Die Bilder des Leide(n)s sind (mir) gleichgültig geworden

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Dienstag, 22:00. Tägliche Routine. Ein längst überholtes Sendeformat. Informationen aus erster Hand, journalistisch aufbereitet. Grauenvolle Bilder. Sebastian Kurz hat Recht, wenn er sagt, dass es ohne hässliche Bilder nicht gehen wird. Die „hässlichen Bilder“ sind schon längst unter uns und in unsere Wohnzimmer eingedrungen.
Ich habe gelernt mit diesen Bildern zu leben. Sie sind mir gleichgültig geworden. Tiefe Müdigkeit . Es ist unmöglich den Bildern zu folgen, hinter ihre Inszenierung zu blicken. Ich bleibe unbeteiligt und nicke kurz ein. Die Hässlichkeit der Bilder überfordert mich. Die Bilder wirken inszeniert, wie aus einem Film, der uns mit Realismus aufrütteln will. Manchmal analysiere ich die Inszenierung, stelle die Dominanz von leidenden Kindern fest, von der man sich womöglich noch größere Betroffenheit der Rezipienten erwartet.
Bei den Anschlägen von Paris habe ich noch geweint. Nicht wegen der Bilder. Ich hatte die Nachricht vom Massaker erst morgens gehört. Ohne Bilder, nur als reine Textinformation. Ich war betroffen und erschüttert. Die später folgenden Bilder haben mir dabei geholfen die Ereignisse einzuordnen, sie greifbar zu machen.
Mit der Zeit haben sich die Berichte über Paris in die Gleichförmigkeit der medialen Berichte und Bilder eingepasst. Selbst die grauenvollsten Bilder und die unsagbarsten Ereignisse passen irgendwann zwischen Eröffnungs-Jingle und Wetterbericht. Mein Blick bewegt sich von dem eigentlichen Inhalt hin zur Form. Ich bin nicht mehr betroffen, fast schon genervt. Ich werde müde, nicke abermals kurz ein, warte auf den Wetterbericht.
Vor kurzem war ich plötzlich wieder hellwach. Armin Wolf hatte zuvor mit seiner arroganten Verhörtaktik wieder jeglichen Dialog zunichte gemacht und mich fast schon zum Umschalten gezwungen. Wenig später kündigt er die Rezension eines Filmes an, der auf den Namen „Son of Saul“ hört. Das Thema: Holocaust.
Ich sehne bereits bei dieser Ankündigung die Zeit zurück, als mit Bildern bei dieser Thematik noch sorgsam und zurückhaltend umgegangen worden ist. Ich denke an die Dokumentation „Shoah“ von Claude Lanzmann, die mich damals zutiefst getroffen hat. Allein die Spurensuche, das langsame Herantasten an das, was passiert sein könnte ist unglaublich ergreifend. Die späteren Bilder der Marke „Schindler´s Liste“ überzogen die unsagbaren Ereignisse mit einem widerlichen Pathos. Sie lenkten von dem Unsagbaren ab. Danach brauchte es stets mehr Emotion, mehr Pathos um noch mehr Betroffenheit zu erzeugen.
Ich bin überrascht. Die Ausschnitte aus „Son off Saul“ funktionieren. Die Bilder treffen mich. Sie sind nicht glattgebügelt, möchten keine Betroffenheit erzwingen, sondern arbeiten mit für dieses Thema neuen Mitteln. Es gälte diese Mittel nach der Rezeption des gesamten Filmes zu analysieren. Doch das ist nicht das eigentliche Thema.
Vielmehr geht es um einen anderen Aspekt: Die Medien versagen. Die medialen Inszenierungen neigen zur Gleichförmigkeit. In ihrer uninteressanten und ästhetisch nivellierten Bildsprache sind sie platt. Die Inszenierungen sind durchschaubar. So bin ich nicht den schrecklichen Ereignisse und den Tragödien gegenüber gleichgültig, sondern den medialen Vermittlungen und Inszenierungen. Durch diese Gleichförmigkeit wird auch der Schrecken und das Grauen der dahinter stehenden Ereignisse eingeebnet und in eine problematische Gleichgültigkeit eingepasst.
Aber nicht nur die Medien versagen. Vor allem versagt die Kunst als ein möglicher künstlerisch und ästhetisch abweichender Diskurs. Als eine aufrüttelnde, neue Sprache. Sie darf sich nicht in die Museen und Fotoausstellungen dieser Welt zurückziehen, sondern muss sich aktiv einmischen. Sie muss sich mit anderen Bildern in die gleichmachende und gleichförmige Inszenierung in den Massenmedien einmischen. Sie muss Bilder produzieren, die mit Zurückhaltung reagieren, wo es nur mehr um bloßen Betroffenheits-Pathos geht. Sie muss radikaler und schonungsloser sein, wenn die Medien dazu neigen Ereignisse zu beschönigen oder gar zuzudecken.
Die Kunst ist mehr gefragt als je zuvor. Sie muss den Ermüdungstendenzen und der Plattheit mancher Inszenierung entgegen treten. Sie muss mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Mitteln die Ereignisse hinter den Inszenierungen wieder fassbar und greifbar machen und zugleich die Unfassbarkeit der realen Ereignisse thematisieren. Ansonsten lernen wir es tatsächlich noch, mit den „hässlichen Bildern“ zu leben. Das wäre der Niedergang jeglicher Menschlichkeit.

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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

1 Comment

  1. Wir leben doch schon sehr lange mit vielen hässlichen Bildern: gerodete Regenwälder, geschmolzene Gletscher, von Ölkonzernen verursachte Zerstörung riesiger Meeres- und Küstengebiete, vor dem Aussterben stehende Tier- und Pflanzenarten, Klimakatastrophen… die Liste ist endlos. Es ist nicht Aufgabe der Kunst, hier etwas zu thematisieren; es wäre Aufgabe von uns allen, darauf zu reagieren. Sich nur darüber aufzuregen in diversen Medien reicht bei weitem nicht aus.
    Der Mensch kann sicher nur überleben, wenn er einen Großteil der negativen Bilder ausblendet und sich auf das Positive konzentriert. Die Frage ist nur: Wer bewahrt das Positive und wie?

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