Mit Croissants gegen die Wohlstandsdepression

10 Minuten Lesedauer

Die Generation Y, das sind die Leute, die zwar in einer Tour whatsappen und posten, aber offiziell noch keine digital natives sind. Die zwar überleben könnten, ohne jemals aus dem Haus zu gehen, sich aber trotzdem ein filmreifes Leben ausmalen.  Deshalb sind sie durchaus noch in der Lage, außer Haus zu lesen und zu diskutieren – letzteres kürzlich in Kombination. Beim vergangenen Montagsfrühstück, das diesmal nicht, wie üblich, im Literaturhaus am Inn, sondern in der Bäckerei (Stichwort: Kaffee und Croissants) stattfand, gaben sich zwei solcher Millennials äußerst auskunftbereit: David Prieth und Friederike Gösweiner berichteten von ihrer Erfahrung mit Wohlstandsdepression, Arbeitslosigkeit und dem Kreuz mit der Geisteswissenschaft. Die Soziologin Claudia Globisch lieferte den wissenschaftlichen Überbau.
„Zwischen Selbstverwirklichung und Existenzkampf“ befände sich diese vielseitige Generation. Darum geht es auch in Friederike Gösweiners Roman „Traurige Freiheit“. Ihre Protagonistin Hannah ist definitiv ein „Millennial“ – aber einer, an dem sich die ganze Komplexität des Begriffs und des Phänomens zeigt.


