New Yorker "Met"-Star erobert Innsbruck

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New York. Paris. London. Berlin. München. Und ja, auch Innsbruck. Hält man sich an diesen Orten auf, dann ist es an den jeweiligen Opernhäusern nicht unwahrscheinlich, die Mezzosopranistin Patricia Bardon singen zu hören. Keine Frage: Diese Frau hat Karriere gemacht, gilt als eine der besten Händel-Interpretinnen weltweit und hat von den internationalen Preisen die renommiertesten gewonnen. Sogar einen Grammy hat sie bei sich zuhause herumstehen. Im Rahmen der „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ wird sie die Titelpartie in „Il Germanico“ singen.
Zwischen weltweiten Engagements und zahllosen Proben findet sie aber auch noch Zeit sich mit mir zu unterhalten. Wir treffen uns in einem Hotel in Innsbruck, in einem schönen, hellen Wintergarten. Ich warte dort kurz auf sie. Obwohl es ihr erstes Gespräch am morgen ist, es ist 09:00, wirkt sie freundlich, zuvorkommend und geduldig. Ihre Antworten sind nicht allzu lang, eher präzise. Ich tue mir ein wenig schwer, bin ich doch nicht vom Opern-Fach. Dennoch entwickelt sich ein Gespräch über Charaktere, künstlerische Freiheit und darüber, was sie als Sängerin auszeichnet.
Ich würde gerne über den Begriff „stylus phantasticus“ sprechen, der ja in diesem Jahr den „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ als Motto voransteht. Was bedeutet für Sie musikalische und künstlerische Freiheit – als Interpretin, als Sängerin und als Musikerin?
Künstlerische Freiheit ist es, wenn man fühlt, dass es ein absolutes Zusammenwirken von Dirigent, künstlerischem Leiter und Sängern gibt. Wenn man merkt, das gleiche Ziel zu haben. Wenn man fühlt, dass alle gleichgesinnt ist.
Es ist auch wichtig, Grenzen zu verschieben. Es ist entscheidend, nicht eingesperrt in Schubladen wie „barock“ zu sein. Es geht darum, Risiken einzugehen. Und natürlich auch darum, ein Stück Theater und ein Stück Kunst anzubieten – und Menschen zu unterhalten. Wir halten uns viel mit Stil, mit der Frage nach dieser oder jener Epoche auf. Aber letztendlich geht es darum, das Publikum auch zu unterhalten. Es ist wichtig, eine gute Aufführung zu abzuliefern.

Die Sorge war unbegründet. Sie ist nett. Und spricht  bereitwillig über ihre Zugänge zu Gesang und Oper. (Bild: Innsbrucker Festwochen der Alten Musik)
Die Sorge war unbegründet. Sie ist nett. Und spricht bereitwillig über ihre Zugänge zu Gesang und Oper. (Bild: Innsbrucker Festwochen der Alten Musik)

Mich würde interessieren, welche Art von Risiken sie eingehen – als Interpretin und als Sängerin.
Als eine Interpretin möchte ich die Essenz eines Charakters finden. Wenn es einen Charakter gibt, der ein wenig „unausgeglichen“ ist, dann möchte ich das so weit wie möglich ausloten, ohne dass es lächerlich wird.
Geht es Ihnen darum, neue „Schichten“ bei Charakteren zu finden, zum Beispiel bei der Carmen, die Sie und andere Sängerinnen ja schon oft gespielt und gesungen haben?
Ja, natürlich. Klar kann man die „Klischee-Carmen“ bringen. Das ist vielleicht, was erwartet wird. Aber das ist langweilig! Es ist sehr viel spannender, Aspekte eines Charakters zu finden, die das Publikum noch nicht gesehen hat. Zum Beispiel den Fokus darauf zu legen, dass jemand wirklich Probleme hat und sich darauf zu konzentrieren. Mir ist es wichtig bei einem Charakter so viel Variantenreichtum wie nur möglich zu zeigen anstatt ihn eindimensional darzustellen.
Wollen Sie diesen Charakteren also auch „neues Leben“ geben? Ist es einfacher das bei einem Charakter zu tun, der schon viele Male zuvor auf die Bühne gebracht wurde? Oder ist es schwieriger?
Sie haben ja Carmen erwähnt. Jahrelang, als eine junge Sängerin, konnte ich mich nicht wirklich mit diesem Charakter identifizieren. Ich fand sie ein wenig blöd und auch peinlich. Ich fragte mich wen es überhaupt kümmert, wenn sie stirbt (lacht). Ich wollte also etwas finden, das zu mir passt, mit dem ich mich identifizieren kann. Ich wollte ehrlich und aufrichtig zu mir selbst sein. Das ist das wichtigste auf der Bühne. Es funktioniert nicht, wenn du nicht aufrichtig dir und dem Charakter gegenüber bist. Du musst es zu deinem Eigenen machen.
Kann man sagen, dass man selbst mit dem Charakter korrespondieren muss?
Ja, weil du ansonsten nicht ehrlich dir selbst gegenüber bist. Das Publikum merkt es sehr schnell, wenn man sich in der Rolle nicht wohl fühlt.
Kann man es so ausdrücken: Es geht natürlich auch darum zu spielen. Aber es geht auch darum, dass du selbst auf der Bühne stehst.
Ja. Ich mag es nicht, wenn mir der Regisseur sagt, was ich genau zu tun habe. Denn dann ist es seine Version des Stückes und des Charakters. Das klingt, als ob ich schwierig wäre, aber das bin ich nicht. Du musst aber da oben auf der Bühne stehen und es auf deine Art und Weise machen. Du musst deine eigene Version finden.
Auch in größerer Runde zeigte sich Bardon gut gelaunt und gesprächig! (Bild: Innsbrucker Festwochen der Alten Musik)
Auch in größerer Runde zeigte sich Bardon gut gelaunt und gesprächig! (Bild: Innsbrucker Festwochen der Alten Musik)

