Plattenzeit #54: Tiamat – A Deeper Kind of Slumber

6 Minuten Lesedauer

Danke, Johan!


Man ist, was man hört, sieht und liest. Den Menschen dahinter zu suchen ist nicht nur mühsam, sondern sinnlos. Womöglich trifft man noch auf ein paar körperliche Merkmale und selbst die sind, wie wir spätestens seit post-feministischen Theorien wissen, irgendwie verhandelbar und konstruiert. Dass der Mensch zum Körper natürlich hochgradig kulturell beeinflusst und gemacht ist, versteht sich da fast schon von selbst. Das ist eine unangenehme Wahrheit. Vor allem deshalb, weil ich dieser Theorie zufolge genau so viel Tiamat wie David Bowie bin.
Tiamat begannen als Gothic-Death-Metal-Hybrid-Band. Neben allen möglichen harschen Vocals und allerlei Gegröle zeichnete sich schon früh das gute Händchen des Masterminds Johan Edlund für schwülstige Synthie-Sounds und Pop-Melodik ab. Mit „Wildhoney“ wurde diese Vorliebe ganz ungeniert zelebriert, mit „A Deeper Kind of Slumber“ zementiert und ausgefeilt. Ob sich der Titel darauf bezieht, dass die ehemaligen Fans der Band bei der Vorgänger-Platte höchstwahrscheinlich eingeschlafen sind oder ob damit ein durch illegale Substanzen erweiterter Bewusstseinszustand beschrieben wird, bleibt zumindest mir bis heute unklar.
1997, im Erscheinungsjahr des Albums,  war meine Welt jedenfalls noch in Ordnung und Metallica die beste Band der Welt. Doch es gab schon ein paar Versprechen und Andeutungen, dass meine Musikwelt bald in Unordnung geraten würde. Johan Edlund hatte nicht unwesentlich Anteil an dieser produktiven Verwirrung, die mich zuerst maßlos irritierte und dann von meinen Metal-Freunden entfremdete. Tiamat war die Band, die man gerade noch hören durfte, wenn man noch als Metaller durchgehen wollte. Doch Tiamat verwies schon auf mehr. Das worauf Tiamat verwies war aber schon verbotenes Terrain.
In Zeiten der musikalischen Enge sind Pop-Bands wie „Everything But The Girl“ schon Freiheitsversprechen. Der wundersame Edlund bekannte in einem einschlägigen Fachmagazin seine Liebe zu ebendiesem Act. Wenige Monate später und mit diesem impliziten Freiheitsgedanken infiziert stand ich bei einem Konzert von Tiamat in Salzburg. Ohne Metal-T-Shirt. Nicht betrunken. Aufmerksam. Neugierig. Die Welt stand offen und die Tür zu anderen Musikrichtungen war plötzlich weit geöffnet.
Das Konzert wurde eine Art Erweckungserlebnis mit mieser Ton-Abmischung. Das bedeutungsschwangere Geraune von Edlund ging gnandlos im Sound-Brei unter. Der exzessive Einsatz von Bühnen-Nebel tat sein übriges. Auf der Bühne stand ein stark geschminkter Johan Edlund, dem Cover der damals aktuellen Platte nachempfunden. Kein Corpse-Paint mehr tragend, war er dennoch noch nicht bereit sich so zu zeigen, wie er wirklich war. Ein wenig Metal-Zauberei und Eskapismus musste halt doch noch sein.
Statt harten Metal-Riffs bekam man schwammige und verschwommene Gitarren-Läufe serviert, die eher an Pink Floyd als an Death-Metal erinnerten. Wenig war mehr. Statt halsbrecherische Breaks durfte auch mal einige Minuten kaum etwas passieren. Ein paar Akkorde, ein bisschen Keyboard-Teppich und der leicht neben der Spur befindliche Gesang des Lead-Sängers reichte aus um mich 1998 zu entzücken.
Danach traf ich Edlund. Er wechselte ein paar Worte mit mir, wirkte aber sehr introvertiert. Kein Wunder bei der Musik. Wer verhangene, sphärische Semi-Metal-Songs schreibt, darf kein netter Zeitgenosse sein. Solche Musik wird in Schlafzimmern oder schlafzimmerähnlichen Studios produziert und würde sich am liebsten in diesen verkriechen, wenn nicht der kommerzielle Druck zu Auftritten und Öffentlichkeitsarbeit zwingen würde.
Das ergab eine paradoxe Situation. Ich war erleuchtet und euphorisiert, da ich meinen damaligen „Star“ getroffen hatte, der all meine damaligen Gefühle auf den Punkt brachte. Zugleich war ich beruhigt, weil ich ab da wusste, dass es völlig in Ordnung ist Musik aus einer Außenseiter-Position heraus zu produzieren und folglich auch ganz generell ein Außenseiter zu sein.


Fazit


Manches tut weh. Manche Aspekte der eigenen Persönlichkeit will man nicht mehr wahrhaben. Tiamat war zweifellos eine Zäsur in meinem Musikleben. Im Heute fällt es mir schwer die Musik zu hören. Zu pathetisch, zu verschwommen, zu sehr nach einer Metal-Band klingend, die nach anderen Möglichkeiten Ausschau hält.
Es ist eine Übergangs-Platte, die mich angestoßen hat mich weiterzubewegen. Der Schritt zurück scheint hingegen wenig reizvoll. Tiamat haben den Schritt nach vorne nicht endgültig gewagt. Nach „A Deeper Kind of Slumber“ ging es zurück in metalligere Gefilde. Ganz so, als ob alles nur ein kurzes Ausflug gewesen sei um andere Musik-Spielarten auszuprobieren.
Dennoch: Ich bin Tiamat. Ich war Tiamat als ich damals in abgedunkelten Zimmern saß und diese Platte rauf und runter spielte. Ich bin auch heute noch Tiamat, wenn ich weniger Zugang zu dieser Musik finde und angedeutete Möglichkeiten in anderen Bands besser verwirklicht sehe. Aber dass ich überhaupt sah und hörte, was sonst noch möglichst ist, dafür sind Tiamat und Johan Edlund maßgeblich mitverantwortlich. Auch die Erkenntnis, dass man im Heute nicht viel mehr und anders ist als damals macht sich beim Hören dieser Platte breit. Leicht verschroben, ein bisserl außenseiterisch angehaucht. Danke Johan!


Zum Reinhören


 Titelbild: (c) Felipe Fenrisvarg, flickr.com, Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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