"Jazz ist für mich ein kreativer Umgang mit allen Musikstilen"

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Simon Frick ist gerade auf der Durchreise und will eigentlich nach Klagenfurt. Er legt aber einen Stopp in Innsbruck ein um dieses Interview zu geben. Wir treffen uns im Café Central.
Simon Frick ist ein Musiker mit enorm weitem musikalischen Horizont, der sich an überraschende Interpretationen und Bearbeitungen von Liedern heranwagt, die man in einem erweiterten Jazz-Kontext ansonsten nicht vermuten würde. Dabei ringt er vor allem der E-Geige neue Klänge ab, die beim ersten Hören vielleicht irritieren, letzten Endes aber faszinieren. Im Gespräch beschreibt er seinen Umgang mit diesem „Material“ und wie er zu seinem außergewöhnlichen Repertoire gelangt.
 Simon, mich interessiert erstmals vor allem die immense Stilpluralität in deiner Musik. Woher kommt das?
Ich habe mich mit ganz vielen Stilen beschäftigt. Wichtig war für mich auch Andreas Schreiber, der einer meiner wichtigsten Lehrer war. Er hat mir ganz viele Horizonte eröffnet. Ein Teil kommt aber ganz einfach aus meiner Hörerfahrung. Vor allem die „rockige Seite“ hat mich immer schon begleitet, das hat mir immer schon gefallen. Ab dem Moment an dem es geheißen hast, dass ich jetzt schon einiges gelernt hätte und etwas selbst machen sollte, hat sich das automatisch in diese Richtung entwickelt.
Kann man sagen, dass damit dann einfach deine Persönlichkeit mit hereinkommt? Es geht dir darum auch Sachen in die Musik zu holen, die man ansonsten nicht oder kaum im Jazz-Kontext vermuten würde.
Ich denke eigentlich, dass das ein gängiger Ansatz ist. Das war damals auch schon mit den Jazz-Standards so. Da wurden auch einige Musical-Stücke „verjazzt“. Das mit den Rockstücken haben auch schon viele außer mir gemacht. Diese Stücke wurden im Jazz bearbeitet und es wurde darüber improvisiert. Eigentlich kann man zeitgenössischen Rock- und Popstücke als zeitgemäße Jazz-Standards bezeichnen.

Ein Jazz-Geiger mit weitem musikalischen Horizont: Simon Frick (Bild: Ben Leitner)
Ein Jazz-Geiger mit weitem musikalischen Horizont: Simon Frick (Bild: Ben Leitner)

Wenn wir schon mal von Jazz sprechen: Hast du ein ganz bestimmtes Verfahren, wie du mit dem „Ausgangsmaterial“ umgehst? Kannst du mir dieses kurz beschreiben?
Ich habe unterschiedliche Konzepte. Die Bearbeitungen auf meiner Solo-CD sind ja auch sehr unterschiedlich! Teilweise sind diese ziemlich nahe am Original. Eine Frage ist dabei, wie ich mit dem Sound der Geige das jeweilige Stück umsetzen kann. Wie bringe ich den Groove unter, wie die Melodie? Bei anderen Stücken nehme ich hingegen nur die Themen und arbeite mit diesen gänzlich frei. Das war zum Beispiel bei der Nummer von Guns N´Roses so. Diese Nummer muss man schon gut kennen, um sie in meiner Bearbeitung überhaupt wieder zu erkennen.
Würdest du dich eigentlich überhaupt als Jazz-Musiker bezeichnen?
Eigentlich schon, ja! Es wirft aber natürlich die Frage auf, was der heutige Jazz überhaupt ist. Jazz ist für mich ein kreativer Umgang mit allen Musikstilen, die es so gibt. Natürlich spielt auch die Improvisation dort für mich eine große Rolle.
Mir gefällt da gut, dass zum Beispiel Vijay Iyer Jazz nicht als Genre, sondern als System bezeichnet. Das System hat gewisse Verfahren und Techniken, um mit dem „Material“ kreativ umzugehen.
Ja, ich denke auch, dass Jazz mehr ein Musikzugang ist als ein konkreter Stil. Natürlich kann man sagen, dass dieses oder jenes „alter Jazz“ ist. Man kann sich ansehen, was die Musiker damals gemacht haben. Wie sie mit ihrem musikalischen Umfeld umgegangen sind . Im Moment verschwimmen die Musikstile aber, auch zum Beispiel in und mit der „Neuen Musik“. Alles gehört irgendwie zusammen. Jazz ist dabei ein kreativer Umgang mit der Musik der Zeit mit einem Schwerpunkt im Bereich der Improvisation. Meine musikalische Sprache ist zum Teil schon im Rock zuhause, ich gehe mit den Stücken aber wie ein Jazz-Musiker um. Ich improvisiere, variiere.
(Bild: Marco Prenninger)
(Bild: Marco Prenninger)

