Plattenzeit #88: Paul Plut – Lieder vom Tanzen und Sterben

4 Minuten Lesedauer

Suizid


In die Berg´ bin i gern. Wenn da nur nicht diese Zuschreibungen wären. „Da Ausreißer, da Türk, da Bsuff“. Die Fülle des Lebens traut sich für gewöhnlich nur selten ins Tal. Starre Kategorien hindern Menschen an dem, was sonst noch sein könnte und was sie sonst noch sein könnten. Auch der gebürtige Steirer ist umringt von mächtigen Steinriesen in Ramsau am Dachstein aufgewachsen. Er hat zwei Suizidversuche hinter sich.
Den Grund dafür nennt er in Interviews nicht. Gut möglich, dass er ihn selbst nicht  benennen kann. Dass es mit den Schattenseiten der vermeintlichen Alpen-Idylle zu tun hat legt sein Debüt-Album nahe. Es ist das bislang mit Abstand dunkelste Werk von Plut, der ansonsten unter anderem auch der Band „Viech“ vorsteht. Für seine „Lieder vom Tanzen und Sterben“ etabliert er eine dialektale, karge Sprache, die Sprachlosigkeit mit Sprachpräzision verbindet.
„Gemma koit is nit“ lautet beispielsweise das schlichte, refrainartige Mantra in „Grat“. „Sog wovor fiachst du di“, fragt er in „Lärche“. Die Antwort folgt prompt: „Vor oim wos guat is in da Wöt“. Die Schönheit ist hautnah in den Bergen, das Gute der Welt aber fern. „Wenns koit is in da Nacht/ Werd i mi dazua legen“, grummelt Plut im Eröffnungssong ganz am Ende. In den Bergen kann man herrlich sterben aber nur schwer leben.
Vieles dreht sich in seinen Liedern dennoch um das Leben in der Provinz. Etwa um das Orgelspiel in der Kirche, für den Vater, den Bruder, den Buam. Allesamt tot, wie es Plut suggeriert. „Die Wöt is a Gräberföd“, schiebt er im gleichen Lied nämlich nach. Wer glaubt, dass wenigstens Gott diese Gegend noch nicht verlassen hat, der irrt: „Wir san nur Fleisch/ Wir san sunst nix“, beschreibt Plut in „Klatsch“ die ungute und zugleich ganz konkrete Ist-Situation.
Zu diesen Bildern und kurzen Erzählungen findet der in Wien lebende Steirer zu einer ebenso kargen Instrumentierung. Gitarre, Stimme, ein bisschen Perkussion. Seine Musik ist dabei zweifellos an Tom Waits geschult, wenngleich bei Plut alles direkter, weniger theatralisch wirkt.
Einfache aber hocheffiziente Gitarren-Motive zitieren und pervertieren Blues, Dark-Folk oder Gospel und gerinnen doch zu einem ganz eigenen Gebräu. Mancher Akkord trifft einen, wenngleich nicht zum ersten Mal gehört, unerhört hart und unvorbereitet. Manche Songs brechen ab, bevor auch nur einen Hauch von Versöhnung oder gar ein Ausweg aus der Misere angedeutet ist.
Insgesamt sind aber Ausweg und Auswegslosigkeit bei „Lieder vom Tanzen und Sterben“ nahe zusammen. Durch Distanz zu seinen Wurzeln ist es Plut gelungen, die Berge als Ort der Qual und der Schönheit auf die Ebene der Kunst zu hieven. Die Mechanismen der Orte im Tal liegen offen zutage. Das allein verspricht schon Heilung, zumindest aber Aufarbeitung. Die Tatsache, dass aus der Stumpfheit künstlerische Schärfe gewonnen und aus der Banalität Schönheit abgeleitet wird zeigt die Größe dieses Albums. In der österreichischen Musik der letzten Jahre mag es gar als singulär gelten.


Fazit


Mit „Lieder  vom Tanzen und Sterben“ ist ein künftiger Klassiker geboren, der trotz seines thematischen Bezugs zur österreichischen Provinz das Gegenteil von provinziell ist. Der Musik hört man ihre Herkunft an, sie findet aber zu einer Grandezza, die sich weltweit mit musikalisch vergleichbaren Alben messen kann. Paul Plut macht dunkle Musik allererster Güte, die die Welt gehört haben muss.


Zum Reinhören



Titelbild: (c) Gerfried Guggi

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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