Wie Volksbischof Reinhold Stecher auch nach seinem Tod noch zu uns spricht

9 Minuten Lesedauer

Selten habe ich mir mit einer Buchbesprechung so schwer getan. Viele Tage lag das Buch „Bischof Reinhold Stecher – Leben und Werk“ von Martin Kolzs auf meinem Schreibtisch. Ungelesen. Der Titel ist nicht gerade das, was man gemeinhin ansprechend oder gar reißerisch nennen würde. Das Buch schreit nicht danach, dass es ein Bestseller sein möchte. Es schreit auch nicht danach, unbedingt gelesen werden zu wollen. Es ist ein stiller und bescheidener Titel für ein stilles und bescheidenes Buch.
Ob es dennoch ein guter Titel ist? Möglicherweise. Zumal Bischof Reinhold Stecher ja vor allem in Tirol ein Name ist, den man weitum kennt und der mit zahlreichen mutigen Entscheidungen und positiven Kontroversen um die Positionen der katholischen Kirche verbunden wird. Möchte ich aber als gebürtiger Tiroler wirklich etwas über das Leben und das Werk von Bischof Stecher lesen? Will ich mich mit diesem lange Zeit omnipräsenten „Volksbischof“ beschäftigen? Bin ich überhaupt gläubig und interessiere ich mich für die Diskurse, die ein solches Thema umgeben?

Lag lange ungelesen auf meinem Schreibtisch. Doch eine Lektüre lohnt (Bild: www.styriabooks.at)
Lag lange ungelesen auf meinem Schreibtisch. Doch eine Lektüre lohnt (Bild: www.styriabooks.at)

Ich habe auf diese Fragen, nachdem ich das Buch gelesen habe, noch immer keine überzeugenden und befriedigenden Antworten gefunden. Ich weiß auch nach wie vor nicht, wie ich das Buch genau gelesen habe. Habe ich den Text an sich gelesen und kann ich somit etwas über die textimmanenten Strategien sagen, die Martin Kolozs verwendet? Oder hat mich das Buch nur interessiert, weil es so sehr vom Meinungs-Konsens der selbsternannten Intellektuellen in Tirol abweicht? Es ist nur allzu deutlich, dass eine anti-klerikale Haltung zum guten Grundton gehört. Es lohnt sich jedenfalls das Buch zu lesen. Aus welchen Gründen auch immer. Und trotz allem!

Martin Kolozs und Reinhold Stecher: Demütige Begegnungen

Martin Kolozs selbst verschwindet im Verlauf des Buches als Autor fast gänzlich. Er ist im Text immer wieder fast „nur“ ein gelehriger und gelehrter Vermittler. Jemand, der das Leben und das Werk von Reinhold Stecher in den Vordergrund rücken möchte. Ganz so, als könnte sich dieses Leben selbst erzählen und müssen nur ausgegraben werden.
Ganz so, als gälte es „nur“ die Dokumente, Briefe und Erzählungen zusammenzutragen, die dann in der Gesamtsumme ein mögliches Bild von Reinhold Stecher ergäben. Martin Kolozs scheint sich selbst zu sagen, dass Bischof Stecher und sein Leben interessant genug sind. Er muss sich da nicht zu sehr einmischen, sich nicht zu wichtig machen. Lediglich in ein paar Sätzen und Wörtern wird die Sprache von Kolozs sichtbar und deutlich.
Dem Buch merkt man jedoch deutlich an, dass Martin Kolozs vom Leben und Wirken des volksnahen Bischofs begeistert ist. Seine Sprache bleibt aber sachlich. Ist manchmal gar ein wenig kühl. Stellenweise ist sie analytisch, aber mit literarischen Einsprengseln aufgelockert. Kolozs interpretiert, legt aus, schreibt sich selbst als Interpret aber nur sehr dezent in den Text ein. Interessanterweise wird genau darin seine Bewunderung für Stecher deutlich.

