Plattenzeit #11: Kate Bush – Hounds of Love

10 Minuten Lesedauer

Kate Bush und die Folgen


Kate Bush hat spätestens mit „Hounds of Love“ eine ganze Heerschar an weiblichen Nachfolgerinnen zu verantworten. Tori Amos, Björk, Bat for Lashes, Zola Jesus und noch zahllose Musikerinnen mehr fallen einem augenblicklich ein.
„Hounds of Love“ ist der Startschuss für Musikerinnen, die der Hysterie und dem extravaganten Ausdrucksgesang nicht gerade abgeneigt sind. Dazu kommen bedeutungsschwere Texte, die sich vornehmlich mit der eigenen Innenwelt beschäftigen. Auch eine leicht esoterische Verklärung der eigenen Weiblichkeit ist ein wichtiger Punkt, den es in der Gefolgschaft von Kate Bush strengstens einzuhalten gilt.
Naturverbunden sind diese Frauen natürlich allesamt. Kein Wunder, denn auch die Mutter Erde ist weiblich. Wie sich diese adäquat ansprechen und besingen lässt macht die gute Kate Bush gleich mal in „Hello Earth“ eindrucksvoll vor. Ein bisschen Sorgen machen muss man sich doch dürfen. Schließlich ist der gewalttätige Teil der Menschheit, die Männer, drauf und dran unseren Planeten zu ruinieren.
„Hounds of Love“ wäre somit die perfekte Platte für junge Frauen, die sich von Gott und der Welt unverstanden fühlen. Die ein wenig ängstlich in die Welt schauen und sie fragen, was sein wird. Wäre. Denn diese Platte ist viel zu gut um sie auf das feministische Abstellgleis zu stellen.
Die Platte funktioniert nämlich nicht „nur“ als Meisterstück einer möglichen „weiblichen“ Liederschreibzunft, sondern vor allem auch als eine Platte der künstlerischen und intellektuellen Emanzipation. Eine Platte, die das künstlerische und musikalische Mittelmaß scheut wie der Teufel das Weihwasser.
Dabei merkt man das dieser Platte zuerst gar nicht an. „When I was a child/ Running in the night /Afraid of what might be“ formuliert Kate Bush im Titelstück „Hounds Of Love“. Später merkt sie an: “I need love, love, love, love, yeah / Your Love”. Ein wenig zaghaft klingt das noch. Die Liebe quasi als Möglichkeit sich überhaupt in dieser dunklen Welt zurechtzufinden und die dezente Zurückhaltung mit einem gewissen Grad an Verrücktheit zu ersetzen.
Wenig später huldigt Kate Bush auf „Mothers stands for comfort“ ebendieser. Sie singt: „Mother stands for comfort/ Mother will hide the murderer/ Mother hides the madman/ Mother will stay Mum“. Wie man es dreht und wendet. Wirklicher Mut sieht anders aus. Stellt man sich so der Welt und stellt man so sein Selbstbewusstsein und sein Ego zur Schau? Eher nicht. Das klingt vielmehr nach Rückzug, nach Komfort-Zone, nach Sehnsucht nach einer überschaubaren Welt, die nicht so verängstigend und voller Gewalt ist wie die Welt da draußen.
Auf die Spitze treibt Bush ihren Frauen-Eskapismus mit dem Stück „And dream of sheep“. „Let me be weak/ let me sleep/ and dream of sheep“. Spätestens hier muss eigentlich jedem Mann endgültig der Kragen platzen. Geht´s noch? Wir befinden uns mitten in den 80er Jahren, der Turbo-Kapitalismus zeigt seine hässlichste Fratze und Kate Bush möchte einfach nur schwach sein und von Schafen träumen. Einfach nur, mit Verlaub, zum Kotzen. Eine Platte also für verträumte, leicht verschrobene junge Frauen, die sich einen Scheißdreck um die Probleme der Gegenwart scheren. Die lieber Musik hörend in ihrem Zimmer sitzen als endlich auf die Straße zu gehen und ihre Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation lauthals herauszubrüllen.


