Weihnachten 2024 (c) KI

Urbi et orbi

Eine Weihnachtsgeschichte.

7 Minuten Lesedauer
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Nussige Zelten, gespickt mit nackten, enthäuteten Mandeln und der obszönen, roten, geweckten Kirche in brustwarziger Mitte. Stollen, drallvoll mit Zitronat und den ranzigschmackigen Aranzini; Lebkuchen wie Biberschwänze, stahlhart und nur mehr zum Dachdecken geeignet. Die Kokosbusserl spotten ihrem Namen und die Linzeraugen triefen längst schon aus der gläsernen Schüssel. Vanillekipferln, die einer kulinarischen Strafexpedition gleichkommen, und Zimtsterne, die nicht einmal der Hund frißt. Die Rumkugeln picken zwischen den Zähnen, wie ein zu großes Maul voll Türkischer Honig vom Krämermarkt. Der Christbaum steht schief, wie alle Jahre, und das rote Sterndltuch darunter ist von den Masern der Sternspritzerschnuppen wie mit einem Weihnachtsbombenteppich überzogen. Leise rieseln schon die Nadeln, und an den kupfernen Haken baumeln stanniolene Hüllen leer und zerwutzelt dem Abräumen entgegen. Die Kerzen zuoberst an den gichtigen Ästen biegen sich demutsvoll in der seelenwärmenden Hitze der Stube, und dem Hirten Numero sieben der Krippe fehlt noch immer der linke Arm. Ein geschützter Arbeitsplatz für heilige Zeiten! Drüben am Sofa liegen die Leichen der Phantasie; Rasierwässer, die Tote zum Leben erwecken könnten, Pyjamas, die ständig zuunterst im Kasten vermodern, der Eduschoschmuck lacht frech für seine eineinhalb Karat, und wieder macht froh das Huber Trikot, feingerippt, doppelt genäht, echte „Vorarlberger Qualitätsarbeit“. Peinlichkeiten von almgrünen Bildbänden, Gesundheitsschlapfen, wo sich die letzten Hühneraugen vor Schreck noch selber blenden, und drüben im Eck die Schatulle mit den Palmers-Gutscheinmünzen.

Das Licht im Krippenberg flackert ganz störrisch und widersetzt sich den nervösen Versuchen des Hausherrn – heute in Anzug und Krawatte -, ordnungsgemäß zu leuchten. Hinter den Bildern spreizen Tannenreiser heraus, die Nadeln erwürgt vom Lametta, und im Eckschrein der Hausgötter winken zahnlose Alte schwarz-weiß und ganz gelbstichig aus verzinkten Plastikrahmen.

Speibsüßer Ruch nach christmettlichem Weihrauch schleicht abgestanden ins Feiertagshirn. „Gebt bitte die zinkenen Untersetzer zu den Gläsern!“, damit das handgestickte Weihnachtsverbrechen namens Tischtuch keine Flecken kriegt.

Das Goldrandgeschirr, heilig gehütet – pro Generation darf nur ein Bruch vollzogen werden -, trotzt doppelstöckig für Milzschnittensuppe und panierte Hormone am Tisch, und der wein gurgelt schon wieder leichtfüßig locker in die noch von gestern Abend desinfizierte Magengrube.

Auf dem Fernseher brennt die Maria-Zeller-Kerze; bei soviel Christentum sind meistens die Raunächte nicht weit, und leise psalmodiert der Sprecher sich im Stereoton über den Petersplatz. In der Küche scharen sich Mütter und Frauen mit klappernden Schüsseln, Töpfen und Messern, das Fest der Ankunft des Herrn zu begehen. Die Männer sind längst schon geistig auf der Flucht nach Ägypten, mit dröhnendem Kopf und halbschlüpfrigen Witzen.

Nur die Kinder, enttäuscht von den falschen, hoch edukativen Präsenten, spielen die Schlacht um die besten Nerven der Eltern, und wenn die Mutter, hochroten Gesichts, den untätigen, verlegen grinsenden Vater mit strengbetonten Silben mahnt, nun doch auch ‚einmal etwas zu sagen‘, dann findet sich gewiß ein helfender Mundschenk, der mit dem Südtiroler Sauerampfer reihum geht, um einmal mehr die viel zu hastig geleerten Gläser zu füllen.

Es ist schon fast halb zwölf, die Herdplatten arbeiten nur noch auf „Warmhalten“, die Suppe und der Erdäpfelsalat sind längst schon abgeschmeckt und `s Fett zerrinnt schon in der Schnitzelpfanne.

Es fehlt noch was!

Irgend etwas fehlt noch!

Dreht doch endlich den Fernseher lauter!

Für Stadt und Land und Stadt und Volk und Rom und Erdenball und Menschenkram.

Die Kamera schwenkt über orgastische Nonnen, winkende, lammäugige Jungkatholen und die obligate Präsentation von Behinderten langsam die Fassade des Petersdoms hinauf, um sich in voller Staatsvoyeurität am Ausguckkasten der Christenheit festzusaugen. In Samt und Seide, purpurrot beschärpt, von Weihrauchschwaden eingehüllt und mit der scheppernden Akustik eines Stadionmikrophons. Die ganze greise Travestie von 2000 Jahren Christentum und Katholizismus zeigt sich voll stolzer Scheinheiligkeit am vatikanischen Laufsteg.

Schief wie der Christbaum in der Stube, so sitzt die Mitra drückend am Altvaterkopf des straucheligen, südamerikanischen Religionsdiktators. Mit pfarrsamtner Stimme und halbtrüben Auges radebrecht er unter dem ekstatischen Applaus der Schafsherde am Petersplatz seinen Slogan vom guten Hirten in 54 Sprachen via Satelliten in alle fünf Erdteile.

Die Herren sind unter sich, und die Frauen unter ihnen. Geduldet als Köchinnen, Chor und Krankenschwestern. Die Pille ist Mord und Aids trotz allem so was wie eine Strafe für Schwule. Da mag ruhig noch ein Kardinälchen mehr wegen sexueller Übergriffigkeit von der weltlichen Justiz zur Rechenschaft gezogen werden oder sich ein anderer wegen trüber Bankgeschäfte selber um Posten, Rendite und Leben bringen.

Der Teufel sitzt im Ungehorsam, in der Demut liegt das Heil!

Wie sagte doch die Mutter so schön in der Küche: Besser Rosenkranz beten als für den Frieden demonstrieren!

Urbi et orbi!

Beeilung! Die Kinder werden schon unruhig, und `s Fett riecht schon ranzig aus der Küche.

Urbi et orbi! Der Segen für Stadt und Land!

Und andächtig vereint im weihnachtlichen Frieden beugen alle ihre Knie in verzückter Verklärung vor dem Fernsehapparat.

In nomini patri, et filii, et spiritu sancti! Amen!

Schließlich ist es ja egal, wie weit man beim Segen vom Priester entfernt ist … Ob 10, 100 oder Tausende von Metern.

Dank sei dem Himmel! Manchmal kann man gar nicht weit genug weg davon sein!

Frohe Weihnachten.

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