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Heldentypen

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Unvermutet sind wir in ein neues Heldenzeitalter eingetreten, nachdem uns die Erfahrungen der Weltkriege eine Zeitlang allen Heroismus ausgetrieben hatten. Höchstens als Hollywood-Sehnsuchtsbild oder im Spitzensport taugte das leere Wort noch. Und jetzt das. Plötzlich gibt es große, überlebensgroße und kleine Helden ohne Zahl, sodass man kaum mehr weiß, wen man noch alles beklatschen soll. Sogar die Kriegshelden sind wiederauferstanden: mit martialischen Metaphern ziehen sie in den Kampf gegen Virus und Menschen, Hotspots und ganze Nationen. Es sind Heroen, die ihre Anhänger eh schon anderweitig in tödliche Sackgassen geführt haben, die aber nun alle Probleme dem Virus in die Schuhe schieben. Das ist in Kriegen ja Usus, dass da einer an allem Unglück schuld sein muss.  Jeder große Held braucht seinen Feind. Ohne Feind kein Helden- und kein Führertum! Und ein unsichtbarer Feind ist der allerbeste, denn den kann man immer wieder neu aus der Schublade ziehen. Deshalb ist so ein heldenhafter Führer gar nicht daran interessiert, seinen Feind wirklich auszurotten. Im Gegenteil. Mit welchen propagandistischen Mitteln auch immer wird er versuchen ihn letztlich am Leben zu erhalten. Großheldentum und Feind leben in untrennbarer Symbiose.

Einer dieser Helden hat sich im Bewusstsein seiner Unverwundbarkeit sogar höchstpersönlich dem Tod gestellt und wer weiß wie viele andere händeschüttelnd höchstpersönlich angesteckt. (Seine schnelle Rekonvaleszenz lässt zwar für manche Zweifel am persönlichen Kampfeinsatz offen, aber natürlich kann den echten Heros so ein kleines Virus höchstens an der Ferse kratzen). So besitzt er nun neben dem Heldennimbus auch noch das volle Mitgefühl der Bodentruppen, sodass trotz dreißigtausend und täglich mehr Toten seine Strategie unkritisiert bleiben muss. Schließlich hat er, indem er seine Partnerin und den eigenen Sohn gefährdete, ja bewiesen, wie selbstlos und ohne jegliche persönliche Rücksichtnahme er seine Führerrolle ausübt. Seine Geschichte wird dadurch überlebensgroß.

Und sehr viele dieser großen Helden zählen zudem zu einem ganz besonderen Untertypus, der seit dem Altertum die Realität wie auch die Mythologie bevölkert: dem des Maulhelden. Er ist derzeit leichter als sonst zu erkennen, weil er standhaft den Mund-Nasen-Schutz verweigert. Als einziger tritt er furchtlos und ungeschützt zwischen all den ängstlich Vermummten auf.  Man sieht ihn heldenhaft in den USA eine Maskenfabrik besichtigen und in Österreich in den ersten Reihen im Parlamentsplenum sitzen. Wahre Helden stellen sich dem Feind mit offenem Visier. Und was wäre ein Maulheld, der sich den Mund zubindet! Nur hat dieser offenbar noch nicht mitgekriegt, dass der Mund-Nasenschutz eigentlich nicht der eigenen Sicherheit, sondern jener der Mitmenschen dient.  Aber auf solche Feinheiten kann man keine Rücksicht nehmen. Das Image des mutigen Einzelkämpfers muss genügen, um sich unter die wirklich Großen einzureihen. Und wer die alten Sagen gelesen hat, der weiß sowieso: Der große Held ist in seinem Innersten ein rücksichtsloser Egoist.

Aber was ist nun mit den Hunderten von kleinen Alltagshelden (oft Heldinnen) aus dem Gesundheitsdienst und anderen Berufen, die bis zum letzten Atemzug ihre Pflicht erfüllen? Diese werden aufgemuntert, beklatscht, weiterhin schlecht bezahlt, in Todesfallzahlen zusammengefasst und irgendwann wieder ins anonyme Fußvolk zurückverwandelt werden. Diese selbstlos fürs Allgemeinwohl leidenden und daher einzig echten Helden (und Heldinnen), das weiß man leider aus langer Erfahrung, werden von der Geschichte vergessen werden.

An die lauten dagegen, insbesondere an die Maulhelden, die meist wunderbar unbeschadet aus (teilweise sogar von ihnen mitverursachten) Krisen davonkommen, die Ruhm und Aktiengewinne aus den Verlusten der kleinen Helden generieren, an die werden uns die Geschichtsbücher noch lange erinnern.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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