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Neue Asyl-Konzepte: Festung oder Lotterie?

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Politiker lieben die romantische Vorstellung einer „Festung Europa“, so wie Kinder und das Kind im Manne eben Ritterspiele und Festungen lieben.

Da wird gehauen und gestochen, aber am Ende war´s nur ein lustiges, lärmendes Spektakel. Doch in der Realität sieht die Sache ein wenig anders aus. Im Mittelalter wurden auch uneinnehmbare Burgen bei der geringsten Streitigkeit so lange belagert, bis dort die Vorräte und/oder die Überlebenden ausgingen. Festungen suggerierten also schon damals nur eine trügerische Sicherheit. Man ist in einer Festung entweder drinnen oder draußen. Man kann darin leben oder muss darin sterben, grad wie´s dem jeweiligen Herrscher gefällt.

Die „Festung Europa“ wird immer einmal wieder als Lösung für Migrationsprobleme beworben. Man möchte dabei, unter dem Vorwand einer Bedrohung von außen, ungeliebte Zuwanderer aus- und uns Bürger einsperren. Der britische Premierminister und der österreichische Bundeskanzler, als Bastionen konservativer Altburgherrenmentalität, preisen aller Welt — ergänzend zur Festungs-Idee – auch noch das „Ruanda-Modell“ an. Der Warenverkehr, der Kapitalverkehr, die sollen grenzenlos frei sein, die Menschen dagegen gefälligst innerhalb der ihnen verordneten Grenzen bleiben. Und im Gegensatz zum Mittelalter, als die „Milte“ — Obdach und Lebensunterhalt für jeden Heimatlosen — zu den zentralen Rittertugenden zählte, werden Hilfesuchende heute mitleidslos dem Ertrinken ausgesetzt oder im „Ruanda-Modell“ – oh, wie viel humaner! – wie ehedem die Sklaven irgendwohin deportiert, wo sie niemals sein wollten: in Lagern an den EU-Außengrenzen oder in armen Ländern wie Ruanda oder Albanien. Ruanda mit seinen 14,1 Millionen Einwohnern soll also jährlich 45.000 „illegale Migranten“ aus Großbritannien aufnehmen und (nach Nehammers Wunsch) gleich auch noch eine Million Asylverfahren für die EU abwickeln? Albanien mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern soll das schaffen, was Italien mit rund 59 Millionen und seinem Rechtsstaat nicht schafft? So werden nicht nur die Geflüchteten zur Handelsware, sondern wahrscheinlich auch noch aufstrebende Drittstaaten destabilisiert.

Dabei ist immer von „fairen Verfahren außerhalb Europas“ die Rede. Welche Lüge, wenn sie schon in unseren Rechtsstaaten alles andere als fair ablaufen! *) Zudem wird ja die Unterscheidung zwischen Asylberechtigung und Arbeitsmigration ständig unter dem Stichwort „illegale Einwanderung“ verwässert. Warum nicht diese verbale Unterscheidung einfach einmal fallenlassen? Warum nicht gleich eine Migrations-Lotterie veranstalten? Die EU bzw. die einzelnen EU-Mitgliedsländer könnten zum Beispiel für ein paar Hauptgewinner allwöchentlich einen Aufenthalt mit Aussicht auf Ausbildung und Arbeit für 5 Jahre offerieren, mit der Aussicht auf Verlängerung bei guter Integration. Ich bin überzeugt, da würden viele „Illegale“ lieber zuhause für 1 Dollar wöchentlich ein Los kaufen, als 2000 Dollar für einen Schlepper zu bezahlen — bei vergleichbar geringen Erfolgschancen. Neben dem Hauptgewinn könnte man auch noch kleinere Summen ausloben, welche dem Gewinner ein Jahr Überleben im eigenen Land, die Eröffnung eines Geschäfts u.Ä. ermöglichten. Und mit dem Lotterie-Gesamterlös könnte den Lotteriegewinnern jedenfalls die sichere Überfahrt und eine Mindestsicherung in der EU bezahlt werden. Das wäre eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten und — wenn nicht sogar aufkommensneutral — jedenfalls bedeutend billiger als Milliarden** an Frontex und korrupte Staaten zu bezahlen, um die Migration nach Europa zu verhindern. Und vor allem: Jedes EU-Land könnte selbst bestimmen, wie viele Lose es ausgibt.

