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Was LR Geisler und Après-Ski-Bars gemeinsam haben

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Die offensichtlichen Gemeinsamkeiten: Beide werden von manchen für unverzichtbar gehalten und beide sind derzeit in großräumigem Verschiss, ohne diesen wirklich zu verstehen. Aber die Gemeinsamkeiten gehen tiefer und treffen derzeit das Selbstverständnis vieler Tiroler an einem wunden Punkt: Der Tiroler Stammtisch-Charme kann sauber daneben gehen. Uriges Verhalten kommt plötzlich nicht mehr an. Diese schmerzhafte Erkenntnis ist heuer unvermutet über Herrn Geisler, die ÖVP (andere Parteien haben es schon früher erfahren) und die Touristiker gleichermaßen hereingebrochen. *

Geisler selbst hat, wenn man seine Mimik in der Szene betrachtet, seinen Ausdruck „Widerwärtiges Luder!“ nämlich ganz offenbar für eine launische Bemerkung gehalten und wendet sich sogar der neben ihm stehenden Ingrid Felipe noch grinsend und Einverständnis heischend zu. Man könnte daraus folgern, dass er tatsächlich davon überzeugt war, dass seine Bemerkung als launiges Kompliment aufgefasst würde. Er kommt aus dem Bauernbund und ist offenbar auch in althergebrachtem bäurisch-testosterongesättigtem Sprachgebrauch so selbstverständlich zuhause, dass er die Brisanz seiner Aussage sichtlich nicht bemerkte.

Vergleichbare Ignoranz zeigt sich, wenn man die Namensgebung von hiesigen Après-Ski-Bars betrachtet: Für charmant und urig werden offenbar Zusammensetzungen mit Schatzi-, Bussi-, Hexen– oder Madl- gehalten. Und zu allem Überfluss nennt man in unserem hochindustrialisierten Tourismusland diese Bars dann auch noch Alm, Stall, Keller, Tenne oder Stadel, was, wenn beides zusammenfällt, wie ein augenzwinkernder Verweis auf den Lederhosenporno anmutet. Eigentlich müssten solche der Landwirtschaft entnommene Namen doch eher Assoziationen zu Melkmaschinen und Traktoren, oder wenn schon nostalgisch, dann zumindest auch zu Schmutz und Gestank wecken, also zu hygienischem Substandard (dies zuletzt offenbar nicht ganz unrealistischerweise!).  Soll der Besucher die Namensgebung demnach als launige Ironie verstehen? In Tennen zog man sich ja realiter höchstens Schiefer ein. Heute aber gibt´s in den Bars anderes, das man sich einziehen kann. Und als verfügbare Flüssigkeiten würden sich im realen Stall bestenfalls lauwarme Kuhmilch oder Jauche anbieten, keine hochprozentigen Shots. Und warum muss die fake-bäuerliche Namensgebung überdies auch noch durch Stall- und Stadelarchitektur verstärkt werden? Um zu signalisieren, dass man sich da tierisch amüsieren kann? Im urigen Ambiente die primitivsten Urinstinkte ausleben? So richtig die Sau rauslassen? Im Kellerloch endgültig absacken, abstürzen, so richtig tief, tiefer, am tiefsten – ist das wirklich der letzte noch unerfüllte Wunschtraum der Touristen? Wenn man das Bäuerliche (oder was man dafür hält) noch toppen will, dann landet man unweigerlich beim grobschlächtig Bäurischen.

Und genau das hat alles mit dem Sager von LR Geisler zu tun.  Hinter den Worten lauert da wie dort eine uneingestandene sexistische, bäurische Haltung, die inneralpin gern unter dem Vorwand charmanter Urigkeit verkauft wird und von der man hofft, damit Touristen oder Wähler anzuziehen – Sex sells! Primitivität bringt Quote! Und gemeinsam ist Politikern wie Touristikern dabei die fehlende Erkenntnis, dass nicht alles, was man für urig und bärig hält, am anderen Ende auch als Charme ankommt.

*Übrigens auch nördlich der Grenzen wird gern verbal wie taktil ins Dirndl gegriffen und das für ein Kompliment gehalten. Dies nur nebenbei. Es geht hier nicht spezifisch nur um Tirol.

Nachgedanke zum Urigen als Tourismus-Strategie:

Die Touristiker sollen bitte nicht der eigenen Werbung erliegen und das Urige mit dem Urtümlichen verwechseln und es für die Darstellung unverfälschten Landlebens ausgeben! Touristen sind durchaus imstande, das auseinanderzuhalten. Für den urbanen Touristen bedeutet das Urige nichts anderes als Primitivität. Daher rührt wohl leider seine tatsächliche Anziehungskraft: Der Besucher fühlt sich der vorgegaukelten primitiv-alpinen Lebenswelt so meilenweit überlegen, dass er, in seinem Selbstwertgefühl gestärkt, glücklich zurück in die zivilisierte Heimat fährt.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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