(c) Helmuth Schönauer

Günstiges Verhalten vor Gericht

4 Minuten Lesedauer

Jeder von uns kann in diffusen Medienzeiten schneller vor Gericht landen, als ein normaler Mensch imstande ist, ein Feuilleton zu lesen. In solchen Fällen ist Kooperation günstig, man sollte dem Gericht zutrauen, dass es Selfies und andere schnelle Eindrücke fehlerfrei zu lesen vermag.
Oberstes Gebot: Auch wenn du Schriftsteller bist, du darfst nie einen Laptop haben! Ein Laptop wird nämlich immer beschlagnahmt und dann hast du nichts, worauf du deine Gedichte schreiben kannst.

Alles, was du auf diversen Displays schreibst, musst du wöchentlich schreddern. Am besten übergibst du die Daten einem jungen HTL-Absolventen, der durch das Schreddern berühmt wird und Karriere machen kann. Das regelmäßige Vernichten von Daten hat auch den Vorteil, dass du immer frische Gedichte hast und nichts im Brennerarchiv als Vorlass abliefern musst.

Generell empfiehlt es sich, nie etwas zu formulieren, was mit Buchstaben zu tun hat. Selfies und Emoticons bieten einen ausreichenden Wortschatz, um dein karges Leben und deine eindimensionalen Probleme zu beschreiben. Wenn etwas ganz kompliziert ist, kannst du ja einen Cartoon verwenden. Diese Oper des kleinen Mannes drückt wirklich alles aus, was es auf dieser Welt zu sagen gibt.

Bilder haben den zusätzlichen Vorteil, dass sie nach unserem Recht nicht entgegnet werden können. Aufpassen heißt es allerdings in Südtirol, da gilt fallweise noch ein Mediengesetz aus der Faschistenzeit. Daher müssen Karikaturisten bei Verurteilung eine Entgegnung zeichnen, die wie ein Schild „Ortsende“ angelegt sind. Die Zeichnung wird also noch einmal publiziert, freilich durchgestrichen.

Wenn es jemanden aus hormonellen Gründen juckt, schnell eine sexistische Mail zu verschicken, soll er dies von einem Biergarten aus tun. Hier stehen immer ausreichen Stand-PC bereit, von denen aus man ungeniert herumsenden kann, weil niemand dafür haftbar gemacht werden kann.
Wenn es sexuell knapp wird vor Gericht, so gibt man sich am besten als Ex-Klosterschüler aus, der von Patres geschändet worden ist und daher noch nie eine nackte Frau gesehen hat. Folglich weiß man auch nicht, was ein Porno ist. (Ein Film mit Nackten, die keine Patres sind.)

Kluges Gendern ist unserer Generation („Genderation“) mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen, oft reißt der Faden, wenn man pädagogische Sachen beschreiben soll, leicht folgt auf das „Schülerinnen und Schüler“ ein „Tischinnen und Tische“.

Ach der Rassismus soll mittlerweile mit jedem Satz ausgemerzt werden, das gilt auch vor Gericht. Bei bösen Sachen empfiehlt es sich, die Bezeichnung „Weißer“ dazuzusagen. Also: „Ein weißes Schlitzohr hat mich über den Tisch gezogen!“

Wenn das Gerichtsverfahren unter diesen Voraussetzungen noch immer ungünstig läuft, gilt es, einen Befangenheitsantrag zu stellen. Da immer alle gerade Anwesenden bei der Einheitspartei sind, sind im Endeffekt in Tirol immer alle befangen. Das merkt man spätestens dann, wenn man einen unabhängigen Richter für einen U-Ausschuss braucht, man findet in Tirol keinen, weil die gesamte Bevölkerung bei der Einheitspartei ist.
Und wenn alle Stricke reißen, heißt es, das Totschlagargument auspacken: „Ich habe alles richtig gemacht!“ Das ergibt einen automatischen Freispruch, auch wenn es Tote gegeben hat.

STICHPUNKT 20|24, verfasst am 21. Juli 2020

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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