2015: als das Leben endgültig tödlich wurde

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2015, drei Jahre nachdem die Welt untergehen sollte, ist es also passiert: Fleisch und Wurstwaren sind krebserregend. Im Gegensatz zum Maya-Kalender, berufen sich Forscher auf die Wissenschaft. Was ein gefundenes Fressen für jeden Vegetarier/Veganer sein dürfte, stört die Allgemeinheit in ihren Grundzügen. Droht Kulturgütern wie dem Würstelstand, dem Schnitzelparadies, den Törggelengruppen, den Steaks oder dem Tafelspitz das Aus? Gehört die Wurstsemmel oder der Döner der Vergangenheit an? Ja, es hat so kommen müssen, im Jahr 2015.
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) erhöhe der regelmäßige Konsum von Wurst- und Fleischwaren das Darmkrebsrisiko. Über 800 Stunden haben 22 Experten den Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Darmkrebs ausgewertet um schlussendlich zu diesem Ergebnis zu kommen: wer je 50 Gramm verarbeitetes (geräuchertes/gepökeltes) Fleisch- oder Wurstwaren am Tag isst, erhöht das Risiko an Darmkrebs zu erkranken um 18 Prozent.


Muss man also auf Fleisch verzichten, um den Krebs (und jene Tweets) zu verhindern? Was bedeutet es überhaupt, wenn ein Lebensmittel als „krebserregnd“ eingestuft wird?

Krebserregend ist nicht gleich „krebserrgend“

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) untersucht, was Krebs auslöst. Sie unterscheidet fünf Gruppen: „krebserregend“ (1) , „wahrscheinlich krebserregend“ (2A), „möglicherweise krebserregend“ (2B), „nicht einzustufen“ (3), „nicht krebserregend“ (4). Vor allem die Gruppe 1 ist in den letzten Jahrzehnten, dank exzellenter Fortschritte in der Forschung, gestiegen. Was in den 1970ern noch als ungefährlich galt, ist heute anerkannt krebserregend: Rauchen. Neben Tabakrauch zählen beispielsweise Asbest, UV-Strahlung und Alkohol zu dieser Gruppe. Rotes Fleisch findet man seit gestern in Kategorie 2A, mit Substanzen wie Herbiziden (Unkrautbekämpfungsmitteln), Steroiden oder dem Rauch von Kaminfeuern.
Ob eine Substanz in Gruppe 1, 2A oder 2B landet, sagt aber nichts darüber aus, wie stark sich das Krebsrisiko erhöht. Viel mehr geben die Gruppen Aufschluss, wie sehr belegt ist, dass eine Substanz Krebs auslöst. Bei regelmäßigem Tabakkonsum ist die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken hoch. Allerdings erkranken „Sonnenanbeter“, also Menschen die sich häufig und lange UV-Strahlung unterziehen, eher an Hautkrebs. Obwohl beide Substanzen – Tabakkonsum und UV-Strahlung – in Gruppe 1 sind, heisst das nicht, dass sie beide gleich gefährlich sind.
Die Begründung für die Fleischerkenntnis: Während pro Jahr etwa eine Million Menschen an Lungenkrebs sterben, der durch Rauchen verursacht wurde, kommen schätzungsweise 34.000 durch einen Krebs ums Leben, der auf den Verzehr von verarbeitetem Fleisch zurückzuführen ist.

Was sagen die Ernährungsexperten?

Dr. Birgit Wild vom Institut für Ernährungswissenschaften und Physiologie an der UMIT Hall erklärt AFEU gegenüber:
„Fleisch und Wurstwaren nun aber als „giftig“ darzustellen ist sicher überzogen und soll nicht zu Angst vorm essen führen. Es ist auch ernährungsphysiologisch nicht günstig, nun auf Fleischersatzprodukte auszuweichen, da auch Soja oder Seitan in größeren Mengen zu Allergien/Intoleranzen und Gesundheitsschäden führen können.“
Viel mehr solle die schon länger ausgesprochene Empfehlung von Fachgesellschaften verinnertlicht werden: Fleischkonsum ist gut, allerdings maximal drei bis vier mal in der Woche. Außerdem könne man Krebs nicht allein auf „Ernährungsfehler“ zurückführen, da meistens ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren der Grund für eine Erkrankung ist (Rauchen, Alkohol, Stress, freie Radikale, Umweltschäden, Alter, genetische Disposition).
Also auch nicht ganz darauf verzichten? Dr. Wild meint dazu: „Fleischgerichte mit hoher Beilagenkomponente und einem angemessenen Ballaststoffanteil (Nudeln, Salat, Gemüse, Kartoffeln, Getreide etc) sind ernährungsphysiologisch durchaus zu empfehlen, wenn auch auf die Qualität von Fleisch und Wurst stimmt.
Problematisch bzw krankmachend ist immer eine Imbalance, d.h. eine einseitige Ernährung, bei der auch die Qualität der Lebensmittel nicht sehr hoch ist – Stichwort Massentierhaltung. Leider haben wir bei den Konsumenten einen Trend zu Billigware und Fastfood. Wenn Lebensmittel wieder mehr wert sein dürfen, ist auch die Qualität besser und sicher keine Gefahr für die Gesundheit.“
https://twitter.com/BMRupprechter/status/658950878532083712?lang=de
Der Kurznachricht des Bundesministers für Umwelt und Leben kann die Expertin nur zustimmen:
„Bei regionalen und biologischen Produkten sehe ich kein Problem, solange die Mengenverhältnisse passen und die Teller insgesamt „bunt“ sind. Fleisch hat auch ernährungsphysiologisch gewisse Vorteile: hohe biologische Wertigkeit, gut verfügbares Eisen, Vitamin D und noch einige mehr. Außerdem gibt es viele traditionelle Gerichte, wo auch gesundheitsfördernde Beilagen für den Darm ohnehin vorgesehen sind.“

Wie geht es jetzt weiter

Nimm das erste Welt! Das haben wir jetzt davon – von Massentierhaltung, präventivem Antibiotikafutter, Monsanto und Co. – Krebs überall. Wer kommt denn nach dem Genuss eines Schnitzels auf die Idee, an Krebs erkrankt zu sein? Die Gesellschaft 2015 kann sich sehr gesegnet schätzen. Forschung und Medizin gelingen immer detailliertere Diagnosen und neue Entdeckungen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Fleisch wird seit Anbeginn der Menschheit konsumiert, Millionen Jahre später kann die Forschung nachweisen, was krebserregend ist und was nicht. Die Forschung kann überhaupt diagnostizieren was Krebs ist uns was nicht! Fleisch scheint jetzt auch auf der „Blacklist“ auf, womit konsequenter Weise unserer Kultur das Aussterben droht. Bier- und Fleischkonsum, dazu noch die ein oder andere Zigarette oder das ein oder andere Pfeiferl sind in unseren Breitenkreisen fest verankert. Die Dosis macht’s wieder einmal aus. Bleiben noch einige andere Fragezeichen offen – Handystrahlung, W-Lan usw. Auch hier wird die Forschung noch forschen. Bis dahin werden wir auch noch nicht ausgestorben sein. Allerdings liegt der Schluss nahe: noch nie war das Leben – in Friedenszeiten – so tödlich wie im Jahr 2015.
Im Zweifel kann man ja immer noch an die Politik denken. Und wer gar einen großen Gusto hat, kann auch in die Politik gehen:

Titelbild: sillilein74  / pixelio.de

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