Von einer die auszog, die Musikwelt zu erobern

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Bregenz. Innsbruck. Wien. Köln. Die Art und Weise Menschen kennen zu lernen funktioniert nicht immer direkt oder ist gar nahe liegend. Ich bin gerade in Wien als Andreas Felber auf Ö1 von einer Musikerin erzählt, die ihrer Heimatstadt Bregenz schon vor langer Zeit den Rücken gekehrt hat um nach Köln zu gehen. Sie trägt nicht gerade den typischen Namen, welchen ich mir von einer Vorarlbergerin erwarten würde. Sie heißt Filippa Gojo.
Andreas Felber spricht dabei mit seiner typischen, beruhigenden und Fachwissen suggerierenden Stimme über die 1988 geboren Sängerin. Erstaunlich reif sei ihre Stimme. Unglaublich intonationssicher. Ihr Lieder von erstaunlichem kompositorischem Geschick. An seine tatsächlichen Formulierungen erinnere ich mich kaum mehr, interpretiere sie aber im Heute so wie ich es hier beschrieben habe.
Ihre Stimme fasziniert mich augenblicklich. Ihre Stimme ist natürlich, niemals überkandidelt oder auf den nächsten Effekt abzielend. Gelassen klingt sie, vielleicht schon ein bisschen verfrüht altersweise. Zugleich merkt man ihr aber doch an, dass sie auf Entdeckungsreise gehen möchte. Durch die Kulturen, durch die Genres, durch die musikalischen Möglichkeiten. Eine Stimme mit hohem Wiedererkennungswert, obwohl sie sich nicht aufdrängt.

Filippa Gojo: Eine Sängerin, die Genre-Grenzen nicht akzeptiert (Bild: Peter Tümmers)
Filippa Gojo: Eine Sängerin, die Genre-Grenzen nicht akzeptiert (Bild: Peter Tümmers)

Ein paar Monate später ereignete sich ein Zufall. Ich blätterte etwas lustlos durch das Programm des „Festivals der Träume“, das jedes Jahr in Innsbruck stattfindet und eigentlich nicht zu meinen bevorzugten Festivals gehört. Simon Kräutler war in diesem Jahr zum ersten Mal mit der musikalischen Gestaltung des Programme im „Spiegelzelt“ betraut. Er hatte Filippa Gojo eingeladen, deren Name mir zwischenzeitlich schon fast wieder entfallen war. Obwohl sie mich damals auf Ö1 so begeisterte, hatte ich den musikalischen Faden zur damaligen Zeit nicht weiter aufgenommen. Zu viel Musik lag gerade auf meinem Schreibtisch.
Wenig später kontaktierte ich Filippa Gojo über Facebook. Ich fragte sie, ob sie Lust hätte, sich mit mir im Café Central in Innsbruck auf einen Kaffee zu treffen. Ich würde mich gerne mit ihr über ihre außergewöhnliche Musik unterhalten. Über ihre Heimat Vorarlberg und ob es notwendig sei wegzugehen, um seinen Kopf freizubekommen und seinen musikalischen Weg kompromisslos zu verfolgen. Darüber warum sie sich ausgerechnet Köln dafür ausgesucht hatte.
Wenig später treffen wir uns im Café Central. Mir gegenüber sitzt eine sympathische junge Frau. Sie wirkt entspannt. Sie hat eine sehr angenehme Sprechstimme. Sie spricht nicht laut, aber bestimmt. Ihre Formulierungen sind wohlüberlegt, wirken aber direkt und ehrlich. Nicht aufgesetzt. Hin und wieder schleicht sich eine Formulierung ein, die auf ihre alte Heimatstadt Bregenz verweist. Aber auch Köln hat schon eindeutig seine sprachlichen Spuren hinterlassen.
Filippa Gojo und ihr Quartett: Freude über den "Neuen Deutschen Jazzpreis" (Bild: Manfred Rinderspacher)
Filippa Gojo und ihr Quartett: Freude über den „Neuen Deutschen Jazzpreis“ (Bild: Manfred Rinderspacher)

Unter anderem erfahre ich von ihr, warum sie nach Köln ging. Köln ist schließlich bekannt für seine überaus lebendige Jazz-Szene, die es in dieser Hinsicht ganz locker mit Berlin aufnehmen kann, diese vielleicht gar übertrumpft. Filippa hat in Köln studiert und mittlerweile ihren Master-Abschluss in Jazzgesang gemacht. 2014 bekam sie außerdem als erste Sängerin das Förderstipendium der Stadt Köln für Jazz und improvisierte Musik.
2015 gewann sie mit ihrem „Filippa Gojo Quartett“ den „Neuen Deutschen Jazzpreis“ und erhielt auch den Solistenpreis. Letzteres war zum Zeitpunkt unseres Gesprächs noch unklar. Ebenso hatte ich ihre hervorragende aktuelle Solo-CD „Vertraum“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört, da sie erst erscheinen sollte. Diese Veröffentlichung erhält zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Textes jedenfalls gerade hervorragende Kritiken im deutschsprachigen Raum.

