Sounddilatation am Grand Piano

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Ein Grand Piano bietet, näher besehen, wirklich eine Menge Vorteile. Mal abgesehen davon, dass es für gewöhnlich einfach richtig gut klingt, kann man auch Whiskyflaschen darin aufbewahren oder sich sogar quer darüber legen und frivole Jazznummern zum Besten geben.


Das Grand Piano


Was die Grandbrothers aus Düsseldorf damit machen ist sehr viel subtiler und braucht pro Konzert ungefähr zwei Stunden Präparierung und eine mindestens flügelgroße Ablagefläche für Mischpulte und Laptop. Dann spielt Erol Sarp am einen Ende wirklich schöne, mal mehr, mal weniger klassische Klaviermusik, während Lukas Vogel am anderen Ende mit einem Bataillon ferngesteuerter Hämmerchen alles aus dem Flügel herausholt, was akustisch irgendwie zu holen ist. Über ein selbst geschriebenes Programm entfremdet er die Simultanaufnahme so raffiniert, dass sich daraus ein vielschichtiger elektronischer Klangteppich ergibt, den zunächst niemand mehr mit einem Klavier in Verbindung bringt. Das ist für sich genommen keine neue Idee – schon John Cage hat einen Flügel als Perkussionsinstrument zweckentfremdet – aber selten wurde sie so mit so viel Coolness und Frische umgesetzt wie von den Grandbrothers.


Der Sound


Ihr aktuelles und bislang einziges Album heißt Dilation (dt. Dilatation) und hält im Wesentlichen das, was der Titel mit der ersten, unmittelbaren Assoziation verspricht: Beim ersten Hören mutet der Sound vor allem minimalistisch und abstrakt an und es wird sehr schnell deutlich, dass er primär von der Ausreizung der technischen Möglichkeiten (analog wie digital) lebt. Minimalistisch und fast ein wenig zugeknöpft – dabei aber durchaus humorvoll – sind Sarp und Vogel auch als Personen. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grandbrothers echte emotionale Tiefe herstellen und dabei experimentell und mitunter sehr poetisch sein können. Erol Sarps Klavierspiel macht hierbei den organischen Teil aus, der gleichermaßen erdet und Leichtigkeit herstellt. „Dilation“ darf also wirklich nicht nur im streng technischen Sinne verstanden werden; vielmehr erweitern die Grandbrothers zwei Genres massiv in ihren Ausdrucksmöglichkeiten, indem sie vielleicht nicht das Allerbeste, aber doch das Bessere aus beiden miteinander vereinen.


Das Konzert


Manchmal, zum Beispiel im Fall des sich langsam aufschaukelnden „Ezra Was Right“ oder dem im Konzert noch halbimprovisierten „Anker“ ist das schlicht schön und stellenweise fast ein wenig meditativ. Bei anderen Songs wie „Naive Rider“, die auf ihre Art wirklich mitreißend sind, würde man sich wünschen, dass sie auch mal in unseren Clubs gespielt würden, weil sie dem, wofür Electronica zwar bei weitem nicht immer, aber immer öfter steht – Musik, die ihren Reiz erst dann zur Gänze entfalten kann, wenn man vorher allerhand Bewusstseinserweiterndes eingeworfen hat – deutlich widerspricht. Den Sound der Grandbrothers genießt man besser bei klarem Verstand, dann ist er in seinen stärksten Momenten für sich allein beinahe bewusstseinserweiternd. Die letzte, noch titellose Zugabe, die Lukas Vogel charmant mit der Frage „Wollt ihr noch eins?“ (begeisterter Applaus) ankündigt, verdeutlicht zudem, dass das Konzept noch lange nicht ausgereizt ist, weil hier zwei nicht nur technisch versierte, sondern auch ausnehmend inspirierte junge Musiker am Werk sind. Innsbruck freut sich jedenfalls, wenn die beiden ihr Projekt dilatieren!


Zum Reinhören


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