Interview


AFEU: Die Diskussion zum Montagsfrühstück war ziemlich soziologisch geprägt. Wie sehr haben Sie selbst, wenn Sie schreiben, diesen politischen oder sozialkritischen Anspruch, auf Probleme hinzuweisen, Debatten anzustoßen, oder idealisiert: etwas zu verändern?
Friederike Gösweiner: Ein Kriterium beim Schreiben meines ersten Texts war schon, dass er relevant sein sollte. Es soll ein Thema sein, dass nicht nur mich interessiert, sondern von dem ich finde, dass es für die Gesellschaft, in der ich lebe, von großer Bedeutung ist. Und insofern ergibt sich der sozialpolitische Anspruch ganz automatisch. Ich glaube, man muss als Autor nur sehr, sehr realistisch sein und wissen, dass man kaum etwas bewegen kann. Aber es ist schon sehr viel getan, wenn ein Buch zum Nachdenken anregt, wenn Leser darüber reflektieren, welche Haltung sie selber zu dem Thema haben, das in dem Buch, das sie gerade lesen oder gelesen haben, behandelt wird.
AFEU: Da bietet Literatur natürlich auch die Möglichkeit, solche Generalisierungen, wie es sie in der Wissenschaft faktisch gibt, aufzubrechen, oder die Komplexität der Phänomene zu zeigen, die immer ein wenig verflacht wirken, wenn man sie soziologisch angeht.
Gösweiner: Deshalb habe ich auch einen Roman geschrieben. Man hätte ja auch eine journalistische Reportage machen können, oder eine ganze Serie von Reportagen. Da gibt es ja auch. Aber ich glaube, Literatur kann aus soziologischen oder philosophischen Befunden noch einmal etwas sehr viel Lebendigeres machen, ein ganzheitlicheres Bild vom Erleben des Menschen zeichnen. Es geht nicht allein ums Warum in Literatur, anders als vielleicht in der Wissenschaft, sondern das Wie steht im Vordergrund. In meinem Text: Wie geht es meiner Hauptfigur Hannah mit der Welt, die sie vorfindet, und natürlich auch wie geht es ihr mit sich selbst? Literatur muss sich nicht an die faktische Wirklichkeit halten, sondern kann mit traditionellen Mitteln der Verdichtung und Verfremdung arbeiten, also mit Symbolik, mit Leitmotivik. Und das versuche ich in meinem Roman alles auszuschöpfen.
AFEU: Der Roman heißt „Traurige Freiheit“. In der Diskussion ist auch viel um die westlichen Werte, auch die Werte der Aufklärung gegangen, um Individualismus und Freiheit. Würden Sie, vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Geschehnisse, sagen, dass man neue Werte finden muss, weil die alten gar nicht mehr greifen? Oder geht es darum, die alten erst einmal richtig umzusetzen, weil das in der Form noch gar nie passiert ist?
Gösweiner: Es geht, glaube ich, vor allem um die Notwendigkeit einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über gewisse grundlegende Werte in unserer Gesellschaft. Auf die „westlichen Werte“ wird derzeit ja sehr oft rekurriert, weshalb man vermuten könnte, dass der Westen eigentlich gar nicht mehr genau weiß, was seine grundlegenden Werte sind. Wenn sie selbstverständlich wären, müssten sie ja nicht andauernd beschworen werden, denke ich. Ich glaube, es geht nicht so sehr darum, neue Begriffe zu finden, sondern zu fragen, was etwa Freiheit heute bedeutet, was Freiheit kann, was sie soll. Ähnliches gilt für den Begriff der Solidarität. Vielleicht geht es eher darum, sich darauf zu besinnen, was diese Begriffe einmal bedeutet haben. Gerade solche Werte, wie sie in der Aufklärung stark waren, sollten vielleicht gesellschaftlich wieder eine größere Rolle spielen.
AFEU: Wenn Sie sagen, dass diese großen Begriffe irgendwo problematisch geworden sind: Wie sehr ist diese „Generation Y“ auch vom iconic turn geprägt? Da fällt mir eine Szene ein, wo Hannah sich Bilder von Jakob ansieht und überlegt, ob ihr „Bild“ ein richtiges war oder ob es vielleicht noch weitere „Bilder“ geben muss. Leidet diese Generation auch darunter, dass sie so klare Bilder und Vorstellungen davon hat, wie sie gerne leben möchte?
Gösweiner: Ich glaube mein Roman arbeitet schon stark mit Bildern oder mit Bildhaftigkeit, hat vielleicht auch Ähnlichkeit mit einem Film, von der Szenerie her. Es gibt „Einstellungen“, die gezeigt werden. Und es gibt auch einen gewissen Referenzrahmen, wo dezidiert auf Filme angespielt wird, zum Beispiel auf die „Drei-Farben“-Trilogie von Kieślowski: „Drei Farben blau“, „Weiß“, „Rot“, zu den drei Begriffen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Es gibt eine Szene, wo Hannah an ihrem 30. Geburtstag im Café sitzt und Vanilleeis mit Espresso isst, das ist zum Beispiel eine direkte Reminiszenz an „Drei Farben: Blau“, dem Film zum Thema Freiheit, das auch ja auch mein Thema ist im Buch. Hannah erinnert sich an diese Szene, sie erinnert sich immer wieder an Bilder – weil sie als Vertreterin ihrer Generation stark von Bildern beeinflusst ist. Bilder oder Film als Medium spielt sicher eine große Rolle. Genauso wie das Medium Internet oder digitale Kommunikation.
AFEU: Skype zum Beispiel.
Gösweiner: Ja, Skype und auch SMS, jede Form der digitalen Kommunikation und was sie mit uns macht, spielt eine große Rolle – wie sie unsere Kommunikationsgewohnheiten verändert und beeinflusst.
AFEU: Wie ist es so als „Innsbruck liest“-Autorin? Ist das für Sie rein positiv besetzt? Oder gibt es auch leise Bedenken, weil es sich ja doch um eine bildungspolitische Maßnahme mit einem konkreten Zweck handelt? Wie ist es, das Buch in einer so hohen Auflage in die breite Öffentlichkeit zu entlassen?
Gösweiner: Das ist natürlich grundsätzlich etwas Schönes. Man wünscht sich ja als Autor, dass man möglichst viele Leser erreicht. Es gibt andere Konzepte aus anderen Städten, wo die Taschenbuchauflage käuflich zu erwerben ist, wo es also keine Gratisausgaben gibt – in Stuttgart zum Beispiel, wo ich derzeit Stipendiatin bin. Mein einziges Bedenken ist vielleicht, dass ja in unserer Gesellschaft immer suggeriert wird: Was gratis ist, ist wenig oder nichts wert. Und es ist nicht schön, wenn man sieht, dass die Bücher dann nachher teils im Altpapier landen. Das ist das, was mir daran nicht behagt. Aber grundsätzlich freut man sich natürlich, gerade auch jemanden zu erreichen, der vielleicht sonst nicht oder fast nicht liest. Allerdings mache ich mir auch keine Illusionen: Nur weil jemand ein Buch im Jahr liest, das es gratis gibt, wird er nicht zum Leser. Das glaube ich nicht. An diese Macht der Aktion glaube ich nicht. Um aus Bürgern Leser zu machen, wäre es so gesehen vielleicht besser, Bibliotheksmitgliedschaften zu verschenken. Bibliotheken sind die Institutionen, die man unbedingt stärker fördern müsste. „Innsbruck liest“ ist eine einmalige Aktion – aber eine sehr schöne.

Titelbild: (c)  Thomas Larcher

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