Metallica: Von der wütenden Band zum Metal-Dienstleister

7 Minuten Lesedauer

Die wütenden Jungs von nebenan


Metallica begannen als authentische Band. Mit „Kill ´Em All“ legten sie eine Platte vor, die aus dem damaligen Zeitgeist quasi abgeleitet war und notwendigerweise genau so klingen musste. Vier Jungs konnten mit Glam-Rock und Poser-Metal so gar nichts anfangen. Haarspray war bei ihnen tabu. Spandex-Hosen wurden strikt und vehement abgelehnt und gegen Jeans getauscht. Eingängige Melodien und schmachtende Balladen gab es keine. Wut statt Sex. Musik, mit der man garantiert keine blonden Chicks in Mini-Röcken abschleppen konnte.
Wer nicht regelmäßig Sex mit wildfremden Frauen hat, dem bleibt nur der Proberaum. Statt sich aber allzu viel um technische Fertigkeiten und Steigerung des musikalischen Niveaus zu kümmern soff man lieber. Dennoch schaffte es die Band nach „Kill `Em All“ so etwas wie die Blaupause der nächsten Metallica-Alben zu schaffen – „Ride The Lightning“. Einstieg mit einer flotten Thrash-Nummer, danach folgte der Titeltrack, mit der drei noch ein Mid-Tempo-Stampfer, der mit Nummer vier des Albums konterkariert wurde.
Dieser Slot war ab sofort nämlich für die Power-Ballade freigehalten. Natürlich ging es auch hier nicht um wilden Sex mit Rockerbräuten, sondern darum, dass sich das Leben irgendwie doch nicht mehr lohnt und das Ende von diesem eine mögliche Option wäre. Auch auf „Master Of Puppets“ findet sich an der vierten Stelle eine ebensolche Ballade. Auch hier ist der Ich-Erzähler relativ isoliert und so gar nicht glücklich. Bei dem Nachfolgealbum „And Justice For All“ geht es bei der Power-Ballade gar um einen Kriegs-Krüppel, der ohne Beine, ohne Arme und ohne Augenlicht aus dem Krieg zurückkehrt. Anders als glücklich eben und irgendwie blöd gelaufen.
Danach kam die Abkehr von diesem altbewährten Muster. Das mittlerweile legendäre und legendär umstrittene „Black Album“ wurde ein unfassbarer kommerzieller Erfolg. „Nothing Else Matters“ war da als Ballade symptomatisch. Metallica hatte sozusagen den eigenen Erfolg vorweggenommen. Jetzt fehlte es ihnen an nichts mehr. Aus den ehemals wütenden Proberaum-Jungs mit Hang zum Alkoholismus war eine recht gefestigte und gesättigte Band geworden, die Stadien füllte.


Plötzlich reich


Selbst schlitterte die Band jedenfalls in eine veritable Schaffenskrise. „Load“ erschien erst fünf Jahre später. Für die Band damals ein langer Zeitabstand, für die heutigen Metallica aber eigentlich normal. „Load“ war kein Metal mehr. Das wusste die Band, das bedauerten die Fans. Da war gepflegter Hardrock mit Southern-Rock Einflüssen und dem einen oder anderen brauchbaren Riff. Die Ballade des Albums beschwor die Mutter von James Hetfield: „Mama Said“. Offenbar hatte ihm seine Mama aber nicht gesagt, dass Metallica eben Metallica eben Metallica ist. Die Wut der Fans fiel einigermaßen groß aus. Die Thrash-Riffs waren passé, die Haare abgeschnitten und es wehte gar ein leichter Indie-Pop-Wind durch die Songs. Ein Affront sondergleichen.
Im Nachhinein muss man sagen, dass „Load“ wohl das letzte „authentische“ Album war, das auf den Bedürfnissen und Erkenntnissen der Band selbst basierte. Ab diesem Punkt versuchte die Band emsig und einigermaßen verzweifelt, an alte Werte und den alten Glanz anzuschließen. Am deutlichsten ist diese Verzweiflung auf „St. Anger“ zu hören. Mittels blechern klingender Snare wollte der ohnehin eher minderbegabte Lars Ulrich an alte Härte und Rohheit anschließen. Das Album ging in die Hose, die Band in Therapie. Das Bandgefüge war zerrüttet, die Band zerstritten, Sänger und Mastermind James Hetfield Alkoholiker. Die Doku „Some Kind Of Monster“ gibt beredet Auskunft über den damaligen Zustand der Band.
Danach kam nicht mehr viel. Womöglich mit „Death Magnetic“ noch der etwas gelungenere Versuch an alte Zeiten anzuschließen. Wenn da nicht der hoffnungslos übersteuerte Sound gewesen wäre. Der „Loudness-War“ fand in diesem Album auf alle Fälle einen seiner stimmgewaltigsten Apologeten.


Das neue Album


Und jetzt liegt es vor, das neue Album. „Hardwired…To Self-Destruct“ ist es betitelt. Tatsächlich wird dort einer leicht lächerlichen aber durchaus funktionierenden Wutlust gefrönt. Die Bandmitglieder leben zwar mittlerweile überaus gut situiert in schönen Villen, aber wütend ist man eben immer noch. Auf den Erfolg, auf die Verlogenheit, auf die Menschheit an sich. Und ja, es könnte auch gut sein, dass die Apokalypse bevorsteht. Wir leben schließlich in unruhigen und unübersichtlichen Zeiten.
Vor allem ist aber auf diesem Alben eines evident: Metallica ist nicht mehr die Band, die aus sich selbst schöpft und einen Grund hat, warum sie Musik macht. Es ist nicht mehr die Wut auf die Glam-Rocker, die alle Frauen abbekommen und die insgesamt zu wenig harte und echte Musik machen. Metallica sind mit diesem Album endgültig eine selbstbezügliche Institution geworden, die Fan-Wünsche wahr werden lassen. Ein bisschen von allem ist auf ihrem aktuellen Longplayer zu hören. Nichts so gut wie früher, aber halt doch schön oder zumindest nett. Ein wenig „Damage-Inc“. Ein bisserl „Enter Sandman“-Flair. Gar „Load“ klingt an. Garniert mit wütenden Riffs, die weniger zünden als grooven und zum Kopfnicken einladen. Metallica hören ist halt irgendwie auch ein Ritual geworden.
Tretet also ein, liebe Fans. Ihr werdet garantiert glücklich werden. Und mit eurem Geld finanziert ihr Metallica auch in Zukunft ihre Villen und ihr gutes Leben. Es könnte auch gut sein, dass in 8-10 Jahren ein weiteres Album erscheint, das immer noch schön-gepflegte ritualisierte Wut anbietet. Irgendwie würde diese Band dann ja doch fehlen. Und sei es nur als der pragmatischste Metal-Dienstleister auf diesem Planeten.


Zum Reinhören



Titelbild: (c) Philippe Hamon

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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