Martin Kolozs findet in seiner Biographie einen ganz eigenen Ton (Bild: Facebook Martin Kolozs)
Martin Kolozs findet in seiner Biographie einen ganz eigenen Ton (Bild: Facebook Martin Kolozs)

Ganz im Sinne von Stecher, die Substanz der Bibel zu überprüfen und darauf zu achten, dass nichts von der Botschaft im alltäglichen Glaubens- und Kirchenleben unterschlagen wird, geht es Martin Kolozs um genau das auf der Ebene des Lebens und Wirkens von Reinhold Stecher.
Er ist bemüht darum, die Substanz des Lebens und des Lehrens von Reinhold Stecher zu überprüfen und diese möglichst deutlich und in aller Klarheit für eine Allgemeinheit verständlich zum Ausdruck zu bringen. Reinhold Stecher waren hochstehende theologische Traktate fremd. Seine Texte waren vermeintlich „einfach“, klar, für eine breitere Masse geschrieben. Das war allerdings nicht „populistisch“, anbiedernd oder gar übertrieben volksnah. Kolozs hat diese „Botschaft“ gut verinnerlicht.
Am Bischofswappen von Stecher war „Dienen und vertrauen“ zu lesen. Ein Leitspruch, der wie eine Einübung in Sachen Demut wirkt. Nun lässt sich diese Demut vermutlich primär auf ein christliches Leben übertragen, in dem der Mensch bescheiden angesichts der Größe Gottes wird. Es lässt sich aber auch eine grundsätzliche Haltung gegenüber Texten, Ideen und Botschaften ableiten. Wie Reinhold Stecher der Botschaft und der Substanz der Bibel gegenüber demütig und bescheiden wird, so geht Martin Kolozs generell auch mit der Substanz der Botschaft von Reinhold Stecher um. Er stellt sich nicht selbst in den Vordergrund, sondern möchte das Leben und Werk an sich in den Vordergrund stellen und verstehbar machen.
Hat er sich das von Bischof Reinhold Stecher abgeschaut, der sich selbst immer als bescheidenen, dienenden Ausleger der Bibel gesehen hat? Unter Umständen. Kolozs möchte jedenfalls die roten Fäden im Leben von Reinhold Stecher sichtbar machen. Er gelangt dabei zu großer Klarheit, zu einer Form, die weit über ein mögliches Fachpublikum hinaus funktioniert.
Natürlich lassen sich in diesem Buch auch beeindruckende Glaubenszeugnisse eines widerständigen Bischofs und Kirchenmannes finden. Diese Aspekte des Buches können aber andere besser beurteilen und bewerten. Leute, die dem Glauben und der Kirche näher stehen als ich. Für mich es aber ein beeindruckendes Buch, aus dem sich generell Haltungen anderen Menschen und deren Ideen gegenüber ableiten lassen.
Begriffe wie Respekt, Bescheidenheit und Substanz kommen mir dabei nach der Lektüre dieses Buches in den Sinn. Ich versuche die Substanz einer Idee und einer Aussage zu verstehen. Ich höre hin, ganz genau. Schweige, wenn notwendig. Versuche wirklich zu verstehen und gebe die Substanz der Idee weiter, ohne sie durch eigene Eitelkeit und Egoismus zu verfälschen. Ich bin nur ein Vermittler, nicht der Mittelpunkt der Welt.
Ob ich damit das Buch von Martin Kolozs überinterpretiere? Kann sein. Aber das nehme ich in Kauf. Bin ich nach der Lektüre des Buches ein gläubigerer Mensch geworden oder der Kirche an sich näher gekommen? Eher nicht. Fakt ist aber, dass mich das Leben und Handeln von Bischof Stecher, vermittelt durch das Buch von Martin Kolozs, beeindruckt haben. Fakt ist auch, dass sich vom Leben und Wirken von Bischof Stecher einiges lernen lässt. Egal ob gläubig oder nicht. Schon alleine deshalb sollte man dieses Buch lesen.
Das interessante an diesem Buch ist auch, dass der Volksbischof Reinhold Stecher, dank der vielen Zitate und Briefe im Buch von Martin Kolozs , auch nach deinem Tod zu seinem „Volk“ spricht. Wir sollten ihm definitiv hin und wieder genau zuhören. Und uns in Demut üben.

Titelbild: www.dibk.at

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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