Darum haben linke Männer keine Eier

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Sprache ist Gewalt. Spätestens seit einem im Netz kursierenden Video wissen wir das. Die Absicht dahinter ist legitim und zweifellos wichtig. Es soll darauf hingewiesen werden, dass Journalistinnen immer wieder Opfer von Hass und verbaler Gewalt werden. Worte sind keine Worte mehr, wenn sie zu Mord und Vergewaltigung aufrufen. Diese Worte verletzen, diskriminieren, stellen eine reale Bedrohung dar.
Fast zeitgleich wird in einer deutschen Zeitung der Artikel „Warum haben linke Männer keine Eier?“ veröffentlicht. In diesem Text wird, übrigens von einer Frau, eine Art „aufgeklärter Machismus“ gefordert. Im Text selbst wünscht sich die Autorin gar die „Pöbelmänner“ zurück. Natürlich all das nicht ohne Augenzwinkern. Aber eben dennoch.
Diese beiden Ansichten stehen sich gegenüber. Und bilden doch zusammen einen Diskurs ab, der im Moment sehr dominant ist. Was lässt sich sagen, was nicht? Wann verletze ich jemanden? Wann beginnt gar die „reale Bedrohung“ durch Hassbotschaften im Netz? Nicht umsonst wird von einer österreichischen Tageszeitung, ebenfalls erst vor kurzem, vom „Phänomen Hasskrankheit“ gesprochen.
Der User, vor allem auf Facebook, ist völlig entfesselt und außer Kontrolle geraten. Er verbreitet seine Hassbotschaften beinahe ungestraft. Rufe nach strengeren Kontrollen, nach Überwachung und natürlich nach Strafen werden laut. Die sozialen Medien sind zu asozialen Medien geworden, in denen abweichende Meinungen mit Hass und Häme nieder geschrieen werden.
Viele User im Netz sind offenbar erkrankt. Angefeuert durch starke Reaktionen auf „Hassbotschaften“ wird der Hass immer intensiver und radikaler. Im Rausch der Resonanz auf immer extremere Meinungen und Beschimpfungen gibt es kein Zurück mehr. In diesem Rausch handelt der User irrational, ist verletzend.
Wir haben uns somit mit drei Ebenen des Phänomens zu beschäftigen. Die erste Ebene ist deutlich: Sprache ist nicht nur Sprache, sondern bezieht sich auf die Realität. Sie bringt Realität quasi hervor. Wem mit Mord gedroht wird, der wird nicht nach der sprachlichen Doppeldeutigkeit der Aussage suchen oder sie gar als fiktional oder als Zitat aus einem Buch verstehen.
Eine weitere Ebene ist die Rolle des Mannes, der kein „schwächelnder Gender-Mann“ mehr ist, sondern zu seiner „Männlichkeit“ steht und womöglich auch manchmal mit unkorrekten sexuellen Anspielungen auffällig wird. Dieser Mann ist kein gewalttätiger Macho, aber womöglich dem Spiel mit Lust, Begehren und Rollenklischees nicht abgeneigt. Ihm ist nicht jeder Anmachspruch gleich als mögliche sexualisierte, verbale Gewalt verdächtig.
Auf der Ebene der sozialen Netzwerke scheint der Sachverhalt einfach. Es wird wohl kaum jemanden geben, der die „Hasskrankheit“ verteidigt oder sie gar als legitime Meinungsäußerung verklärt.
Legt man diese Ebenen übereinander ergibt sich ein interessantes Bild. Womöglich lassen sich auch versteckte, aber kraftvolle Diskurse dahinter entdecken. Auf allen drei Ebenen wird der Sprache ihre Vieldeutigkeit abgesprochen. Ihr künstlerisches Moment. Ihre Unzuordenbarkeit. Ihre Möglichkeit der Überspitzung des Spiels mit Erwartungshaltungen.
Wenn Michel Foucault in seinem Aufsatz „Was ist ein Autor“ die Frage stellt „Wen kümmert´s wer spricht“, dann ist die Antwort darauf im Hier und Jetzt eindeutig: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es uns sehr wohl kümmert, wer spricht. Das wuchernde und uferlose Internet und deren vermeintliche Anonymität haben uns dazu gebracht, die Frage nach dem „Autor“ wieder ganz einfach und direkt zu beantworten: Der Verfasser einer Aussage ist der Autor und zugleich auch, in gewissen Fällen, der Täter.
In all der, verständlichen, Aufregung um sprachliche Gewalt und Hassbotschaften wird nicht gefragt, wie es sich mit der Aussage eines schreibenden Subjektes verhält. Greift dieses Subjekt vielleicht „nur“ Diskurse auf, dessen Urheber es nicht ist? Zitiert es gar aus einem dem Empfänger unbekannten Werk? Spielt es mit der Nähe und der Distanz zwischen Mann und Frau?
Das alles soll nicht bedeuten, dass sprachliche Gewalt oder Morddrohungen im Netz akzeptabel sind. Aber wir müssen uns gegen Vereinfachungen und Verkürzungen wehren. Wir müssen auf der Hut sein, damit mit diesen (zum Teil) legitimen Eingriffen in die „Sagbarkeit“ nicht schleichend Sprach- und Denkverbote Einzug halten. Mit der Sensibilität gegenüber der Sprache gehen womöglich auch eine Übersensibilität und ein larmoyanter Alarmismus einher, die alles anklagen, was sich nicht an die „korrekte“ Sprachverwendung hält.
Nein, ich will nicht in einem Land leben, in dem alles gesagt werden kann und jedem mit Mord gedroht werden darf. Aber ich möchte auch nicht in einem Land leben, in dem man keine „Eier“ mehr haben darf und nicht mit Rollenklischees, Begehren und Lust in gewissen Kontexten spielerisch umgehen darf, ohne als potentieller Gewalttäter abgestempelt zu werden. Es geht mir auch darum, überspitzte Botschaften äußern zu dürfen, ohne als „Hass-Botschafter“ oder rhetorischer Täter bezeichnet zu werden.
Es geht also um viel. Wir müssen uns, wenn notwendig, gegen solche Einschränkungen und Verkürzungen wehren. Und womöglich, egal ob Mann oder Frau, wieder mehr „Eier“ haben.

Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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