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Sechzig Prozent

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Man berichtet mir, dass inzwischen an die sechzig Prozent aller Medizinstudenten in Innsbruck aus dem Ausland kämen. Zumindest sei das im Radio gesagt worden. Es handelt sich folglich um Hörensagen, aufgeschnappt – weswegen das Folgende bitte schön mit Vorsicht zu genießen wäre. Obwohl: Selbst wenn die Zahlen nicht genau stimmen, wissen wir doch schon seit langem um das Problem Bescheid. Das lässt sich nicht leugnen.

Zu einem Großteil werden diese Studenten natürlich aus der EU kommen, hauptsächlich aus Deutschland. Wir verdanken das der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, und grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden. Ganz besonders nicht, wenn’s um die Universitäten geht. Die haben von jeher vom Austausch, von der Mobilität gelebt, besonders die Professoren und Lektoren.

Das spezielle Problem, dem wir uns in Österreich gegenübersehen, das ist die Sprache, die wir mit unseren nördlichen Nachbarn teilen. Und das sind viele, sehr viele – fast zehnmal so viele wie wir Österreicher. Da droht der Austausch stets zur Flut anzuschwellen, zur Gefahr der Überschwemmung. Früher galt die Regelung, dass nur jene Deutschen bei uns studieren durften, welche daheim, im Land des numerus clausus, bereits einen Studienplatz nachweisen konnten. Durchaus vernünftig, möchte man annehmen, aber leider hat das irgendeine EU-Instanz verboten; fragen Sie mich nicht, welche oder gar mit welchen Argumenten.

Aus europäischer Sicht gilt es immer, jegliche national motivierte Diskriminierung zu unterbinden. Alle Bürger der Union müssen gleich behandelt werden, jegliche Beschränkung muss für alle gleichermaßen gelten: So, als gehörten wir alle zu einem einzigen Staat. Bloß ist dem nicht so. Denn in so einem Falle würden die Deutschen indirekt via Brüssel auch für unsere Universitäten aufkommen – und vice versa (anteilsmäßig). Aber das tun sie bekanntlich nicht. Und so finden wir uns – falls die aufgeschnappten sechzig Prozent stimmen – in der eigenartigen Lage, dass wir unsere Medizinuniversität mehrheitlich für Ausländer, spezifisch wohl für Deutsche unterhalten.

Kann man was dagegen tun? Interventionen bei der EU dürften nutzlos sein. Die hat ja auch temporär ausgehandelte Zugangsbeschränkungen zum Medizinstudium gestoppt. Ersatzlos gestrichen. In Brüssel zählt das Prinzip. Unsere Nöte erscheinen demgegenüber klein, engstirnig, provinziell. Andererseits können wir nicht gut zuschauen, wie Deutsche unseren jungen Leuten massenweise die Studienplätze wegnehmen, oder? Bei gewissen Studien, vor allem der Medizin, könnte das drastische Folgen haben.

Also? Ich bin gewiss kein Experte und folglich dürfen die folgenden Vorschläge keineswegs allzu ernst genommen werden. Aber wie wär’s zum Beispiel mit folgender Vorgangsweise: Wir verrechnen jedem Studenten und natürlich jeder Studierenden ohne Ansehen der Staatsbürgerschaft einen angemessen Preis für ihren Studienplatz. So was lässt sich ja ermitteln. Bloß haben österreichische Staatsbürger oder ‑bürgerinnen beziehungsweise deren Eltern mittels ihrer Steuern bereits ihren Beitrag geleistet. Man kann sie nicht gut zweimal zur Kasse bitten. Solche Leute bekommen also die Studiengebühren erstattet. Um Missbrauch vorzubeugen, könnte man die Refundierung staffeln, je nachdem, wie lange die Betroffenen hierzulande bereits Steuern gezahlt haben.

Wirksam? Wie gesagt, ich bin kein Experte, trau’ mich aber vorauszusagen, dass der Zustrom deutscher Studiosi sehr schnell zu einem schwächlichen Tröpfeln degenerieren würde. Es könnte natürlich sein, dass andere Staaten den Uni-Zugang österreichischer Studenten auf die gleiche Weise beschränken; aber in diesem Falle könnten wir unsere Steuerzahler ohne weiteres so wie im Inland unterstützen.

H. W. Valerian (Pseudonym), geboren um 1950. Lebte und arbeitete in und um Innsbruck. Studium der Anglistik/Amerikanistik und Germanistik. 35 Jahre Einsatz an der Kreidefront. War Freischaffender Schriftsteller und Journalist, unter anderem für die Gegenwart. Mehrere Bücher. Mehr Infos auf der persönlichen Website.

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