Plattenzeit #80: Robert Plant – Carry Fire

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Rock-Legenden


Rock-Legenden neigen dazu ihr bisheriges Werk zu glorifizieren, zu verwalten und zu pflegen. Zu diesen Pflege- und Verwaltungstätigkeiten gehören etwa regelmäßige Veröffentlichungen von bisher Unveröffentlichtem. So werden dem bis zu diesem Zeitpunkt schon kanonisierten Werk einer Band noch weitere Marginalien hinzugefügt. Dabei muss sorgfältig vorgegangen werden, denn Schaden mit Halbgarem möchte man dem bis dato Geschaffenen nicht zufügen. Deshalb ist es ratsam neben Unveröffentlichtem schon Veröffentlichtes immer wieder neu zu veröffentlichen. In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich besonders viel Wert auf Neuabmischungen und schöne Geschenksverpackungen zu legen.
Wann Robert Plant entschieden hat diesem eher tristen Ex-Rockstardasein abzuschwören ist nicht exakt überliefert. Er hat sich aber wohl schon durch alte Led-Zeppelin-Archive hören sehen und stellte daher den reuinionsfreudigen Ex-Bandkollegen 2007 nach einem einmaligen Wiedervereinigungs-Konzert ein Haxerl. Zur Welttournee kam es nie, obwohl alle außer Plant durchaus Bock darauf gehabt hätten. Er selbst widmete sich statt der gediegenen Legendenpflege vor Nostalgikern lieber seiner auch zuvor schon musikalisch relevanten Solo-Karriere. „Die Welt“ formulierte es im Jahr 2014 so: „Jimmy Page lebt von ihrer Geschichte, Robert Plant lebt in der Gegenwart“. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen.
Ein Glücksfall für diesen Gegenwartsbezug von Plant ist sicherlich auch seine Band, die sich wenig bescheiden „The Sensational Space Shifters“ nennt und die 2014 erstmalig auf einem seiner Alben zu hören war. Besagtes „Lullaby and…The Ceaseless Roar“ wurde damals schon, zu Recht, mit Lobeshymnen überhäuft. Auch auf „Carry Fire“ ist ebendiese Band zu hören. Auch dieses Mal verschiebt sich der Fokus weit in Richtung Weltmusik, ohne dass rockende Elemente vernachlässigt würden. Elektronischen Spielereien ist man ebenfalls nicht abhold, mancher Trip-Hop-Schatten huscht gar durch die zusammen mit der Band entwickelten Kompositionen.
Stimmlich ist Plant ganz bei sich. Zumindest im Sinne seiner gegenwärtigen Erwartungshaltungen an die eigene Stimme. Einiges, was er damals mit Led Zeppelin aufgenommen habe finde er stimmlich schauerlich, tönte Plant sinngemäß kürzlich blasphemisch. Das mag vermessen sein, aber es verfolgt ein Ziel: Glorifizierung der Vergangenheit, nein danke, Gegenwart, aber hallo. Plant klingt stimmlich bescheidener, bedient andere Tonlagen, nimmt sich mehr zurück. Obwohl die Band ganz offenbar tragfähiges Konstrukt für seine Stimme und seine Texte ist, fühlt sich Plant auch pudelwohl, wenn er seinen Mitmusikern das Zepter in die Hand gibt und einfach einmal machen lässt. Man hört der Platte gut an, dass sie in mehreren, entspannten und kreativ aufgeladenen Sessions entstanden ist, in denen jeder etwas mitzureden hatte.
Ganz seiner aktuellen Stimme angemessen und entsprechend sind es dann nicht die „Rock-Kracher“ auf der Platte, welche die Highlights darstellen, sondern das balladeske Zeugs. Mit „Heaven Sent“ und „A Way With Words“ sind ihm wahre Gefühls-Wunderwerke gelungen, zu denen man sich gerne ein paar Tränchen von den Augen wischt. Wie hier ein altersweiser, weitgereister und erfahrener Musiker mit Tönen und Melodien umgeht grenzt an Magie. Seine Band tönt dazu auf der Höhe der Zeit und groovt an den richtigen Stellen wie Sau. Die Licks sind insgesamt präzise, niemals überkandidelt. Dazu gibt es, beispielsweise auf dem Titeltrack, Einflüsse aus Nordafrika, schließlich hatte Plant schon immer ein Faible für Marokko. In dieser Hinsicht bricht er nicht mit den späten Led Zeppelin, führt aber vieles fort und verfeinert die damaligen Anleihen.


Fazit


Robert Plant wäre schön dämlich sich wieder mit Led Zepplin auf die Bühne zu stellen, wenn er stattdessen auch solche Alben herausbringen kann. Plant verwaltet nicht Tradition, sondern rettet das damalige Feuer und die damalige Musizierlust ins Hier und Jetzt und transferiert diese in andere, neue und aufregende Kontexte. Entstanden ist ein traditionelles und zugleich höchst gegenwärtiges Album, das mehr Energie versprüht als so manches Werk einer jungen Band. Garniert wird diese fast schon jugendliche Frische aber mit einer Gelassenheit und Lässigkeit, die nur ein Musiker mit dieser Erfahrung haben kann. Ja, man darf auch Meisterwerk zu diesem Album sagen.


 Zum Reinhören


 


Titelbild: (c) Dena Flows, flickr.com

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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