Plattenzeit #24: Wilco – Schmilco

8 Minuten Lesedauer

Schluss mit den Meisterwerken!


Wilco war eine Band der unantastbaren Meisterwerke. Spätestens mit „Yankee Hotel Foxtrot“ galten sie als das amerikanische Gegenstücke zu Radiohead. Mit „A Ghost Is Born“ legte Wilco dann ein nicht gerade für seine gute Laune und Leichtfüßigkeit bekanntes Werk vor, das diesen Ruf noch festigte. Diese Platten waren Ereignisse, die fein säuberlich analysiert fortan auf dem Altar der besten Platten aller Zeiten gehuldigt werden würden.
Die Zeichen standen somit gut, dass diese Band, die nebenbei seit Jahrzehnten als eine der wohl allerbesten Live-Bands dieses Planeten gilt, weiterhin solche Platten unter das hörige HörerInnen-Volk werfen würde. Doch bereits mit „Wilco (The Album)“ schlich sich leichte Selbst-Ironie ein.
Die Band schien ihren Ruf, der sich vor allem aus Superlativen von Fans und Kritikern zusammensetze, ein wenig zu verballhornen. „Wilco Will Love you“ war auf dieser Platte zu hören. Natürlich im Wissen, dass die eigene Band übermäßig geliebt und verehrt wurde versprach hier eine zunehmend altersmilde Band, dass sie natürlich ihre Fans „zurück lieben“ würde. Schöne Sache das. In den weiteren Songs ebendieses Albums ging es aber dann doch wieder um die großen amerikanischen Themen und um eigene Befindlichkeiten.
Mit „The Whole Love“ war danach ein Endpunkt erreicht. Der Mörder-Gitarrist Nels Cline war in den Sound endgültig bestens integriert und der Himmel schien das Limit zu sein. Die Band war am Gipfel ihrer musikalischen Möglichkeiten angelangt. Hier wurde aus dem Vollen geschöpft: Elektronische Sounds, Avantgarde-Noise-Eskapaden, Beatles-Anleihen und Songwriting vom Allerfeinsten. Es gab allerdings ein Problem: Die Platte erzählte von nicht viel mehr als davon, was alles möglich wäre. Wilco reflektierte über Wilco. Wilco machte sich selbst zum Inhalt, sowohl was Musik als Texte betraf.
Man hätte es nach diesem Album gut sein lassen können. Manche Anhängerinnen und Anhänger meinen gar, dass es vernünftig gewesen wäre es gut sein zu lassen und diese Platte als finales Statement in die Musikgeschichte eingehen zu lassen. Es wäre ein großartiger Schlussstrich unter eine eindrucksvolle und musikalisch höchst vielseitige Karriere gewesen.
Doch dann passierte etwas, das man so nicht erwartet hatte. Die Band hatte ganz plötzlich keine Lust mehr auf ewige Meisterwerke. Sie entdeckte eine Lässigkeit und Leichtigkeit, die so gar nichts mit dem Perfektionismus von „The Whole Love“ zu tun hatten. Fortan nahm es die Band in Kauf, dass von übereifrigen Werk-Interpretierern und Meisterwerk-Schreiern der kommende Output lediglich als Randnotiz und Marginalie im Schaffen der Band eingeordnet werden wird.


Star Wars und Schmilco


Plötzlich, quasi über Nacht, war die Vorgänger-Platte von „Schmilco“ da. Das salopp mit „Star Wars“ betitelte Album wurde auf der eigenen Homepage als Gratis-Download zur Verfügung gestellt. Die Botschaft dahinter war und ist klar: Da möchte eine Band ihre Fans lieben, bevor sie selbst geliebt wird. Ihnen quasi zuvorkommen. Mit dieser Strategie entgeht man auch der Tatsache, dass schon im Vorhinein über ein noch gar nicht veröffentlichtes Album spekuliert wird und sich die Frage stellt, ob es denn mit dem vorherigen Output in Sachen Qualität mithalten könne.
Bereits Stunden später rätselten Hörerinnen und Hörer über dieses Album. Was war das? Es begann mit einer etwa 1-minütigen Noise-Attacke von Nels Cline und Jeff Tweedy. Song war das beim besten Wille keiner. Danach ging es relativ konventionell, aber sehr roh weiter. Sound-Spielereien, Live-Feeling, kurze Songs. War das etwa gar ein Album von B-Seiten, die es auf vorherigen Alben nicht geschafft hatten? War das eine Band, die einfach ins Studio gegangen war und aufgenommen hatte, was sie gerade spielte?
Im selben Zeitraum und im Rahmen zahlreicher Recording-Sessions ist auch „Schmilco“ entstanden. Bereits der Titel ist, vielleicht mehr noch als „Star Wars“, ein echter Schenkelklopfer. Reimt sich zumindest und muss daher auch, frei nach Pumuckl, gut sein. Wer sich hier jetzt aber ebenfalls sägende Rock-Gitarren erwartet erlebt eine herbe Enttäuschung. „Schmilco“ ist der leise, schüchterne Bruder von „Star Wars“, der seiner Lust auf Experimente eher verschämt im Dunkeln nachgeht.
Selten zuvor klang die Stimme von Mastermind Jeff Tweedy derart zerknittert. Selten zuvor waren die Texte so persönlich und intim. Neben dem nuschelnden Gesang braucht es hier außerdem nicht viel mehr als ein paar leise gestrichene und gezupfte Akustik-Gitarren. Nels Cline darf weniger Soli spielen und seine Experimente fallen seltsam songdienlich aus. Minimalismus regiert.
Doch der erste Eindruck trügt – wie er es auch schon bei „Star Wars“ tat. Auf „Schmilco“ befinden sich keine unüberlegten Song-Skizzen, sondern konzise Lieder, die sich von überhöhten Erwartungshaltungen freigeschwommen haben. Der sprichwörtliche Teufel liegt im Detail, in den kleinen, aber sehr feinen Sound-Spielereien. Hinter den exzellenten Songs aus der Feder von Tweedy spielt eine Band so zurückhaltend und doch so grandios wie nur möglich auf. Man könnte sagen, dass sie aus dem Minimalen das Maximale herausholt. Der Sound ist dabei spröde, brüchig, unaufgeregt. Ganz so, als könnte so mancher Song in der nächsten Sekunde auch auseinander fallen oder schlicht und einfach überraschend aufhören.


Fazit


„Schmilco“ ist kein unantastbares Werk geworden, das in den nächsten Wochen als Meisterwerk verklärt werden wird. Es ist das Werk einer Band, die so lässig, grandios und unbekümmert musiziert wie noch nie zuvor in ihrer Karriere. Das tut den Songs gut. Der Band selbst auch. Und zuletzt natürlich den Fans, die sich darauf einlassen können, dass es der Band nicht mehr darum geht, mit jeder Platte ein unumstößliches Statement zu formulieren, sondern einfach zu zeigen, dass sie, nicht nur live, eine der besten Bands dieser Erde ist. Ohne ostentatives Virtuosen-Gehabe.
Das alles tut gut. Womöglich sind sie, entgegen der früheren Annahme, die Anti-Radiohead. Ihre Alben werden von Mal zu Mal unprätentiöser, während Radiohead eine gänzlich andere Richtung eingeschlagen haben. Und wer weiß: Vielleicht wird „Schmilco“ später einmal als DAS Meisterwerk der Band gelten. Die Songs wären jedenfalls grandios genug um eine solche Rezeption zuzulassen. Die Zeit wird es zeigen. Und Wilco dürfte das alles mittlerweile ohnehin egal sein.


Zum Reinhören



Titelbild: (c) Austin Nelson

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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