Wie „YouTube“ Musik und Musiker ruiniert und was mögliche Auswege wären

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Vor kurzem ist im Netz ein offener Brief der amerikanischen Komponistin Maria Schneider an die Video-Plattform „YouTube“ aufgetaucht. In diesem beschuldigt sie das Videoportal unter anderem, dass es Piraterie forcieren oder zumindest unterstützen würde. Sie erwähnt das Faktum, dass in regelmäßigen Abständen Songs oder ganze Alben auf diesem Kanal landen würden. Natürlich meist ohne dass der Hochladende die dazu notwendigen Rechte besitzen würde.
Die Diskussion ist komplex. Nachlesen kann man ihren Brief HIER. Wie unschwer an den recht wenigen Kommentaren zu erkennen ist, handelt es sich bei diesem Brief um kein Massenphänomen, das bereits viral in sämtlichen Netzwerken diskutiert werden würde. Vor allem sind es jedoch Musikerinnen und Musiker, die ihrer Analyse zustimmen. Was sagt uns das?
Man kommt nicht umhin die Vermutung anzustellen, dass, überspitzt gesagt, wenig außer Katzenvideos und ähnlichem Content übrig bliebe, würden sämtliche MusikerInnen darauf bestehen, dass ihre Musik wieder von YouTube entfernt werden solle.
Viele scheinen es aber hinzunehmen, dass sich ihre Musik ebendort (illegal) befindet. Aus Werbezwecken. Weil vielleicht dann doch noch ein paar Menschen, die über diese Plattform auf die Musik gestoßen sind, das Album kaufen werden. Möglicherweise auch, weil ein Vorgehen gegen diese Praxis der User ohnehin dem Kampf gegen die Hydra gleichen würde. Hat man es erwirkt, dass der illegal benutzte Content eines Users herunter genommen wird, taucht er an anderer Stelle von jemand anderem hochgeladen auch schon wieder auf.
Vor diesem Hintergrund versteht man den Kampf von Schneider durchaus. Der Kampf von Maria Schneider ist der Kampf einer modernen Frau, die wenig mit der Beliebigkeit der Postmoderne anzufangen weiß. Sie beschwört zwar keinen direkten Genie-Kult, implizit geht sie aber davon aus, dass der Schöpfer alleiniger Besitzer seiner Ideen ist. Derjenige, der die jeweilige Komposition unter größter Anstrengung vollbracht hat, muss auch das Recht darauf haben, zu wissen, wo und in welchen Kontexten seine Musik (im Netz) auftaucht. Er muss die volle Kontrolle besitzen. Dass die Musik irgendwo im Netz ohne ihr Wissen auftauchen würde und sich ihrem Zugriffe entzöge, ist ihr eine grauenvolle Vorstellung.
Dahinter steht auch ein moderner Intentions-Begriff: Der Komponist ist alleiniger Schöpfer und „Inhaber“ seiner Komposition. Die Postmoderne hingegen geht von einem tendenziell aufgeweichten und veränderten Intentionsbegriff aus: Unter der Vielfalt der Einflüsse, Möglichkeiten und schon vorhandenen Sounds, Materialien und Ideen ist der postmoderne Komponist nicht völlig in Besitz seines Materials, sondern er stellt eher zusammen und kompiliert, als dass er wirklich schafft und geniehaft erschafft. In diesem Kontext wird es, aus kunsttheoretischer Sicht, äußerst schwierig von Schöpfertum, Urheberschaft und geistigem Eigentum zu sprechen. Wenn schon der Komponist und das schöpferisch tätige Subjekt nicht mehr daran glaubt, wie sollte dann noch Anspruch auf das eigene Werk bestehen?
Selbstverständlich muss man Rechtsfragen und Urheberrecht von ästhetischen und kunsttheoretischen Fragen trennen. Dennoch liegt der Verdacht nahe, dass sie sich bedingen und in einem reziproken Verhältnis zueinander stehen. Wie hätte es sonst zu einer solch schwammigen Urheberrechts-Auffassung kommen können, wie sie heute vor allem (aber nicht nur) im Rahmen von besagter Videoplattform an der Tagesordnung ist, wenn es nicht vorher schon einen neuen und „postmodernen“ Begriff von Schöpfertum, Eigentum und Besitz gegeben hätte?
