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Alphatiere

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Der Begriff „Alphatier“ ploppt in letzter Zeit ständig auf, wenn in Politik- oder Wirtschaftsgremien hohe Tiere um Posten, Geld und Vormacht streiten.

Vor meinem inneren Auge entsteht dann jedes Mal das Bild vom alten, inzwischen verstorbenen Alpha-Steinbock im Alpenzoo, der breit und fett in der Futterkrippe lag und den Jüngeren und Schwächeren, kurzum dem Rest seiner Herde, auf diese Art den Zugang zum Futter verwehrte. Der fühlte sich so richtig gut auf seinem hohen Posten und ließ sich mit stolz erhobenen Hörnern von den Besuchern bewundern. In der Natur hätte er allerdings mit solchem Verhalten den Fortbestand der Sippe gefährdet. Seine Weibchen und Jungen wären, von Hunger geschwächt, im ersten Krisenwinter eingegangen. Im Zoo dagegen ist jedem Tierchen, auch jenem von niedrigem Rang, eine Mindestration gesichert. Solange also von oben zugefüttert wird, geht sowas.

Andererseits denke ich an einen Universum-Beitrag über eine Elefantenherde, welche, von einem erfahrenen Leittier angeführt, die immer schwierigere Suche nach Wasser in Zeiten des Klimawandels bewältigen musste. Die lebenskluge Anführerin lotste die Herde schließlich durch alle Fährnisse ans überlebensnotwendige Wasser.

Wenn ich „Alphatier“ höre, frage ich mich auch jedes Mal, wie wir als Menschenherde zu unseren Anführern bzw. Anführerinnen kommen. Wir leben schließlich nicht im Zoo, wo uns Pfleger als gefährdete Art im Notfall durchfüttern. Und im Gegensatz zum Tierreich sollte die Führerschaft in einer Demokratie auch nicht im tödlichen Kampf zwischen Rivalen errungen werden, bei dem einfach der Gewalttätigere sich durchsetzt und der Unterlegene, verletzt und beschämt, von dannen zieht. Oder etwa doch?

Und falls unsere Menschenherde schon die demokratische Wahl haben sollte: Schätzt man jene als geeignete Alphatiere ein, die sich am grandiosesten aufplustern und sich mit dem lautesten Gebrüll hervortun? Die Feschesten mit den schönsten blauen Augen (ev. retuschiert) oder mit dem modischesten/traditionellsten Outfit? Oder wählt die Mehrzahl jene Leittiere, welche die Herde durch Erfahrung und Wissen auf gefährlicher Wanderung wohlbehalten in die Zukunft führen könnten?

Also: Steinbock oder Elefant?

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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