Von Hühnern und Menschen, oder: Warum Erna bleibt

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Harald Stoiber schreibt primär auf seinem Blog „Der Hühnerphilosoph“


Landläufig gilt das Huhn als dumm. Längst widerlegt, dient diese Annahme als Legitimation für unseren Umgang mit Hühnern. Der Hund als bester Freund des Menschen und die Katze als Seelentrösterin scheinen mit dem Huhn so gar nichts gemein zu haben. Haben es andere „Nutztiere“, wie etwa das Pferd, längst in unsere Herzen geschafft, wird das Federvieh nur für eine kleine Randgruppe als Tier mit individuellem Charakter anerkannt. Doch woran liegt es, dass wir manchen Tieren mit Freundschaft begegnen und anderen nicht?

Von wegen dummes Huhn

Die Intelligenz, die Tieren zugeschrieben wird, scheint wenig mit unserem Umgang mit ihnen zu tun zu haben. Intelligent ist ein Tier dann, wenn es uns ähnelt. Wenn es etwa in völlig artfremden Versuchsanordnungen schafft, einen Knopf zu bedienen. Eine Kompetenz, die für das Überleben eines Tieres in der Natur völlig unbrauchbar wäre. Auch wir Menschen würden in einer Versuchsanordnung, aus einem Baum ohne Werkzeug einen Damm zu bauen, kläglich scheitern. Intelligenz ist eine Frage der Perspektive.
Ein Beispiel für ein differenziertes Verhalten von Hühnern ist der Warnschrei. Ist die Gefahr (zum Beispiel ein Greifvogel) weit weg, stößt ein Huhn einen Warnschrei aus. Lauert die Gefahr schon in unmittelbarer Nähe, setzt es andere Kommunikationsmittel ein, um vor der Gefahr zu warnen.  Der Schrei könnte zusätzlich Aufmerksamkeit auf die Beute legen. So kommen Flügelschläge, leichtes Picken auf Holz oder Scharren zum Einsatz. Außerdem unterscheidet das Huhn zwischen Lebensgefahr und reiner Vorsicht.
Es gibt noch viele Beispiele, die auf die Intelligenz der Federtiere schließen lassen. Aber die zugeschriebene Intelligenz und genetische Nähe zum Menschen sind kein Garant für ein glückliches Leben. Denn je nach kultureller Prägung bist du als armes Schwein dem Huhn plötzlich viel ähnlicher als dem Menschen. Deren Wert errechnet sich aus Mastgewicht, Mastdauer und Futtermitteleinsatz.  Sowohl Haltung als auch Fütterung sind auf degenerierte Körper ausgerichtet, hoch- und umgezüchtet um maximalen Profit zu gewährleisten.

Vom Haushuhn zum Hybridwesen

So wurde das Haushuhn von früher zu einem Hybridwesen weiterentwickelt, gezüchtet für ein kurzes gewinnorientiertes Hühnerleben. Die Zucht hat die besten Legerinnen hervorgebracht. Maschinen übernehmen die Reproduktion. Die Hybridhenne hat längst verlernt, ihre Eier selbst auszubrüten. Einen Gockel kennen sie nicht, denn Gockel gelten als Wegwerfprodukt – keine Eier, wenig Fleisch.
Der Wechsel von warm auf kalt, die vier Jahreszeiten, der Boden als Nahrungsquelle oder die Möglichkeit eine Hackordnung zu leben und dabei dominanten Mitbewohnerinnen auch manchmal aus dem Weg zu gehen, werden ihnen ebenfalls genommen. Bei Masthühnern wird der Raum auf ein Minimum beschränkt, denn Bewegung schadet dem Ziel der kurzfristigen Fettanlagerung. Was nicht heißt, dass Legehennen mehr Platz vorfinden.
Um als Bauer oder Bäuerin rentabel zu wirtschaften, muss die Anzahl der Eier möglichst stabil sein. Dies wird mit jungen, legepotenten Hennen gewährleistet, bevor sie die erste Mauser (die Regenerationsphase) erreichen. Wird der Ertrag weniger, wird der gesamte Tierbestand erneuert, der Stall maschinell geräumt, desinfiziert und neue Hühner ziehen ein. Nach nur einem Jahr war es das mit dem „glücklichen“ Hühnerleben. Aber nicht für alle.

„Ich wollt ich wär ein Huhn, dann hätt ich nichts zu tun“

Durch Vereine wie „Rette (d)ein Huhn“ schaffen es ein paar wenige, nach dieser Tortur ein möglichst artgerechtes zuhause zu finden. Dort leben sie ein zwar glücklicheres, aber oft mit Folgeerkrankungen begleitetes Leben. All jenen, die engagierten Hühnerrettern „Tierquälerei“ entgegenrufen, sei gesagt: Beobachtet einmal die ersten Schritte einer Hybridhenne im Gras, seht zu, wie das neue Kleid wächst, wie sie genüsslich im Sand baden – der Tod nach einem Jahr der Qual ist auf jeden Fall die schlechtere Option.
Die wenigsten Hühner schaffen es auf einen Lebensplatz. Sowohl die Kooperation der Bauern, als auch der Fleiß von organisations- und tierfreudigen Menschen sind dafür notwendig, dass Vermittlungen stattfinden können. Am neuen Lebensplatz angekommen, dauert es, bis die Hühner lernen, Huhn zu sein.

„Mehr stolpern als scharren“

Die letzten Hühner, die sich in die „solidarische Hühnerwirtschaft“ verirrt haben, brauchten nach ihrer Ankunft einige Tage, um fehlerfrei über die Wiese zu tollen. Die ersten Schritte waren geprägt von Stolpern und Fallen. Kleinere Hürden, wie etwa ein Gartenschlauch, wurden mühevoll umgangen. Auch die Interaktion mit dem Gockel fiel ihnen schwer. So musste sein Warnschrei erst verstanden werden, der sagt: „Achtung, Greifvogel, alle unter den Baum!“ Zum Glück schreit der Gockel lieber einmal zu viel als zu wenig und die meisten Greifvögel entpuppen sich als harmlose Raben. Nach zwei Wochen war auch die Hackordnung erledigt und die neuen Hennen wussten, wo ihr Platz auf der Stange war. Heute lieben sie Sandbäder, werden von den alten Hennen akzeptiert und verhalten sich auch im Großen und Ganzen wie die anderen in der Hühnerwirtschaft, die jetzt schon fast 20 Monate in Freiheit leben

Gekommen um zu bleiben

So schnell wie Huhn über die Natur und ihre Gefahren lernt, lernt Mensch, was Huhn braucht. Als Quereinsteiger kann ich sagen: Vieles geht mit learning-by-doing, aber es braucht auch den Willen sich weiterzuentwickeln und die Herausforderungen anzunehmen. Hühner zu halten benötigt Zeit, Auseinandersetzung und Platz und ist mit Arbeit verbunden. Deshalb prüfe wer sich bindet.
Der Lohn sind zufriedene Hennen, die auf deine Schulter hüpfen, an deiner Zeitung knabbern. Dankbare Lebewesen, die deine Küchenabfälle reduzieren und letztendlich auch guten Dünger für den Garten liefern. Die Eierproduktion spielt plötzlich keine große Rolle mehr. Es überwiegt die Freude, wenn sie den anstrengenden Prozess des Eierlegens einstellen. Erna legt schon lange nicht mehr. Sie ist aber gekommen um zu bleiben.

Titelbild: (c) Harald Stoiber

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