Der Bogen zwischen „Avantgarde“ und „etabliert“

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Für die Kulturszene einer Stadt ist es nun mal wichtig, das richtige Maß an Etabliertem und Avantgardistischem zu repräsentieren. Mit der Avantgarde hat’s Innsbruck bekanntlich nicht so. Wenn bei uns mal ankommt, dass etwas cool und innovativ ist, findet man das in Wien schon wieder scheiße und in Berlin nur deshalb cool, weil es retro ist.
Es gibt also einen gewissen Establishment-Überhang, und was nicht Establishment ist, ist irgendwie chronisch unterfinanziert und deshalb versifft. Muss man sich also zwangsläufig zwischen fad und schmuddelig entscheiden, wobei eh klar ist, dass man Letzteres viel lieber in Kauf nimmt?
Nein, man kann sich zum Beispiel auch ins Project hauen. Das hat sich in den letzten Jahren ganz gut etabliert – weil es ein bisschen anders ist, vielleicht. Fein, aber nicht schick; zurückhaltend, aber mit Charakter; mitten in der Stadt, aber vom Gefühl her „draußen“.

Hieronymus reloaded

Das ist womöglich ein ganz entscheidendes Merkmal für ein gutes Ausgehlokal: Dass man sich ganz ohne exogene Bewusstseinserweiterung fühlt, als wäre man in einer anderen Welt. Neben aller Coolness ist es im Project mit der richtigen sphärischen Musik nämlich ganz zauberhaft. Ein bisschen wie bei Hieronymus Bosch, nur mit weniger Unbekleideten und einem DJ-Pult statt dem Höllenfeuer.
Der Fux alias Domenic Plainer jedenfalls war vergangenen Freitag – wider Erwarten – vollständig und ohne Glanzeffekt bekleidet; so viel Avantgarde packt man in Innsbruck dann doch nicht, und außerdem entfalten die besonders schrillen Auftritte auch nur in Kombination mit Julian Hruza ihre volle Wirkung. Aber auch wenn er ohne Julian ein bisschen nach Jurist aussieht, legt er zumindest nicht wie einer auf. Der Fux beherrscht ein sehr feines Electronica-Spektrum, das zu fortgeschrittener Stunde auch ein bissl heftig werden kann. Wie eine seiner Titel heißt: „I like to play in the House, but I like to play in the garden too…“

Immer in Bewegung bleiben

Allerdings lässt sich die Innsbrucker DJ-Szene auch ohne Unterstützung aus dem Osten sehen. Für die Heimat stand Sailor Sailer hinterm Pult, und ganz ohne patriotische Ressentiments darf man sagen, dass die Leute bei ihm noch ein bisschen mehr abgegangen sind. Bekannt ist er unter anderem vom DJ-Kollektiv DSOME, das immer wieder in den Bögen und anderswo auflegt.
Das Resultat ist ein Abend, der sich sehen lassen kann, ohne dass er sich irgendwo positionieren muss. (Es stört übrigens nicht, dass sich der Fux auf Facebook politisch positioniert – ein ordentlicher Künstler hat auch engagiert und nicht nur etabliert zu sein. Das ist aber eine ziemlich altmodische Ansicht. In Berlin schon wieder retro.)
Man muss sich und andere nicht zum Avantgarde-Sein zwingen. So etwas wäre ganz und gar uninteressant. Man kann sich einfach der Sache widmen, einer guten Sache. Ein feines, gemütliches Lokal auf die Füße stellen. Für richtig gute Musik sorgen. Hammergute Musik sogar, in diesem Fall.
Im Übrigen frage ich mich auch, warum Avantgarde immer unbedingt mit dem letzten Schrei – oder dem letzten Flüstern, das erst noch zum Schrei werden muss – gleichgesetzt werden muss. Als Haltung zeichnet sie sich viel mehr durch den (einzigen) Grundsatz „Immer in Bewegung bleiben!“ aus. Und das kann man im Project, wenn so gut aufgelegt wird, jedenfalls sehr gut. Die eigene Kreativität profitiert auch ganz schön davon. Wer weiß, vielleicht sehen wir uns also einmal dort. Damit uns Innsbruck nicht vollkommen stagniert.
Die nächsten guten Abende im Project: Wie jeden Mittwochabend ist auch an diesem DEEP Jackin’ ACID-Abend, diesmal mit KidWalter aus Innsbruck. Freitag ist stets Techno-/House-Programm, am Samstag jeweils Reggae oder HipHop zu hören.
Am kommenden Freitag sind in der p.m.k. außerdem drei britische Rapper mit Unterstützung von DJ Molotov zu Gast. Auch das musikalische Rahmenprogramm zum „Diametrale“ Experimentalfilmfestival am übernächsten Wochenende verspricht experimentell genug zu sein, als dass man es nicht verpassen sollte.

Titelbild: (c) Museo del Prado

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