gegenwärtig. Man möchte auch jugendlich sagen. Kein Wunder somit, dass sich, so lässt sich leicht belegen, bei den Auftritten von Currentzis auch zunehmend ein jüngeres Publikum einfindet.
Dieses mag zum Teil wegen dem Auftreten und der Aura von Currentzis kommen. Es bleibt aber wegen der Musik, die plötzlich unendlich anziehend und faszinierend wirkt. Die tiefe Seele der Klassik und von Mozart wird ausgelotet. Die gefällige Lieblichkeit weit weg geschoben. Es brauchte wohl jemanden von Teodor Currentzis, der aufs Ganze geht und der die ganze Bandbreite von „Don Giovanni“ wieder hörbar macht. Diese Aufnahme muss man gehört haben. Besseres wird in diesem Bereich so schnell wohl kaum nachkommen.


Zum Reinhören


Titelbild: (c) Yuriy Chernov, Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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