Sie verfügen ja über ein sehr breites Repertoire, das von „Alter Musik“ bis hin zu zeitgenössischer Musik reicht. Ist es Ihnen wichtig, das Repertoire so breit zu halten? Warum ist Ihnen das wichtig?
Das ist eigentlich so passiert. Ich wurde sehr bekannt als „Barock-Sängerin“. Ich mag es aber nicht, in eine Schublade gesteckt zu werden. Obwohl mir natürlich diese Schublade eine gute Karriere ermöglicht hat. Aber ich genieße es, Repertoire aus verschiedenen Epochen zu interpretieren! Ich glaube ja, dass ich ohnehin besser in anderen Epochen als in der Barockmusik bin (lacht). Es geht um den Variantenreichtum, um nicht von all dem gelangweilt zu werden.
Beeinflusst Ihre Art „Alte Musik“ zu singen auch die Art und Weise, wie Sie mit zeitgenössischeren Werken und Opern umgehen?
Es beeinflusst bestimmte Werke, wie zum Beispiel die von Rossini. Es gibt da definitiv eine Verbindung zu Händel und der Barockmusik generell. Vor allem technisch. Aber eigentlich singt man mit der Stimme, die man hat. Egal ob du mit einem Werk aus dem 19. Jahrhundert konfrontiert bist oder mit zeitgenössischen Werken: Es ist wichtig, dass du dich darum bemühst, dass es für deine Stimme funktioniert. Es vergehen ja mehrere Wochen und Monate, in denen du dir deine Rolle ganz genau anschaust. Es ist wichtig die Stimme darauf einzustellen, was du zu singen hast.
Erzählen Sie mir bitte noch was zu Ihrer Rolle in Innsbruck. Sie werden ja die Titelrolle in der Oper „Il Germanico“ singen.
Vor allem war es einmal für mich interessant eine Oper zu singen, von der ich bisher noch nie etwas gehört hatte. Ich kannte auch den Komponisten (Nicola Porpora, Anm. MS) nicht. Es ist ein ziemliches Privileg, nach fast 300 Jahren dieses Stück singen zu dürfen. Musikalisch finde ich die Oper sehr interessant. Aus stimmlicher Sicht ist es ein wunderbar geschriebenes Stück. Es ist immer eine Freude, eine solche Oper singen zu dürfen. Ich bin gespannt darauf zu sehen, was mit dem Stück passiert.
Ist es einfacher, seinen eigenen Zugang zu finden bei dieser Oper, die ja relativ unbekannt ist?
Das Publikum hat erst einmal keine vorgefasste Meinung, was diese Oper betrifft. Das gibt uns eine große Freiheit darin das zu tun, was wir wollen. Ich hoffe, dass der musikalische Leiter und ich gleichgesinnt sind. Es geht wirklich darum, dem Publikum diesen Komponisten zu „verkaufen“ und ihn anzupreisen. Erstmals seit 1732 erlebt diese Oper eine szenische und komplette Aufführung! Wir haben die Verantwortung, diese großartige Musik gut zu präsentieren, eine gute Aufführung abzuliefern. Ich erhoffe mir in dieser Sache absolute künstlerische Freiheit.
Patricia Bardon in "action"! (Bild: Marty Sohl)
Patricia Bardon in „action“! (Bild: Marty Sohl)