Bewegst du dich „nur“ in der experimentellen Jazz-Szene? Oder gehst du auch zu anderen „Szenen“ um bewusst die neue Freiheit des Jazz im heute auszukosten?
Es gibt sicher immer noch einen Drang zum Schubladisieren. Natürlich werden auch Projekte so eingestuft und unterschieden in „experimentell“ und „Rock“, „Neue Musik“, „Freie Improvisation“ oder was auch immer. Für mich gehört das aber alles zusammen. Ich denke, dass das für ganz viele Jazz-Musiker so ist. Nehmen wir zum Beispiel Jojo Mayer.
Ich war kürzlich bei einem „Nerve“ Konzert von ihm. Dort wurde Drum and Bass gespielt. Im Endeffekt nehmen sie diese Elemente, improvisieren aber frei. Worauf es hinaus läuft: Jazz beschäftigt sich mit der Musik der heutigen Zeit auf eine kreative, improvisatorische Weise. Deshalb kann Jojo Mayer auch sagen, dass seine Drum and Bass Band eigentlich eine Jazz-Band ist. Ich denke auch, dass es letztlich keinen Sinn mehr macht zu fragen, ob etwas Jazz oder „Neue Musik“ oder etwas anderes ist.
Ist aber die Rezeptionshaltung des Publikums wirklich schon so frei? Sind Leute nicht auch irritiert von deiner Materialwahl, wenn du mit Nirvana und Guns N´Roses um die Ecke kommst? Ist es für die HörerInnen selbstverständlich, dass du eine solche Auswahl triffst?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe aber schon mitbekommen, dass meine Solo-CD Projekt ein polarisierendes Projekt ist. Es gibt Leute, denen es sehr gut gefällt und es gibt natürlich auch Leute, die damit wenig anfangen können. Das liegt vermutlich schon am Material. Besonders bei den Sachen, die mehr in die Richtung Metal gehen. Das ist natürlich eine Klangästhetik, die man mögen muss. Es muss aber auch nicht allen alles gefallen.

Gibt es von der „Gegenseite“ her Metal-Hörer, die auf deine Sachen anspringen?
Ja, die gibt es. Leute, die überhaupt nicht im Jazz unterwegs sind und sich auch gar nicht mit dem Instrument Geige beschäftigt haben fragen sich: „Was ist das?“ „Warum klingt das so“?
Ist das eine gute Form von Irritation? Wird das „Verfahren“ wie du mit dieser Musik umgehst verstanden?
Ich denke nicht, dass das analytisch betrachtet wird. Es ist aber schön, wenn sich einige Leute dieser Musikrichtung und diesem Instrument annähern, die es sonst nicht gemacht hätten. Unter Geige versteht man ja gemeinhin was ganz spezielles, sowohl bei der klassischen Geige als auch bei der Jazz-Geige. Es gibt ganz viele Projekte, bei denen die Geige ähnlich klingt. Jazzgeige wird mit bestimmten Musikern assoziiert. Ich denke aber, dass es möglich ist, dass man der Geige noch unbekannte Klänge entlockt und neue Klangwelten entdeckt.
Was mich da interessiert: Baust du eigentlich auf dem Vergangenen auf oder gehst du ganz neue Wege? Wie würdest du dich verorten im Spannungsverhältnis von Tradition und Traditionsbruch?
Ich glaube, dass ich nicht bewusst mit der Tradition breche. Es ist aber auch nicht mein Ziel, Dinge weiterzuführen. Es geht bei mir auch viel um das Interesse etwas zu machen. Ich mache es, weil mich Dinge und bestimmte Stücke interessieren.
Geht es dir auch um Emotionen, die du mit bestimmter Musik verbindest?
Ja, es gibt natürlich Stücke, die mir einfach gefallen und die ich dann die ganze Zeit höre. Diese möchte ich dann auch selbst spielen. Das Stück muss sich natürlich auch für mein Instrument eignen. Die Umsetzung ist dann aber natürlich sehr analytisch. Die Nummer von Guns N´Roses war zum Beispiel mein Einstieg in die Rockmusik.
Möchtest du solche „alten“ und persönlich wichtigen Nummern wieder mit neuer Energie im Heute aufladen?
Das war vor allem bei der Guns N´Roses Nummer so. Auf andere Nummern bin ich schon zum Teil erst in den letzten Jahren gestoßen.
Ist es hinderlich oder förderlich solche Stücke neu „aufzuladen“? Stücke, an die man viele Erinnerungen hat?
Das Stück war mir ein Anliegen. Vielleicht musste ich es deshalb so anders machen, damit es für mich wieder funktioniert!
Was mir bei deiner Musik gefällt ist, abgesehen natürlich von der mutigen Repertoire-Wahl, dass sie authentisch, sinnlich und greifbar ist. Sie ist komplex, interessant und funktioniert zugleich auch auf einer intuitiven Ebene.
Das ist natürlich toll, wenn du das so wahrnimmst! Ich habe die Stücke auch so gemacht, dass sie mir persönlich gefallen. Wenn ich Musik höre, die kopflastig ist, dann gefällt mir das nicht. Das ist mir zu wenig. Es muss mich irgendwie treffen. Bei einigen „Neue Musik“ Ensembles gibt es tolle Ideen, die auch gut funktionieren. Teilweise merkt man aber auch, dass jemand dabei zu viel nachgedacht hat. Dann kommt die Musik auch nicht an.
Diesen Eindruck habe ich auch zum Teil beim modernen Jazz. Da gibt es viele Formen, die mich nicht ansprechen. Mich spricht hingegen alles an, das auch intuitiv funktioniert. Man sollte nicht zuerst das Stück analysieren müssen um die Faszination dahinter zu verstehen. Es muss einen bannen und faszinieren. Ob das mit groovigen Rhythmen passiert, mit außergewöhnlichen Sounds oder mit einer schönen Melodie ist dabei nicht entscheidend.
Danke für das Gespräch!

Titelbild: Ben Leitner

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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