Anders gesagt: Nur WEIL das Werk im Heute tendenziell in seiner Originalität und Einzigartigkeit entwertet wurde und diese Zuschreibungen möglicherweise auch gar nicht mehr verdient, lässt sich mit diesem achtlos und sorglos umgehen. Weil manche Songs und Kompositionen eben keine „genialen“ Werke mehr sind, sondern Allerwelts-Musik, die sich kaum mehr von anderen vergleichbaren Songs unterscheiden lässt, da sie sich sowohl in Struktur als auch Akkord- und Melodieführung gleicht, gehören sie Gott und der Welt und potentiell auch allen Usern.
User haben die Achtung vor originären Kompositionen verloren. Schlicht und einfach weil es diese kaum mehr gibt. Warum sollte man Respekt vor etwas haben, das es an allen Ecken und Ende in ähnlicher Weise gibt? Gerade dieser Überfluss und diese Gleichförmigkeit führen zur Problematik, dass auch mit Werken sorglos und respektlos umgegangen wird. Der Gedanken, dass man die Rechte eines „Schöpfers“ verletzt, weil man Musik illegal auf eine Video-Plattform lädt, ist für viele fern.
Somit ist es nur folgerichtig zu behaupten, dass ein Kampf gegen YouTube zwar löblich, aber letzten Endes sinnlos und uferlos ist. Damit wird lediglich das Symptom bekämpft, nicht dahinter liegenden Diskurse und Annahmen, was Kunst, Intention und Schöpfertum betrifft. Es gilt Musik wieder aufzuwerten. Und zwar nicht als prinzipielle und tautologische Behauptung, dass Musik schützenswert ist weil Musik eben schützenswert ist. Es liegt auch an den Schöpfern und Komponisten von Musik wieder verstärkt Werke zu erschaffen, die Zuschreibungen wie originell, originär und womöglich gar das altmodische Wort „genial“ verdient haben.
Musikerinnen und Musiker müssen wieder den Mut aufbringen, genial sein zu wollen. Sie müssen den Anspruch darauf erheben, dass die Komposition ihren Gedanken entspring, auch wenn sie natürlich nicht einflussfrei bleiben kann. Ein „geniales“ Werk nimmt Fäden auf, spinnt sie weiter, formuliert aber auch neuartiges und ist insgesamt von einer Qualität, dass die Fäden möglicher Intertexte und Einflüsse letztlich gekappt werden. Fremdes wird zu absolut Eigenem.
Wer hingegen nur mit Fremden, Mittelmäßigen und Nicht-Originellem operiert, der wird sich nicht darüber wundern, wenn einem auch nicht der letzte Rest an Eigentum und Besitz was die eigene Musik betrifft genommen wird. Das soll kein Aufruf zu sein, schlechte und leidig originelle Musik zu stehlen. Aber es soll der Hinweis darauf sein, dass der zunehmende Verlust von Respekt auch mit der schwindenden Qualität und Originalität der gegenwärtigen Musik zu tun hat.
YouTube ist also nur ein leeres Medium, ein Träger, nicht die Sache selbst. Ohne seine User wäre YouTube nichts. Man kann dieser Plattform natürlich vorzuschreiben versuchen, dass sie härter gegen solche „Sünder“ vorgehen soll. Letzen Endes wird es aber nur sinnvoll sein, diese „Sünder“ vom Wert von Musik zu überzeugen. Das kann keine Plattform, das kann das Internet nicht, das können nur die Musikerinnen und Musiker selbst.
Ich glaube somit, dass Musikerinnen und Musiker nicht ruiniert werden, aber ruiniert werden könnten. Wenn sie nicht gegensteuern. Sie müssen es wagen in künstlerischer Hinsicht Anspruch auf ihre eigenen Ideen und ihren Einfallsreichtum zu erheben. Sie dürfen ihr Glück nicht dem Recht als System überlassen, sie müssen mit ihren künstlerischen Werken ein Umdenken in den Köpfen der User generieren.
Sie müssen wieder klar machen, dass sie Schöpfer eines „genialen“ Werkes sind, das nur ihnen selbst gehört. Dass hinter einem guten Werk verdammt viel harte Arbeit steckt. Dann – und nur dann – wird sich das hier in den Eingangspassagen skizzierte Problem lösen lassen. YouTube ruiniert Musiker also nur, weil Musik zu diesem Zeitpunkt schon entwertet und weitestgehend wertlos und austauschbar war. Damit muss Schluss sein, bevor es zu spät ist.

Titelbild: (c)Paul Morigi

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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