Am Tag unseres Gesprächs konnte ich aber dem Konzert ihres Quartettes beiwohnen. Der Abend im „Spiegelzelt“ in der Nähe des Landestheaters zeigte ein eher trauriges Bild. Wenige Menschen waren gekommen. Der Veranstalter Simon Kräutler merkte mir gegenüber an, dass mehr Menschen kämen, wenn ein lokaler Act auf der Bühne stünde.
Ich konnte mir zu diesem Zeitpunkt ein lapidares „Typisch Innsbruck“ nicht verkneifen und ärgerte mich ein wenig darüber, dass das Innsbrucker Publikum wohl eher darauf bedacht war die lokalen Musiker wieder und wieder zu sehen als sich eine neue, vielleicht großartige Musikerin aus dem fernen Köln anzusehen und anzuhören. Die Berge verengen halt manchmal doch den Blick auf die große weite Musikwelt.
Auf der Bühne erlebe ich dann eine bestens eingespielte Band. Meine Blicke und meine Ohren bleiben dennoch an Filippa Gojo hängen. Sie ist zweifellos die Bandleaderin und der musikalische Bezugspunkt. Diese Rolle nimmt sie mit einer enormen Nonchalance ein. Sie singt, wispert, brüllt, benutzt manchmal sogar ein Megaphon um ihre Stimme bis zur Unkenntlich zu verstärken und zu verzerren. Kurz nach einem solchen Ausbruch fällt sie zurück in leicht lasziven, zumindest aber neckischen Gesang.
Ihre Lieder haben Jazz, Pop, Weltmusik und Volkslieder aus Vorarlberg an von anderswo als Bezugspunkte. Sie singt von der „Seesucht“, also von der Sehnsucht nach dem großen See, der in ihrer Heimatstadt Bregenz so omnipräsent ist. Es gibt Lieder, die sie im Vorarlberger Dialekt vorträgt, aber auch Lieder, die auf lateinamerikanische Musiktraditionen Bezug nehmen. In dieser Musik ist prinzipiell alles vorstellbar und möglich. Sie wirkt organisch, logisch, nicht konstruiert, sondern stringent und in sich stimmig. Die Musik verwundert, überrascht, irritiert aber nicht durch radikale Brüche. Die Musik wirkt aufregend, aber harmonisch und in sich ruhend.
Filippa Gojo: Auch im Big-Band-Kontext heimisch und souverän
Filippa Gojo: Auch im Big-Band-Kontext heimisch und souverän

Filippa wirkt auf der Bühne glücklich. Ebenso wie zuvor im Gespräch im Café Central. Sie scheint in Köln die Möglichkeit zu haben, sich menschlich und musikalisch vollständig zu entfalten. Wenn sie die Sehnsucht nach Bregenz überkommt, fährt sich einfach kurzerhand mit dem Zug in ihre Heimatstadt. Aber ob sie dort wohl noch leben könnte und ob ihre Musik so klänge, wie sie es im Moment tut? Wäre der enorme künstlerische Schritt hin zu ihrer Solo-CD „Vertraum“ möglich gewesen?
Wäre es dann denkbar, dass sie Volkslieder aus ihrer Heimat mit dieser Leidenschaft und Detailversessenheit auf so kreative Weise interpretieren würde? Ich denke nicht. Filippa musste ihre Heimat verlassen um die zu werden, die sie im Moment ist. Sie musste die Distanz zu ihrer Heimat finden, damit ihr der musikalische Fundus dieser Heimat ebenso zum musikalischen Material und Mittel wird wie die Musik der ganzen Welt. Die Stadt Köln ist es außerdem, die ihr die richtigen Rahmenbedingungen wie Förderungen, eine lebendige Jazz-Szene und somit auch den Austausch mit ebenbürtigen MusikerInnen bereitstellt. Das ließ und lässt sie musikalisch wachsen.
Ich für meinen Teil bin froh, dass Filippa Gojo von Bregenz weg gegangen ist. Sonst wäre ihre Musik in dieser Form schlicht und einfach nicht möglich geworden. Ich freue mich aber auch darüber, dass es sie immer wieder mal in ihre ehemalige Heimat zieht. Demnächst vielleicht auch wieder nach Tirol. Denn ein Gespräch mit ihr in einem Innsbrucker Café über Gott, Welt, Jazz und Heimat kann irrsinnig bereichernd sein.

Titelbild: filippagojo.de

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

2 Comments

  1. Lieber Markus,
    Danke für den schönen Artikel und die Erwähnung! Es freut mich zu hören, dass mancher Same, der in den Ö1-Spielräumen gesät wird, auf diese Weise aufgeht. Ich halte Filippa Gojo für ein sehr spannendes Talent!
    Viele Grüße aus Wien
    Andreas Felber

    • Lieber Andreas,
      ich freue mich sehr über deine Rückmeldung! Es freut mich sehr, dass dich der Artikel angesprochen hat. Und ja: Filippa ist sehr sehr talentiert, ich erwarte mir noch sehr viel von ihr. Hoffe man sieht sich bald mal wieder!
      Liebe Grüße
      Markus

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