Wir in Europa brauchten uns dann nicht mehr sinnlos in einer Festung zu verbarrikadieren. Und viele von purer Not Vertriebene könnten auf das aussichtslose Wagnis der Flucht übers Mittelmeer verzichten und ihre Hoffnung auf einen Lottogewinn setzen. Denn Hoffnung ist das Wichtigste, das man in ausweglosen Situationen fürs Überleben braucht. Nachzulesen bei Viktor Frankl.

Also: Konzept Festung oder Konzept Lotterie?

*) Nur ein paar aktuelle persönliche Erfahrungen zur systematischen Ungerechtigkeit der Asylgewährung in Tirol: Bei einem Christen aus dem Iran wird der Fluchtgrund der religiösen Verfolgung seit nun 9 Jahren als „nicht glaubwürdig“ eingestuft, obwohl sich seine Innsbrucker Pfarrerin und viele Einheimische für seinen Glauben und sein Engagement in der Kirchengemeinde verbürgen. Es entscheidet eben der „Glaube“ der Behörde.

Ein Nigerianischer Zwanziger-Verkäufer, der sich seit mehr als 12 Jahren in Österreich aufhielt, sich all die Jahre selbst erhielt, sich nichts zuschulden kommen ließ und eine Wohnung und alle Deutschkurse bravourös absolvierte, der jahrelang vom BFA einfach übersehen worden war, wurde letzte Woche nach dem Fehlschlagen aller Revisionsversuche abgeschoben, obwohl ihm ein Aufenthalt aufgrund seines langen Aufenthaltes und seiner Integration rechtlich hätte zugestanden werden können.

Bei praktisch allen bisher von mir begleiteten Geflüchteten wurde in erster Instanz negativ beschieden, wobei im amtlichen Schreiben die immer gleichen Formeln verwendet wurden. Jedes Mal wurden „mangelnde Integrationsbemühungen“ festgestellt, obwohl bis zu 30 Unterschriften und Zeugnisse von Einheimischen und Institutionen vorgelegt wurden, welche das Gegenteil bezeugten. Die Behörde machte sich manchmal nicht einmal die Mühe, im Copy & Paste-Bescheid bei der Personenbezeichnung das jeweils richtige Geschlecht einzusetzen …  

Weitere Beispiele für Ungerechtigkeiten und die völlig uneinheitlichen Asylregelungen in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten sind täglich den Medien zu entnehmen.

**) Für Ruandas Goodwill haben Großbritanniens Steuerzahler bislang fast eine halbe Milliarde Pfund bezahlt, ohne dass bisher ein einziger Flüchtling dorthin deportiert worden wäre.  Die EU hat für „Migrationsmanagement“ in Tunesien, 127 Mio Euro zugesagt, Ägypten bekommt für Fluchtverhinderung (egal mit welchen Mitteln) Kredite von 5 Milliarden. Wie brutal das „Migrationsmanagement“ in diesen Ländern von statten geht, kann man täglich den Medienberichten entnehmen. Und in wessen Taschen unser Steuergeld dort wandert, kann man sich denken.  Auch das Jahresbudget für Frontex, das ebenso oft außerhalb aller Gesetze agiert, nähert sich der Euro-Milliarde. — Wie viele Lotteriegewinne man damit ausloben könnte! Wie vielen Menschen und Familien man mit unseren Geldern ein gutes Leben (oder zumindest die Hoffnung darauf) schenken könnte! Wie viele „illegale“ und zerstörte Menschen uns allen damit erspart blieben!

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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