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Todesanzeigen

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Nicht einmal im Tod sind alle gleich. Da braucht man gar nicht weltweite Vergleiche anzustellen. Auch hierzulande erkennt man die Bedeutung, die einem Menschen – meist recht erratisch – von der Allgemeinheit zugewiesen wird, täglich nicht nur auf den ersten, sondern noch besser auf den letzten Zeitungsseiten.

Manche Tote bekommen seitenweise Todesanzeigen. Dann finden sich unter dem Namen, fettgedruckt, lange Listen von Funktionen für Land und Gemeinde, Vereine, Industriebetriebe und Vereinigungen: Hier handelt es sich um einen Ehrenzeichenträger, dort um ein langjähriges verdientes Mitglied oder gar einen Vorstand, einen Gruppenkommandanten der örtlichen Feuerwehr, einen Ökonomierat, Kommerzialrat, Hofrat, Ehrenkonsul – und nicht selten all dies zusammen. Oft glänzt auch noch der eine oder andere Orden und es folgt eine Aufzählung von Auszeichnungen, an die sich ganz natürlich eine weitere Traueranzeige von Kiwanis oder Lions Club anschließt. Und so gut wie immer weist das Porträtfoto einen Mann aus, passend zur jeweiligen Tätigkeit einmal im Trachtenanzug, dann in Feuerwehruniform, Blasmusiktracht, Anzug oder Freizeitbekleidung, die ihn als passionierten Sportler, Jäger, Golfer, oder was immer man in diesen Kreisen so treibt, ausweist.

Weibliche Tote werden dagegen meist nur von der Familie betrauert. Da findet sich höchstens mal ein akademischer Titel oder eine schlichte Berufsbezeichnung unterm Namen. Selten eine zweite Traueranzeige, außer die Verstorbene hatte eine Zweitfamilie, die sich mit der ersten nicht einmal nach dem Tod einigen konnte. Manchmal, in außerordentlich seltenen Fällen, trauert ein Arbeitgeber um eine langjährige verlässliche Mitarbeiterin. Keine Ehrenzeichenträgerinnen, keine Präsidentinnen finden sich auf den einschlägigen Zeitungsseiten. Ab und zu eine Ortsbäuerin, damit hat es sich aber. Klar, wenn man nicht so viel für die Allgemeinheit leistet, gibt es eben im Leben keine Präsidentschaft und nach dem Tod nur eine Anzeige im Zehntelformat. Mehr ist nicht drin. Den wegen chronischer Überarbeitung früh verstorbenen Pflegerinnen mit ihrer Million uneingelöster Überstunden, den in unzähligen familiären Nebenberufen unentgeltlich schuftenden Frauen weint außer den Angehörigen, die ab nun für die gleichen Dienste nach Tarif werden zahlen müssen, niemand eine Träne nach. Und wenn man sie schon im Leben nicht ordentlich entlohnen konnte, fehlt natürlich auch für eine zweite oder dritte Todesanzeige das Geld.

Bei den vielbetrauerten Toten frage ich mich allerdings, wie so viele Posten und Tätigkeiten und all die Ehrenämter neben dem Beruf in einem einzigen Menschenleben überhaupt unterzubringen waren? Allein wenn ich die übergroße Verantwortung und die vielen Sitzungen zusammenrechne, ergeben diese eine Überlastung, die eigentlich zu einem viel früheren Tod hätte führen müssen.

Gar nicht zu sprechen von den mit den zahllosen Funktionen verbundenen Arbeitsessen und Festivitäten mit ihrem obligaten Kalorieninput und inkludierten Alkoholexzessen, die den stärksten Organismus schon in mittlerem Alter hätten hinwegraffen müssen. Aber wahrscheinlich hatten diese Multifunktionäre verlässliche Mitarbeiterinnen und geliebte Frauen, die ihnen alles Unangenehme und Stressige, jedenfalls aber den Großteil der Arbeit, abnahmen und die nun dem Partner oder Chef in einer höchstpersönlichen Anzeige nachtrauern, sollten sie nicht vor ihm — allzu früh — verstorben sein.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

1 Comment

  1. Was mir aber seit längerem beim Lesen der Todesanzeigen auch immer wieder auffällt, ist die Tatsache, dass Frauen sehr oft in den Fotos der Todesanzeigen jünger dargestellt werden, so dass ich manchmal direkt erschrecke, wenn ich etwa das Foto einer ganz jungen Frau in der Anzeige sehe, dann oft nur aus Neugierde den Text lese, wo dann das Geburtsjahr der Frau darüber informiert, dass die Verstorbene schon die siebzig, achtzig oder gar neunzig überschritten hat. „Sex sells“ sozusagen selbst noch in der Form der Todesanzeige, oder halt ein guter Eyecatcher, dass der Leser oder die Leserin den Text lesen, obwohl sie vielleicht die verstorbene Person in der Abbildung gar nicht auf Anhieb erkannt haben würden.

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