Ist es ein Problem, dass Sie keine Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Aufführungen und Sängerinnen haben? Vergleichen Sie überhaupt mit anderen Aufführungen und Sängerinnen?
Nicht wirklich. Jeder Sänger und jede Sängerin hat etwas anderes anzubieten. Jeder legt etwas anderes auf den Tisch. Jemand ist bei den höheren oder tieferen Lagen besser, ist besser im Schauspiel oder was auch immer. Jeder hat etwas, das ganz spezifisch ist.
Ich würde gerne noch einmal vertiefend an meine erste Frage anschließen, weil in diesem Jahr ja „stylus phantasticus“ als Motto ausgerufen wurde. Improvisieren Sie eigentlich?
Ich würde sehr gerne sagen, dass ich das tue (lacht). Aber es ist nicht so. Wir sind Opernsänger. Da geht es um proben, proben, proben! Es ist wichtig, alles „richtig“ hinzubekommen. Ehrlich gesagt weiß nicht, was „stylus phantasticus“ und Improvisation für uns im Falle dieser Oper hier in Innsbruck heißt. Mir ist bewusst, dass es vor 300 Jahren sehr stark um Improvisation gegangen ist. Es ging darum, die Stimme darzustellen. Du bist an die Vorderseite der Bühne gegangen und hast gezeigt, was du stimmlich kannst. Ich glaube nicht, dass das Im Heute passend wäre. Ich weiß also nicht genau, was damit gemeint ist. Aber wir werden es bei der ersten Probe sicher sehen (lacht)!
Warum glauben Sie, dass dieser Platz für Improvisation über die Jahrhunderte immer kleiner geworden ist?
Ich glaube, dass die Kunstform Oper im heute festgelegter und definierter ist. Die Musik hat sich entwickelt. Alles was benötigt wurde, wurde über die Zeit aufgeschrieben. Es hat damals ganz einfach zu der Zeit gepasst, zum Barock-Stil. Es wäre aber verrückt, wenn ich in „Otello“ improvisieren würde. Das wäre eine lange Nacht (lacht).
Liegt es nicht auch am Publikum, das erwartet, dass es die Oper genau so bekommt, wie sie auf „Papier“ steht? Das Publikum erwartet sich, dass die Oper „richtig“ gesungen wird.
Ja, schon. Aber ich bin sicher, dass es auch mit der Entwicklung der Oper zu tun hat. Alles musste über die Zeit definierter werden, für die Sänger und für das Orchester.
Ich hätte noch eine letzte Frage zur „Alten Musik“ generell. Wie Sie gesagt haben geht es auch darum, eine Verbindung zur Musik und zu den Charakteren herzustellen. Können Sie diese Verbindung mit „Alter Musik“ leicht herstellen, oder ist das auch etwas „altes“, das wenig mit Ihrem Leben zu tun hat?
Es geht immer auch um das Spielen. Natürlich wird manches auch vorgetäuscht (lacht). Es gibt immer Aspekte eines Charakters, mit denen du dich identifizieren kannst. Emotionen wie Verlust, Liebe, Wut. Das alles sind Emotionen, mit denen wir auch im 21. Jahrhundert noch zu tun haben. Diese sind in den Opern auf eine „barocke“ Weise dargestellt. Aber es sind die gleichen Emotionen.
Ist es damit die Aufgabe des Sängers, die Emotionen ins Hier und Jetzt zu bringen? Die Opern mit Emotionen aufzuladen?
Ja, das ist natürlich immer die Idee! Wenn du das nicht tust, dann hast du deinen Job nicht wirklich gemacht. Die Musik ist nur die Richtlinie, die Musik ist die Stimme für die Emotionen des jeweiligen Charakters.
Können Sie mir vielleicht noch verraten, wie Sie ihren persönlichen Gesangsstil beschreiben würden? 
Oh mein Gott. Das ist schwierig. Ich würde sagen, dass es mir um komplette Hingabe geht an das, was ich tue. Sei es in Bezug auf die Charaktere oder auf die Momente auf der Bühne. Wenn du auf der Bühne stehst, dann geht es darum, wie du die Lücken füllst, es zu einer kompletten und vollständigen Performance machst. Es ist wichtig, die Geschichte jedes Charakters vollständig zu erzählen!
Danke für das Gespräch!

Titelbild: Frances Marshall

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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