Was sieben Jahre in Hötting bei Innsbruck mit mir gemacht haben

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„Und Provinz ist das Verhinderte, Gleißende, Unpädagogische, Wurzelige, das Neugierige, Zornige, Glückliche, Rostige, Stumpfe, Kleine […]“. Treffender wie Richard Pils lässt es sich nicht sagen. Dennoch möchte ich etwas schreiben.  Darüber, wie mich mein Leben in Hötting verändert hat.
Spätestens nach fünf Jahren veränderte sich mein Blick. Während ich mich früher am liebsten in europäischen Großstädten verschanzte bleibe ich mittlerweile am liebsten zuhause. In meiner Heimat. In Hötting. Auch die Wahrnehmung meiner Heimatstadt Innsbruck hat sich verändert. Mit Argwohn beobachte ich die grassierende Monokultur. Erst kürzlich hat wieder ein sogenannter „Bäcker“ mitten in der Innenstadt aufgesperrt, der sein aufgebackenes Billig-Brot unters Volk bringen möchte.
In Hötting ist das anders. Mit der Bäckerei „Widmann“ gibt es dort noch einen tatsächlichen Bäcker, der diese Zuschreibung auch verdient hat. Ein paar Meter weiter ist die Konditorei „Großgasteiger“ zu finden.Wenige Gehminuten davon entfernt befindet sich der „Burenwirt“. Ein uriges und authentisches Gasthaus, in dem Veganer und Vegetarier ganz sicher nicht ihr Glück finden. Ich hingegen liebe die Küche dort. Man kennt mich dort außerdem mit Namen und weiß, welches Bier ich gerne trinke.
Das „Unpädagogische“ ist in Hötting omnipräsent. Während sich der als urban und weltstädtisch gerierende Hipster-Mob zunehmend gesünder ernährt und sich zum Teil sogar dem Veganismus verschreibt, wird im „Burenwirt“ gerne Schwein und viel gegessen. Fleisch ist unser Gemüse. Genüsslich schlürfen wir dazu unsere Biere, die es schon seit Jahrzehnten in Österreich gibt. Die Speisekarte ist konstant, beständig und nach einigen Besuchen wohlbekannt.
In Hötting geht es somit „wurzelig“ zu. Verstanden als das Gegenteil von glatt. Manch einer mag sich daran stoßen. Aber wir sind wir. Damit spiegelt sich im kleinen „Königreich“ Hötting das, was derzeit in ganz Österreich sichtbar wird. Es gibt einen Trend zum Ursprünglichen, zur Heimat, zum Überschaubaren. Sogar in Wien finden sich Lokale wie zum Beispiel „Die Herknerin“. Dort wird gekocht wie früher. Schnörkellos, echt, gut. Wenn etwas schmeckt wie in der eigenen Kindheit, dann ist das kein Versagen der Köchin, sondern die primäre Intention.
Auf der kulinarischen Ebene lässt sich die Rückbesinnung auf die „Heimat“ und das „Ursprüngliche“ somit als sympathisch bezeichnen. Unter Umständen lässt sich diese Liebe zu alten Rezepten und zu echten Gasthäusern gar mit Globalisierungskritik und einer antikapitalistischen Haltung vereinbaren. Die Konzerne und Ketten überschwemmen uns mit dem Immergleichen, Glatten, Austauschbaren. Indem wir uns auf das besinnen, was wir immer schon hatten, leisten wir quasi Widerstand. Wir halte das „Kleine“ hoch, das sich gegen das hochgradig kommerzielle „Große“ zur Wehr setzt. Dafür lassen wir uns gerne als verhinderte Weltenbürger bezeichnen.
Weniger sympathisch kommt hingegen eine Bewegung wie die „Identitären“ daher. Vor lauter Angst vor dem „Fremden“ und der „Welt“ beharrt man auf der simplen Logik der Selbstidentität. Wir sind wir, weil wir wir sind und immer schon waren.  Eine weitestgehend tautologische Haltung, die ontologische Unveränderlichkeit von Identitäten behauptet.
Sitzen wir somit am Tisch mit solchen Bewegungen, wenn wir unsere kleine, noch heile Welt verteidigen wollen? Machen wir uns schuldig, wenn wir lieber unseren Wirt um die Ecke unterstützen wollen anstatt uns auf die neueste Imbiss-Bude zu stürzen, die Burritos oder Burger wieder einmal ganz anders und ganz weltstädtisch servieren möchte? Ist dieser um sich greifende Trend zur Heimat und zu seiner Herkunft gar nicht so unschuldig wie wir glauben wollen?
Sieben Jahre in Hötting bei Innsbruck haben mich gelehrt, dass es immer auch darauf ankommt, was man an Stammtischen redet. Dass Aufrichtigkeit und Authentizität zählt. Nicht die Liebe zur Heimat und zur Provinz ist problematisch, sondern die zum Teil ironische Aneignung und Besetzung ebendieser. Damit wird sie zur Ware und zugleich entwertet. Damit verliert sie das „Wurzelige“, Eigenartige und Anstößige.
Der „Provinzler“ setzt seine „kleine Welt“ nicht absolut. Ihm ist die Vielzahl der anderen „kleinen Welten“ draußen nicht fremd. Er hofft, dass die anderen „Welten“ da draußen ebenso „wurzelig“, „unpädagogisch“ und zugleich in ihrer Klarheit „gleißend“ und wunderbar sind. Er verteidigt seine „Welt“ gegen die Angleichung und Gleichmacherei. Er hält Lobreden auf die vielen kleinen Liebenswürdigkeiten und Differenzen seiner „Welt“.
Seit nunmehr sieben Jahren ist Hötting meine „Welt“. Ich habe hier (m)eine Heimat gefunden. Zunehmend packt mich aber wieder das Reisefieber. Mein Blick hat sich aber durch meine Verwurzelung verändert. Ich sehe und suche das „Unpädagogische“, „Kleine“ und „Wurzelige“ auch anderswo.

Hier geht es zu der vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

2 Comments

  1. Sg. Herr Markus Stegmayr,
    dass es tatsächlich einen Menschen gibt, der mir sowas von aus meiner Seele redet, haut mich um. Es ist alles gesagt, worauf es ankommt und ich identifiziere mich 100% mit Ihrer Empfindbarkeit. Ja gell, so sind wir, stolz, stur, eigensinnig, deppert, ehrlich, grantig, lustig, gefühlsdusselig wenn wir beisammen sitzen, schnabelredend, Erinnerungen schwelgerisch, empfindsam, hart arbeitend, gesellig, mutig, trottelmässig, ehrlich, kleingeistig, großmütig, überdrüber, naturidentisch, freundlich aber auch bissig und vieles mehr. Das macht uns aus. Der kleine (grosse)Unterschied. Ich bin stolz drauf und ich kämpfe darum. Vielen Dank für Ihre grossartigen Zeilen und vergessens uns nicht, gute Reise und Veränderung wünscht Ihnen, Gitta Eller

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