Plattenzeit #42: Chris Thile & Brad Mehldau

7 Minuten Lesedauer

Zusammentreffen


Im Jahr 2013 schliff man den Pianisten Brad Mehldau zu einem Konzert der Punch Brothers. Mehldau war aus dem Häuschen. Kein Wunder. Denn mit dem Mandolinisten und Sänger Chris Thile traf er einen Gleichgesinnten. Chris Thile wildert nämlich, ähnlich wie Mehldau, in sehr unterschiedlichen Fachgebieten. Thile ist nicht nur Mastermind der Progressive-Bluegrass-Pop-Wasweißich-Band Punch Brothers, sondern hat unter anderem auch eine Solo-Mandoline-Platte mit Bach-Einspielungen vorgelegt. Ebendieser beschäftigt Thile nämlich schon seit seiner Kindheit.
Auch Mehldau, an sich ja begnadeter Jazz-Pianist, machte immer wieder mit ungewöhnlichen Projekten von sich reden. Er  sorgte etwa mit Radiohead-Auslegungen für Furore. In seinen Live-Konzerten hat er absolut keinen Hemmungen den Bogen von Bach bis Radiohead zu spannen. Über eine mögliche Bluegrass- und Folk-Vorliebe von Mehldau weiß man hingegen wenig bis nichts. Diese darf und kann er aber jetzt in dem Duo mit Chris Thile ausleben.
Die Begegnung von Mehldau und Thile im Jahr 2013 bei dem besagten Konzert hatte jedenfalls Folgen. Man trat in intensiven Gedanken- und Ideen-Austausch und schickte sich Song-Ideen, Song-Skizzen und Lieblings-Songs zu. Der straffe Zeitplan der beiden vielbeschäftigten Musiker ließ stetige und regelmäßige Proben nicht zu. Stattdessen erprobten die beiden vieles von dem, was sich in ihren Köpfen abspielte in Live-Situationen. Das führte dazu, dass das Duo bereits wenige Monate nach dem persönlichen Kennenlernen auf der Bühne stand und erste Songs zum besten gab.
Wer diesen Songs den unguten Begriff „Cover-Versionen“ umhängen möchte ist auf dem Holzweg. Thile und Mehldau spielen nicht nach, sie spielen neu. Sie nehmen Song-Strukturen und Vorgegebenes und spielen sich immer wieder frei. Ja, es darf auch improvisiert werden. Ja, man darf das, wenn man schon sonst keinen Namen findet, auch Jazz nennen. Musikalisch geht es aber drunter und drüber: Blues, Country, Pop, Folk, klassische Einflüsse, jazzige Piano-Läufe. Auch selbst komponiertes mischt sich darunter. All das vermengt das Duo zu einem grenzenlosen Musik-Hybrid, dem mit Hilfe der Musikalität jedwede aufkeimende Beliebigkeit ausgetrieben wird.


Gegenwart


Darf man das jetzt „postmodern“ nennen? Sicher nicht. Natürlich vermengen Thile und Mehldau verschiedenste Stile und rühren dabei ganz gewaltig um. Ironie wird dabei aber durch Witz ausgetauscht. Lauwarmes „Alles-war-schon-da-warum-was-Neues-erfinden“ wird durch echten und ernst gemeinten Entdeckergeist ersetzt. Selbstverständlich lässt sich das Rad in Sachen Musik nicht neu erfinden. Aber mit ganz viel Enthusiasmus und Können lassen sich an sich bekannte Songs und Elemente so lange bearbeiten, bis Augenblicke der Neuartigkeit aufblitzen. Solche Augenblicke finden sich bei vorliegendem Duo-Album zuhauf.
Thile und Mehldau kapitulieren nicht vor der Komplexität der Musik-Gegenwart, sie nehmen die Herausforderung an. Somit werden sie nicht zu „postmodernen“ Subjekten, die aufgrund der Überfülle an Möglichkeiten die eigene Souveränität verlieren und gar nicht mehr wissen, was sie eigentlich tun. Im Gegenteil machen sie sich bewusst, was sie tun. Thile und Mehldau gehen das zutiefst moderne und geniale Projekt zur Wiedererlangung der Kontrolle über das Musik-Material an. Es gibt wohl kein Duo, das der Erfüllung dieses Mammut-Vorhabens derzeit näher kommt.
Das Duo zeigt auch, dass es zuerst die Kontrolle und das Verstehen der Musik-Vielfalt braucht, um aus dieser auszubrechen und diese zu überschreiten. Kontrolle und Kontrollverlust gehen hier Hand in Hand. Haben sich Thile und Mehldau die Kontrolle über das Stück erspielt, zerlegen sie es regelrecht. Das geschieht hier nicht laut, sondern subtil, mit feiner Klinge.
Danach wird das jeweilige Stück zum Sprungbrett des Musik-Exzesses, der auf diesem Album aber nie aufdringlich oder übertrieben-virtuos daherkommt. Die beiden Musiker-Genies improvisieren, duellieren sich, vor allem aber kommunizieren sie und hören unfassbar gut zu. Sie legen sich Bälle auf, die der andere verwertet. Das Lob dafür streift aber nicht der Torschütze ein, sondern das Duo. Auf diesem Album gibt es, was selten ist, absolut keinen Konkurrenz-Kampf. Team-Play ist hier Trumpf.
Die Ergebnisse sind erstaunlich. Vor allem wenn man bedenkt, dass hier mit Piano und Mandoline wahrlich ungleiche Partner im Spiel sind. Die Gefahr, dass das Piano die Mandoline weit übertönt und an die Wand spielt ist groß. Hier gelingt es aber bravourös, dass jedes Instrument seine Rolle findet und im Duo-Setting herrlich mit dem Gegenüber ins Gespräch kommt.


Fazit


Die Aufnahme ist tatsächlich beinahe perfekt. Wie es sich aber im erweiterten Umfeld der improvisierten oder teil-improvisierten Musik gehört, wurde diese in nur wenigen Tagen eingespielt. Das macht sie zu einem Zeitdokument und zu einem imaginären Endpunkt. Damit muss man sich abfinden. Diese Platte ist eine Momentaufnahme.
Wer die Live-Mitschnitte hört merkt sofort, dass sich Thile und Mehldau zum Teil musikalisch in andere Richtungen als auf der hier vorliegenden Platte bewegen. Die wahre Wirkung entfaltet sich darüber hinaus wohl erst bei einem Konzert-Besuch. Diese Platte ist ein wunderbarer Abglanz dessen, was im Studio tatsächlich passiert ist und was live bei diesem Duo noch alles möglich sein wird.
Klar ist aber: Die Chemie stimmt. Das Zusammentreffen dieser beiden hochgradig originellen Musiker war ein Glücksfall. Es ist davon auszugehen, dass dieses Album nicht das letzte gewesen ist, sondern erst den Anfang eines wunderbaren und fruchtbaren Dialoges darstellt, dem zuzuhören man niemals überdrüssig werden wird.


Zum Reinhören



Titelbild: (c) Ross Day, flickr.com, Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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