Eskapismus vs. Emamzipation


Diese Leseweise wäre naheliegend. Doch „Hounds lof Love“ trifft auf einer künstlerischen Ebene eine völlige andere Aussage. Der 1982 erschienen Vorgänge „The Dreaming“ war zwar künstlerisch hochinteressant, aus kommerzieller Sicht aber nicht gerade ein Erfolg. Auch die Kritiker ignorierten diese Platte weitestgehend.
Kate Bush zieht sich zunehmend zurück aufs Land. Auch frisch verliebt hat sie sich in diesem Zeitraum. Darüber hinaus verwirklicht sie ihren Traum eines eigenen Aufnahme-Studios. Ebendort sind auch Teile dieses Albums aufgenommen worden. Sämtliche Lieder auf „Hounds of Love“ stammen aus ihrer Feder. Auch produziert hat sie das Album selbst. Es lässt sich von einer vollkommenen künstlerischen Kontrolle über den Produktionsprozess sprechen. Eine Frau steht hier ihren Mann. Keine alltägliche Situation.
Damit steht sie zweifellos in einem feministischen Traditionsstrang. Die Frau bemächtigt sich der Produktionsmittel, schafft sich diese gar selbst und hält alles fest in der eigenen Hand. Dass sie dies nutzt um eine zutiefst weibliche Platte zu produzieren ist nur folgerichtig. Kate Bush entwirft nicht weniger als eine weibliche, sanfte und sinnliche Gegenwelt. Nicht umsonst trägt der Nachfolger von „Hounds of Love“ den Titel „The Sensual World“.
Kate Bush vergeudet ihre Energie nicht mit kurzsichtigen politischen Statements. Ihre revolutionäre Geste ist einzig und allein die musikalische und künstlerische Auskleidung und Verwirklichung ihrer künstlerischen Ideen. In dieser Hinsicht dudelt sich keine Kompromisse. Ihre Musikalität lässt sie außerdem nicht lange bei dem Format des Standard-Pop verweilen. „Hounds of Love“ gilt auch in Progressive-Rock-Kreisen als ein Klassiker.
Allein die Struktur des Albums weist schon weit über ein konventionelles 80er-Pop-Album hinaus. „Hounds of Love“ ist in zwei Teile gegliedert: In „Hounds of Love“, das von dem  Überhit „Running up that hill“ eröffnet wird. Dieser Reigen an tatsächlichen und potentiellen Hits reißt auf der ersten Hälfte nicht ab. Die zweite Hälfte hört auf die Bezeichnung „The Ninth Wave“. Hier wird es ruhiger, progressiver, sperriger. Vor allem „Under Ice“ thematisiert etwas, das auf der ganzen Platte als Subtext omnipräsent ist: Das Erwachen des verzweifelten „Ichs“ der Protagonistin, die zu einem guten Teil wohl auch mit der realen Person Kate Bush identisch ist. In diesem Lied beschreibt sie, wie sie sich auf dem Eis bewegt und wahrnimmt, dass sich etwas darunter bewegt und nach Hilfe ruft: „It´s me“.
Daraus lässt sich auch eine Art von Konzept ableiten. Zumindest aber lässt sich „Hounds of Love“ auf genau auf diese Weise hören. Vor allem die „Hits“ dieses Albums klingen größtenteils nach kühler 80er-Ästhetik. Unter dieser Ästhetik „glüht“ aber die Stimme von Kate Bush. Es ist die Stimme einer Künstlerin, die zu sich selbst findet und die künstlerische Balance auf „Hounds of Love“ nunmehr gefunden hat. Das Album ist ein strukturell und musikalischer kühner Entwurf, der aber gewaltig emotional unterfüttert ist.
Die Platte folgt somit zwei Prinzipien, die meist nur schwer auf den Punkt zu bringen sind: Strukturelle Klarheit und Experimentierfreude bei gleichzeitiger Unmittelbarkeit und Direktheit der Gefühle. Die Platte kippt in keinem Moment in die eine oder andere Richtung, sondern ist quasi die eierlegende Wollmilchsau unter den progressiven Pop-Alben.


Fazit


Man sollte Kate Bush nicht verantwortlich machen für das, was ihr nachgefolgt ist. Sie kann nichts für die eine oder andere pseudo-kreative Künstlerin in ihrem Fahrwasser. „Hounds of Love“ zeigt diese Ausnahmekünstlerin jedenfalls auf der Höhe ihres Schaffens. Nicht weil danach nichts mehr folgte. Sondern deshalb, weil sich auf diesem Album einer der größten Pop-Stars der 80er zeigt, der zugleich aber Kreativität und Musikalität über das Schielen auf kommerziellen Erfolg stellt.
Trotz dieser Kompromisslosigkeit bleibt der Erfolg aber nicht aus. Zu diesem Zeitpunkt ist Kate Bush der vielleicht größte weibliche Pop-Star und die überzeugendste Künstlerin zugleich. Ein Zusammentreffen von zwei verschiedenen Ebenen, die selten besser geklungen und funktioniert haben.

 Hier geht es zu der vorhergegangenen Folge von "Plattenzeit".

Zum Reinhören




Titelbild: John Carder Bush, Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

1 Comment

  1. ich kenn mich mit Kate Bush nicht so aus. ich frage mich, ob man die texte nicht auch anders lesen kann. also etwa mother stands for comfort. man kann diesen text ja auch als eine art Bestandsaufnahme lesen, es müsste nicht unbedingt eine Bejahung solcher mütterlicher Versteckspiele sein. Kate Bush liebt es bestimmt rollenbilder zu übersteigern, das kann ganz unterschiedliche ziele haben!
    als frau behagt mir das wort fraueneskapismus natürlich überhaupt nicht (kannst du dir bestimmt vorstellen 🙂 )
    wenn überhaupt, würde ich mich eher auf einen Eskapismus verständigen, in folge dessen bestimmte traditionelle rollenbilder wieder stärker zum Vorschein kommen!
    aber wie gesagt, bei Kate Bush klingelt bei mir nur wuthering heights und das ist sicherlich zu wenig, um ihr gesamtes schaffen zu beurteilen.

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